Alles Liebe - zum Fest der Hiebe. Tobias Bachmann

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Alles Liebe - zum Fest der Hiebe - Tobias Bachmann


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Geste. »Da vorne ist gerade die Hölle los.”

      Das stimmte allerdings. Sabrina war so auf die Einsortierung der Bücher konzentriert und zugleich mit ihren privaten Überlegungen beschäftigt gewesen, dass sie völlig ausgeblendet hatte, nach vorne zu gehen und zu helfen. Quengelige Kinder, genervte Mütter, dazwischen die etwas brüchige Stimme eines Senioren.

      Ihre Kollegin Mona hatte bestimmt jedes Kinder- und Jugendbuch, das neu war, mindestens zweimal selbst gelesen und wartete nur darauf, den richtigen Mann kennenzulernen, um möglichst bald selbst Mama zu werden und ihrem Sprössling vorlesen zu dürfen. In Sachen Buchgeschenke zu Weihnachten war sie gerade voll in ihrem Element: Eltern und Großeltern beraten.

      Abgesehen davon interessierten Mona nur noch Liebesromane, am liebsten mit einem satten Schuss Erotik, für Sabrina ein geradezu unerträglicher Gedanke. In ihren Augen war dieses Zeug durchwegs Schund. Wenn sie las, wollte sie ihr Wissen erweitern und nicht ihre Zeit mit unnützem Inhalt verschwenden.

      Ganz Profi in ihrem Job lächelte Sabrina den Mann freundlich an. Er suchte bestimmt ein Sachbuch. »Aus welchem Fachbereich ist denn das Buch, das Sie suchen?«

      Grübchen bildeten sich an seinen Mundwinkeln, als sein Lächeln breiter wurde und eine Reihe makelloser Zähne freigab. »Nun, wie man es nimmt – ich suche einen erotischen Liebesroman.« Seine Augen schienen vor Erwartung zu blitzen.

      Sabrina fühlte sich, als hätte man ihr einen Schlag in die Magengrube versetzt. »Liebesroman?«, murmelte sie. Na klar. Bestimmt war das ein Geschenk für seine Frau oder Freundin. Schließlich stand ja Weihnachten vor der Tür, und wenn »Mann« nichts Besseres einfiel, konnte er mit einem Buch bei einer Leseratte immer punkten. »Wissen Sie denn, welche Buchtitel die Dame in letzter Zeit gelesen hat, damit Sie ihr nichts schenken, was sie schon hat?«

      Sein Blick schien sie bis tief in ihr Innerstes zu durchbohren. Sie wäre ihm gerne ausgewichen, von dieser Intensität eigentümlich berührt, aber irgendwie fesselten sie diese graugrünen großen Augen, so dass es ihr nicht gelang, ihren Blick abzuwenden.

      Er schüttelte fast unmerklich den Kopf. »Ich werde das Buch nicht verschenken. Es ist für mich. Und da ich schon einiges gelesen habe, zu viel, um es einzeln aufzuzählen, interessieren mich vor allem die Neuerscheinungen.«

      Von ihrer falschen Vermutung schien er nicht im Mindesten unangenehm berührt. Im Gegenteil, offensichtlich stand er ganz und gar zu seiner Vorliebe.

      Das durfte nicht wahr sein! Ein ausgesprochen männlicher, attraktiver Typ, der schnöde Liebesromane las? Sabrinas Beurteilung sank auf Note 3. Und ausgerechnet sie sollte ihn beraten? Sabrina knurrte innerlich. Ob Mona wohl gewusst hatte, was der Mann suchte und ihn absichtlich zu ihr geschickt hatte, um sie zu ärgern? »Oh, na ja, hm, das wird schwierig.« Sabrina drehte sich um und ging zwei Regale weiter. Im Augenwinkel sah sie, wie er ihr folgte. Sie deutete mit einer Handbewegung über die Buchreihen, die ordentlich in Reih und Glied standen. Einige Bücher namhafter Autoren, von denen man gute Verkäufe erwarteten, waren auf speziellen Ständern platziert, mit dem Cover zum Betrachter. »Das ist alles, was wir haben”, säuselte Sabrina so freundlich wie möglich. »Sie können sich gerne umsehen oder sich auch dort hinsetzen und in Ruhe hinein schnuppern.« Sie deutete mit ihren rot lackierten Fingernägeln auf eine kleine Sitzecke mit zwei gemütlichen Sesseln und einem Beistelltisch. Der dahinter stehende Wasserbehälter war fast leer und der Stapel frischer Becher war ebenfalls bis auf wenige geschrumpft. Sie würde sich als nächstes darum kümmern müssen.

      Ihr Gegenüber zuckte fast unmerklich mit den Schultern. »Können Sie mir nicht direkt etwas von den Neuerscheinungen empfehlen, damit ich nicht solange suchen muss?«

      Hitze stieg in Sabrinas Gesicht auf, als sie zu dem Mann aufsah, der gut einen halben Kopf größer war als sie. Bei ihrem Gardemaß von einsneunundsiebzig eher eine Seltenheit. Sie pustete eine Strähne ihrer rostroten Locken zur Seite, die sich aus dem schwarzen Band gelöst hatte, das ihre schulterlange Mähne zusammenhielt. Verdammt, das war ihr schon lange nicht mehr passiert, dass sie jemand so in Verlegenheit brachte. Noch dazu war dieser jemand sehr gut aussehend und machte den Eindruck, als ob er gute Manieren hätte – und intelligent wäre. Wobei, woran erkennt man Intelligenz? Er hatte wache, interessierte Augen – oder bildete sie sich das nur ein? Auf jeden Fall entsprach er nicht ihrem Bild, das sie von Leuten hatte, die diesen Mist lasen.

