Alles Liebe - zum Fest der Hiebe. Tobias Bachmann

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Alles Liebe - zum Fest der Hiebe - Tobias Bachmann


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Einerseits interessierte sie der Inhalt dieses oder ähnlicher Bücher überhaupt nicht. Gefühlskitsch bis hin zum Porno. Oberflächliche Unterhaltungslektüre, unrealistisch. Andererseits, ermahnte sie sich noch einmal, lautete eine der Regeln in ihrem Job, immer freundlich zu bleiben und den Kunden nicht vor den Kopf zu stoßen. Immerhin lebte sie davon, dass die Leser bei ihr Bücher kauften, egal ob Fachbuch oder Roman, und ob sie selbst diesen Geschmack teilte, war vollkommen

      unerheblich.

      Aber als könne er ihre Gedanken erraten, fuhr der Fremde mit seiner Erklärung fort: »Wissen Sie, es ist ja nicht wichtig, ob die Story der Realität entspricht. Es könnte so passieren, vielleicht – Hauptsache es ist sinnlich, spannend, und – ah, da ist ja auch der neue Roman der Autorin. Ich dachte, der kommt erst nächsten Monat raus.« Er nahm eines der anderen Bücher in die Hand, richtete sich auf, überflog die Kurzbeschreibung auf der Rückseite des Buches und nickte zufrieden. »Genau, das ist es. Von dieser Autorin kann man einfach alles lesen. Das nehme ich.«

      Er sah Sabrina mit zufriedener Miene an. »Sie sollten sich wirklich mal eines von diesen Büchern vornehmen.« Dann lächelte er wieder. »Damit wir uns beim nächsten Mal darüber unterhalten können. Auf Wiedersehen.«

      Sabrina schaute ihm sprachlos hinterher. Dieser arrogante Schnösel erlaubte sich tatsächlich, ihr einen Buchtipp zu geben. Ihr Blut kochte vor Empörung. Den Teufel würde sie tun, diesen Mist zu lesen! Reine Zeitverschwendung.

      Wie doch die äußere Fassade täuschen konnte. Sie wäre niemals darauf gekommen, dass dieser gut aussehende Mann Frauenromane las, erotische wohlgemerkt. Vielleicht sah er ja doch nicht ganz so gut aus? Ach was. Kopfschüttelnd kehrte Sabrina zu dem Karton mit den Büchern zurück, die ausgepackt werden sollten, und fuhr mit dem Einsortieren fort.

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      Es vergingen etwa zwei Wochen und Sabrina hatte die Begegnung mit dem merkwürdigen Fremden völlig aus ihrem Gedächtnis gestrichen, als er plötzlich wieder die Buchhandlung betrat. Sabrina hörte zunächst nur seine Stimme, die sie sofort wieder erkannte, ging hinter einem Regal in Deckung und spähte vorsichtig durch eine kleine Lücke zwischen zwei Büchern hindurch. Auch diesmal sah er wieder wie aus dem Ei gepellt aus, dem Schneetreiben vor der Tür angemessen mit Schal und dicker Jacke bekleidet.

      Ruckartig wandte sie sich ab und flüchtete leise zwischen den Regalen hindurch in den dahinter liegenden Mitarbeiterbereich. Nein, sie wollte diesem Kunden nicht begegnen und die Diskussion über seine unseligen Bücher von Neuem aufnehmen. Sie würde einfach ein paar Minuten auf der Toilette bleiben und ihm auf diese Weise ausweichen. Bis sie hinauskam, hatte er sich bestimmt schon für ein neues Buch entschieden, bezahlt und war wieder gegangen. Sollten doch ihre Kolleginnen sich um seine Wünsche kümmern, die für dieses Genre Feuer und Flamme waren.

      Sabrina schaute kurz nach links, nach rechts und atmete erleichtert auf. Gefahr vorüber. Zehn lange Minuten hatte sie es ausgehalten, um der unerwünschten Begegnung auszuweichen, und die Zeit genutzt, ihr Makeup ein wenig aufzufrischen. Mit forschen Schritten ging sie zwischen den Regalen nach vorne und wäre beinahe mit dem Kunden zusammengestoßen, als er unverhofft hinter einem Regal hervortrat.

      »Hoppla – da sind Sie ja! Ihre Kolleginnen wollten schon eine Vermisstenanzeige aufgeben«, begrüßte er sie lächelnd.

      »Ach ja?«, entgegnete Sabrina kurz angebunden, was ihr Gegenüber aber gar nicht wahrzunehmen schien.

      »Es ist schön, dass ich Sie antreffe, ich wollte Ihnen nämlich unbedingt sagen, dass das Buch super geschrieben ist. Das wird bestimmt ein Bestseller. Haben Sie es schon gelesen?«

      »Nein«, entgegnete Sabrina wahrheitsgemäß. »Und das werde ich auch nicht. Dieses nicht und die anderen auch nicht«, fügte sie unwilliger hinzu, als sie wollte. Warum konnte er sie nicht einfach mit diesem Mist in Ruhe lassen? Schön, wenn es ihm gefiel, so kam Umsatz in die Kasse. Aber das bedeutete nicht, dass sie sich dafür interessieren musste. Forsch versuchte sie sich an ihm vorbei zu schieben, aber er ging nicht auf die Seite und sie sah verärgert zu ihm auf.

