Alles Liebe - zum Fest der Hiebe. Tobias Bachmann

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Alles Liebe - zum Fest der Hiebe - Tobias Bachmann


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und doch fast taghelles Licht, in dem es überall funkelte und strahlte.

      Mit sich selbst im Unreinen schlenderte Sabrina von einem Schaufenster zum nächsten, ohne die aufwändigen Dekorationen bewusst in sich aufzunehmen und sich davon in eine weihnachtliche Vorfreude versetzen zu lassen. Ihr Innerstes war so aufgewühlt wie schon lange nicht mehr. Wie hatte Mona das bemerkt? Stand auf ihrer Stirn geschrieben: treffe mich heute mit Mister Unbekannt, der leidenschaftlich(e) Romane liest. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist, dem zuzustimmen.

      Dieses doofe Buch, das sie vergangene Nacht gelesen hatte, war ihr den ganzen Tag über nicht mehr aus dem Kopf gegangen, ebenso wenig wie ihr Kavalier, denn dieser stand jetzt plötzlich vor ihr. »Du hast schon Feierabend?«, fragte er mit samtiger Stimme und überreichte ihr einen Strauß rosaroter Rosen. Sie sahen nicht nur wunderschön aus, sie dufteten auch verführerisch.

      Sofort schlug Sabrinas Herz einige Takte schneller. »Danke«, mehr brachte sie nicht über die Lippen.

      Es war schon eine Weile her, dass ihr jemand Blumen geschenkt hatte, noch dazu einen so wundervollen Strauß, und das hatte sie gewiss nicht erwartet. Das war überaus romantisch und es machte sie verlegen.

      »Gehen wir, Sabrina?«

      Jo wirkte sehr zufrieden, bot ihr ganz Kavalier seinen Arm an und sie hängte sich verwirrt bei ihm ein, im anderen Arm behutsam die Rosen an sich drückend.

      Sabrina hatte alles Mögliche und Unmögliche erwartet, dass er den ganzen Abend über sich und seine Erfolge reden würde, mit Errungenschaften wie einem tollen Auto oder seiner Eigentumswohnung prahlend. Irgendwann nutzte jeder Mann die Gelegenheit zur perfekten Selbstinszenierung. So hatte sie es bislang kennenlernt. Die andere Variante war, dass er sie sofort in seine Wohnung locken und zu einem One-Night-Stand verführen wollte.

      Aber weder das eine noch das andere geschah.

      Jo bestellte das Essen, da Sabrina viel zu aufgeregt war, um sich für ein Gericht zu entscheiden, dazu einen Rotwein und auf ihre Bitte hin auch Mineralwasser. Er fragte sie nach ihren Wünschen, wie sie sich ihr künftiges Leben vorstellte und wie von selbst flossen Sabrinas innerste Sehnsüchte nach einem liebevollen, verständnisvollen Lebensgefährten von ihren Lippen, nach Sicherheit und später, ja, da wollte sie gerne auch ein oder zwei Kinder. Schließlich unterhielten sie sich sogar über die erotische Lektüre, die er ihr empfohlen hatte.

      Auch jetzt schaffte Sabrina es nicht, ihre ganz persönlichen Empfindungen für sich zu behalten. Geschickt entlockte Jo ihr das Geständnis, dass sie beim Lesen der Geschichte erregt gewesen war.

      Es war ihr ein wenig peinlich und es fiel ihr schwer, seinem Blick standzuhalten. Ihr Begleiter strahlte eine ruhige Dominanz aus, ohne viele Worte, ohne besondere Gesten. Diese Dominanz war einfach da. Was er wissen wollte, kitzelte dieser Mann auf eine überaus geschickte rhetorische Weise aus ihr heraus, so dass sie es erst merkte, als es schon zu spät war. Oder war es die Wirkung des Rotweins, der ihre Sinne und ihr Reaktionsvermögen so sehr benebelt hatte?

      Für einen kurzen Augenblick wünschte sie sich, er würde sie in den Arm nehmen, sie leidenschaftlich küssen, unsittlich berühren und sie – verführen.

