Wenn sie mich finden. Terri Blackstock

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Wenn sie mich finden - Terri Blackstock


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starrt mich einen Moment lang an. „Finden Sie niemand anderen zu machen das für Sie?“

      „Vielleicht schon“, sage ich. „Aber hören Sie. Wenn Sie es noch einmal für mich tun, kaufe ich zwei Versionen. Ich habe jetzt die Perücken. Sie werden mich nicht wiedersehen. Und ich zahle bar.“

      Er scheint sich die Sache zu überlegen. Schließlich schüttelt er den Kopf und geht zu einem Schränkchen. Dann setzt er sich an den Schreibtisch und zieht ein Brett heraus, hinter dem ein Tresor zum Vorschein kommt. Er schließt ihn auf. Hier muss er die Informationen über die einzelnen Personen aufbewahren. Er sieht die Unterlagen durch. „Wie alt Sie noch mal?“

      „Fünfundzwanzig“, sage ich.

      Er zieht ein Dokument heraus. „Mädchen war dreißig. Zwei andere fünfunddreißig. Sie nicht aussehen wie fünfunddreißig, aber ich niemanden habe in Ihr Alter. Die meisten älter.“

      „Vielleicht wird’s durchgehen. Ich nehme die beiden Jüngsten.“

      Er geht zu einem Schrank und holt ein Etui, aus dem er seine Kamera und das Stativ nimmt. Er installiert den Apparat, dann lässt er das Hintergrundrollo herunter. Ich warte stumm. „Stellen sich da hin“, sagt er und zeigt auf das Rollo.

      Ich zerzause mein Haar, dann stelle ich mich vor das Hintergrundbild und warte darauf, dass er die Aufnahme macht. „Woran sind sie gestorben?“

      Er unterbricht die Kameraeinstellung und lässt die Hände sinken. „Warum wollen Sie immer wissen? Wollen Sie Papiere oder nicht?“

      „Ich will nur sicher sein, dass ich niemandem die Identität stehle, der noch lebt.“

      „Ich nehmen nur Daten von Toten.“ Er schießt sein Foto, wirft einen missbilligenden Blick darauf und schießt noch eins. „2500 Dollar“, sagt er.

      Das reißt eine mächtige Lücke in meine Ersparnisse, aber ich weiß, dass ich noch sehr lange auf der Flucht sein werde. Vielleicht sogar für den Rest meines Lebens. „Die Hälfte jetzt, die andere Hälfte morgen?“, schlage ich vor.

      Er nickt.

      „Und dafür bekomme ich auch die Versicherungskarten?“

      „Ja“, bestätigt er. „Wie bei letzten Mal.“

      Ich will schon zur Hintertür hinausgehen, als ich hinter mir seine Stimme höre.

      „Unfall mit Auto“, sagt er und packt seine Kamera ein.

      Ich drehe mich um. „Was?“

      „Todesanzeigen nicht immer sagen, warum. Aber diese beiden waren Unfall mit Auto.“

      Ich schweige einen Moment. Ich stelle mir die Beerdigung vor, die Eltern, noch starr von dem Schock, wie sie der Trauergemeinde zunicken und Worten lauschen, die ihnen in den Ohren verschwimmen. Ich muss schlucken. „Okay“, sage ich. „Können Sie mir trotzdem die Namen nennen?“

      „Miranda Henley … Liana Winter …“, sagt er.

      „Okay“, sage ich. „Ich bin morgen wieder da. Halb acht?“

      „Ja. Und kommen pünktlich.“

      Ich checke im Hampton Inn als Miranda Henley ein und erzähle meine übliche Geschichte – dass ich bar zahlen muss, weil man mir meine Papiere gestohlen hat und ich noch keinen neuen Ausweis habe. Sie lassen sich die Übernachtung im Voraus bezahlen.

      Ich gehe in mein Zimmer und sinke in einen tiefen Schlaf, aus dem ich am nächsten Morgen tatsächlich erholt aufwache. Um halb sechs stehe ich auf, gehe nach unten zum Frühstücken, packe und checke aus. Ich erreiche Pedro’s Place ein wenig zu früh und klopfe an die Hintertür. Er öffnet nicht, also warte ich und sehe auf die Uhr. Exakt um halb acht öffnet er die Tür.

      Ich trete ein.

      Er sagt nichts und reicht mir nur einen Umschlag. Ich prüfe die Dokumente und sehe mein Bild im Führerschein von Miranda Henley und entsprechend auf ihrer Versicherungskarte. Und dasselbe in den Dokumenten von Liana Winter, die ich hoffentlich nicht brauchen werde. „Großartig.“ Ich hole den Umschlag mit dem restlichen Geld aus meiner Handtasche.