      Der Fremde lachte. »Und ich dachte schon, Sie wären über die Inhalte schockiert. Mag ja vorkommen, wenn man das erste Mal so einen Erotikroman liest und merkt, wie anregend das sein kann.« Er zwinkerte sie verschwörerisch an. »Aber wenn Sie noch nie eines gelesen haben, dann können Sie sich ja gar kein Urteil erlauben. Das sollten wir ändern.«

      Er nahm sie sanft am Oberarm und zog sie mit sich.

      Dieser unverschämte Kerl, was fiel ihm ein! Sabrinas Kopf begehrte auf und forderte eine Gegenmaßnahme, ihre Gliedmaßen waren jedoch wie gelähmt. Sie schaffte es weder, sich seinem Griff zu entwinden, noch zu widersprechen. Endlich ließ er ihren Arm los, aber nur, um ein Buch aus dem Regal zu nehmen und ihr resolut in die Hand zu drücken. »Hier, fangen Sie damit an. Ein sanfter und romantischer Einstieg in die Welt der Liebe und die Sinnlichkeit der Unterwerfung.«

      Unterwerfung? Sabrinas Nackenhaare sträubten sich. Und überhaupt – was hatte sein forschender Blick zu bedeuten? »Es ist wirklich gut geschrieben. Glauben Sie mir, Sie werden nicht aufhören zu lesen, ehe Sie auf der letzten Seite angekommen sind.«

      Das hatte er schon einmal behauptet und sie hatte es dennoch nicht gelesen.»Na gut, wenn Sie meinen«, versprach sie, um ihn loszuwerden und tatsächlich schien diese Schutzbehauptung zu wirken, denn er verabschiedete sich mit einem warmen Händedruck und wünschte ihr einen schönen Feierabend.

      Sabrina wartete noch eine Weile, nachdem der Kunde die Buchhandlung verlassen hatte, dann stellte sie das Buch ins Regal zurück. Allerdings nicht, ohne zuvor den Klappentext gelesen zu haben. Kopfschüttelnd ging sie danach wieder an ihre Arbeit. Leute, die dieses Zeug lasen, hatten bestimmt irgendwelche Persönlichkeitsprobleme oder waren ganz einfach pervers.

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      Der Stachel der Unwissenheit saß allerdings tief. Viel tiefer, als Sabrina sich zunächst eingestehen wollte. Schlaflos wälzte sie sich im Bett herum. Die Stimme des Fremden und seine Worte gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf. Es war wie ein Echo, das immer und immer wieder angestimmt wurde, wie der Ohrwurm eines lästigen Liedes, das man im Radio gehört hat.

      Vielleicht musste sie dem Kerl ein kleines bisschen recht geben, aber nur ein ganz kleines bisschen, mehr wäre ein Zuviel der Selbsterkenntnis gewesen. Es stimmte schon. Über Literatur, die sie noch nie gelesen hatte, durfte sie sich keine Meinung erlauben. Also würde sie das ändern. Sie würde diese Lücke schließen, nur um sich selbst (und ihm) zu beweisen, dass sie intuitiv mit ihrem Urteil richtig gelegen war.

      Gleich am nächsten Morgen steckte sie ein Exemplar des von ihm so hoch gelobten Romans in ihre Handtasche. Eine unerklärliche Unruhe erfasste sie, mit dem Lesen zu beginnen. Wie sollte sie dem Kunden gegenüber treten, wenn er wieder kam und sie erneut mit ihrer Unwissenheit provozierte? Nein, das würde ihr nicht noch einmal passieren. Da sie zur Gattung der Schnellleser gehörte, würde sie das Buch am heutigen Abend verschlingen. Es war ja auch unwesentlich, ob sie jedes Wort las. Ein schnelles Überfliegen würde sicherlich genügen, und dabei konnte sie sich selbst davon überzeugen, dass diese Texte das Papier nicht wert waren, auf das man sie druckte.

      Ungeduldig erwartete Sabrina den Abend. Aber als sie endlich Feierabend hatte und zuhause ankam, scheute sie sich, das Buch aufzuschlagen. Das war doch albern, was sie vorhatte. Wo bitte schön stand geschrieben, dass sie sich in allen Genres auskennen und von allem etwas gelesen haben musste? Am besten erst mal kochen, ihr Magen knurrte schon unwillig. Am besten sie warf den Backofen an und schob eine tiefgefrorene Gemüserolle hinein, dann könnte sie ohne Aufwand in gut zwanzig Minuten etwas Leckeres essen …

      Während Sabrina auf das erlösende »Drrr« der Zeitschaltuhr wartete, starrte sie das Buch an, das vor ihr auf dem Küchentisch lag. Schon alleine dieser Umschlag war eine Provokation. Diese nackte Frau, die die rücklings in einem goldenen Ring lag] und den Betrachter herausfordernd ansah. War das nicht sexistisch, entwürdigend? Die Frau als bloßes Lustobjekt darzustellen?

      Sabrina schnaubte.


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