      Sabrina bemühte sich, unter seinem durchdringenden Blick ruhig zu bleiben. Wann war sie zuletzt so nervös gewesen? »Nein, tut mir leid. Aber bei Romanen kenne ich mich gar nicht aus. Da müssten Sie warten, bis meine Kollegin Zeit für sie hat.«

      »Ach, das ist aber schade. Lesen Sie denn keine Romane?«

      Er sprach leise, so dass jemand, der auf der anderen Seite des Regals stünde, ihn nicht verstehen würde. Seine Stimme war betörend sanft und mit einem sinnlichen Vibrieren darin, wodurch sich der Aufruhr, der Sabrina erfasst hatte, von Sekunde zu Sekunde verstärkte. »Doch«, presste sie mühsam heraus. Wenn er doch wenigstens mal woanders hinschauen würde, zum Beispiel auf das Bücherregal, statt sie unverhohlen anzustarren. Mit diesen ungewöhnlichen Augen, die ihr jetzt noch viel dunkler und betörender vorkamen. »Doch, ich lese schon auch mal einen Roman. Aber eher selten, und nur wenn es um einen historischen Hintergrund geht. Ich befasse mich nicht mit diesem …« Sie stockte.

      »Mit diesem Schund?«, komplettierte er amüsiert ihren Satz.

      Hoffentlich lief sie nicht aus lauter Verlegenheit rot an. Ihre Wangen und Ohren fühlten sich wärmer an als zuvor. Was war nur los mit ihr? Es brachte sie doch sonst niemand so schnell aus der Fassung. Plötzlich war es sehr heiß in der Buchhandlung. Bestimmt hatte die verfrorene Mona wieder die Heizung zu weit aufgedreht. Sabrina sehnte sich nach dem kühlenden Luftzug eines Deckenventilators. Schweißperlen standen in ihrem Rücken und sie hätte sich gerne unbemerkt ihre Stirn abgewischt.

      »So wollte ich das nicht sagen. Geschmäcker sind ja zum Glück verschieden, sonst würden nicht so viele Bücher gekauft werden …«, versuchte sie, die Situation zu retten. Sie hatte gerade eine der Grundregeln für Buchhändler und Buchverkäufer verletzt: niemals dem Kunden zeigen, was man von seinen Interessen hält.

      Sein Lächeln verunsicherte sie noch mehr. Sie hätte besser damit umgehen können, wenn er aufgrund ihrer abwertenden Meinung eingeschnappt gewesen wäre.

      »Natürlich wollten Sie das so nicht sagen, aber vermutlich haben Sie es gedacht. Das macht ja auch nichts. So wie es aussieht, könnte wohl eher ich sie zu diesem Thema beraten, als sie mich«, schmunzelte der Fremde.

      »Ja, bestimmt. Ich werde mal sehen, ob meine Kollegin mittlerweile Zeit hat. Sie kennt sich bei diesen Büchern wirklich besser aus.«

      Als Sabrina sich hektisch umdrehte, stieß sie gegen einen Ständer, auf dem die Sonderedition einer Erotikreihe präsentiert wurde. Sie wäre rücklings gestürzt, hätte der Käufer nicht in letzter Sekunde mit kräftiger Hand ihren Arm gepackt und dies verhindert.»Hoppla!«

      Für einen Augenblick sahen sie sich direkt in die Augen und sein Blick brannte sich tief in ihr Innerstes, dann löste er seinen Griff und Sabrina schaute sich irritiert nach den herabgefallenen Büchern um.»So ein Mist!«, entfuhr es ihr. Hoffentlich hatte keines der Bücher Schaden genommen. Jedenfalls hatte sie sich jetzt vollends blamiert. Keine Ahnung von Liebes- und Erotikromanen und dann auch noch ein Verhalten wie der Elefant im Porzellanladen.

      Als sie sich bückte, ging der Kunde ebenfalls in die Hocke, um ihr zu helfen. Es kam Sabrina vor, als würde sie von den schönen, nackten Frauen auf den Buchumschlägen verhöhnt. Ausnahmslos waren sie so fotografiert, dass sie den Betrachter direkt anschauten.

      Der Fremde schmunzelte und hielt ihr mit gezieltem Griff eines der Bücher entgegen. »Das hier ist beispielsweise eines meiner Lieblingsbücher. Die Autorin beschreibt, wie die Protagonistin einen Aushilfsjob in einem Bordell annimmt, also wohlgemerkt, als Animierdame, nicht als Hure. Aber dann wird ein Kunde auf sie aufmerksam, der so attraktiv ist und so hartnäckig um sie wirbt, dass sie ihm irgendwann nicht mehr widerstehen kann und – schwups – ist sie mittendrin in einem äußerst erotischen Abenteuer. Man kann das Buch nicht weglegen, ehe man es ausgelesen


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