      Er hebt abwehrend die Hand. „Nein. Ich gebe Ihnen Geld zurück.“ Er holt die Scheine hervor, die ich ihm gestern gegeben habe, rollt sie zusammen und hält sie mir hin.

      Ich nehme sie nicht. „Warum? Haben Sie nicht gesagt, 2500?“

      Er spielt mit seinem kräftigen Schnurrbart. „Hab gelesen über Sie in Internet“, sagt er. „Unter Namen von letzte Mal.“

      Mein Herz stolpert. „Oh.“

      „Ich sehe, was Sie gemacht. Warum jetzt fliehen. Das Mädchen und Baby.“

      Ich sehe ihn erschrocken an. Jetzt kennt er meinen richtigen Namen und die Geschichte, die er nicht erfahren sollte. „Ich habe meinen Freund nicht getötet.“

      „Papiere sind aufs Haus. Jetzt Sie gehen.“

      Ich halte die Luft an. „Aufs Haus? Nein, das kann ich nicht annehmen. Bitte, lassen Sie mich …“

      Er legt seine Hand auf die meine und zwingt mich, die Rolle mit den Geldscheinen zu nehmen. „Sie haben gemacht richtig“, sagt er. „Ich auch machen richtig.“

      Jetzt stehen mir die Tränen in den Augen. „Danke, Pedro.“

      Er sagt nichts mehr, öffnet nur die Tür und lässt mich hinaus. Als ich draußen bin, stehe ich noch einen Moment da, überwältigt von seiner Großzügigkeit. Ich wische mir die Augen und gehe zurück in mein Hotel. Ich rufe ein Taxi und setze mich zum Warten auf den Bordstein. Wo soll ich nun hin?

      Als das Taxi kommt, habe ich noch immer nicht entschieden, was mein nächstes Ziel sein soll. Vielleicht sollte ich mir einfach einen oder zwei Tage Zeit lassen, um mir einen Plan zurechtzulegen. Ich lasse mich zu einem Motel am anderen Ende der Stadt bringen. Dort checke ich als Miranda Henley ein, zahle bar und muss noch eine beträchtliche Summe hinterlegen, für den Fall, dass ich das Zimmer verschmutze oder so. Dann versuche ich, einen klaren Kopf zu bekommen und meine nächsten Schritte zu planen.

      8

      Casey

      Ich hasse es, deprimiert zu sein. Das ist nicht mein Normalzustand, trotz der Wahrheiten, die mich seit Jahren verfolgen. Mein Verstand versucht, die Niedergeschlagenheit abzuschütteln und etwas zu finden, das mich zum Lächeln bringt. Aber diesmal heftet die Stimmung sich an mich und nimmt mich in Geiselhaft. Meine Augen fühlen sich an wie Reibeisen und ich möchte am liebsten im Bett bleiben und schlafen, bis der Albtraum endet. Aber wenn ich das versuche, versinke ich in dem Schrecken der Erinnerung daran, wie ich Brent gefunden habe, und ich wache zitternd und schweißgebadet auf und muss mich fragen, ob ich im Schlaf geschrien habe und mich vielleicht jemand durch die Wand gehört hat. Dann liege ich wach, wälze mich von einer Seite auf die andere, auf den Bauch, auf den Rücken, ziehe die Knie an, strecke mich wieder, versuche alles, um eine bequeme Lage zu finden, während mein Kopf schmerzt und meine Gedanken sich im Kreis drehen.

      Ich versuche, mich auf die einfachen Dinge zu konzentrieren – ausrechnen, wie viel Geld ich ausgegeben habe und wie viel mir noch bleibt, Listen schreiben, was ich besorgen muss. Aber alles kommt mir so sinnlos vor. Werde ich mich jemals aus dieser Situation befreien können? Und: Kann man vielleicht daran sterben?

      Dann nehmen meine Gedanken eine Richtung ins Morbide – ich, tot in einem Hotelbett, niemand sieht nach mir, bis man das Zimmer aufbricht, um das Geld für die Übernachtung einzutreiben. Sie kennen ja meinen wahren Namen nicht, also könnten sie auch niemanden benachrichtigen oder mir ein anständiges Begräbnis ausrichten. Meine Familie wird nie erfahren, was mir zugestoßen ist.

      Ich stehe auf, ziehe mir Schuhe an und gehe joggen. Ich bin nicht besonders fit – normalerweise jogge ich nicht –, aber heute tue ich’s und renne schneller, als es für Jogger üblich ist. Ich konzentriere mich ganz darauf, wie meine Füße auf dem Pflaster aufkommen, und auf mein


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