      Sabrina fand erst wieder richtig zu sich selbst, als sie später, von ihm fürsorglich nach Hause begleitet, alleine in ihrem Bett lag. Doch obwohl sie müde war und herzhaft gähnen musste, war sie innerlich viel zu aufgewühlt und ihr Körper von einem alles verzehrenden Feuer erfüllt, so dass an Schlafen nicht zu denken war. Da half nur noch eines: eine kalte Dusche, um wieder die Kontrolle über sich selbst zu übernehmen.

      Tag um Tag überlegte Sabrina, was Jo wirklich von ihr wollte. Er war ihrer Meinung nach einfach nicht der Typ Mann, der sich mit einer kleinen Buchhändlerin, wie sie es war, zu einem Smalltalk traf. Abend um Abend nahm sie sich vor, ihn zu fragen, was er beabsichtige, aber wenn sie ihm gegenüber stand, traute sie sich nicht mehr. Der Blick aus seinen Augen paralysierte sie und jede Berührung durch seine Hand war wie ein sensorischer Stromstoß. Die zurecht gelegte Frage blieb ihr in der Kehle stecken, als wäre diese zu eng.

      War es ihr zuvor schon wichtig gewesen, für sich selbst gut gekleidet zu sein, in dem Bewusstsein täglich Kunden gegenüber zu treten, so legte sie nun noch mehr Wert darauf. Akribisch achtete sie auf Abwechslung, auf die richtige Kombination von Kleid, Schuhen und Handtasche. Um von ihren etwas fülligeren Hüften abzulenken trug sie Blusen und Kleider, die ihr schönes Dekollete und ihren festen Busen betonten. Ob ihm gefiel, was er sah? Mochte er ihre Sommersprossen, die vorwitzige Stupsnase und ihre freche rostrote Mähne?

      Es gab einige Gemeinsamkeiten zwischen ihnen, aber auch viele Unterschiede, soviel hatte sich inzwischen heraus kristallisiert. Es war interessant, mit ihm zu diskutieren und seine Meinung kennenzulernen. Er hatte ihr erzählt, dass er eine Firma besäße, die Sonnenkollektoren herstelle – Sabrina hatte nicht alles verstanden, was er ihr zu ihrem Verständnis erklärt hatte. Er war gebildet und belesen. Zwei bis drei der großen Tageszeitungen gehörten zu seinem täglichen Programm. Nur diese Art spezieller Romane passten für Sabrina nicht ins Gesamtbild, auch wenn Jo behauptete, diese wären ein sinnlicher Ausgleich zum Alltag und würden ihn entspannen.

      Eines war hingegen sonnenklar. Die Stunden mit Jo vergingen wie im Flug und sie freute sich inzwischen darauf. Allmählich gewann sie zudem den Eindruck, dass vielleicht doch sie diejenige war, die sich in eine falsche Meinung verrannt hatte. Tagsüber beobachtete sie ein wenig genauer, welche Käufer vor dem Regal mit den erotischen Romanen standen und diese kauften, und das waren am wenigsten gelangweilte Hausfrauen, wie sie bislang vermutet hatte. Die meisten waren selbstbewusste, moderne Frauen verschiedenen Alters. Ein Drittel der Käufer waren Männer, und Sabrina glaubte inzwischen nicht mehr, dass diese die Bücher zum Verschenken kauften.

      Sie achtete darauf, welche Bücher bevorzugt gekauft wurden und nahm heimlich einige davon mit nach Hause. Das Geld legte sie in die Kasse, wenn gerade keine ihrer Kolleginnen in der Nähe war. Niemand brauchte zu wissen, für welche Lektüre sie sich neuerdings interessierte.

      Es wurden lange Nächte mit wenig Schlaf, denn nach jedem Treffen mit Jo war Sabrina viel zu aufgewühlt, um gleich ins Bett zu gehen. Stattdessen fing sie an zu lesen – um sich abzulenken. Ob es ihm wohl genauso ging wie ihr? Ruhelos, entsetzt und zugleich fasziniert jagten ihren Augen über die Zeilen, fraßen sich durch die Geschichten und versetzten ihren Körper in einen nie gekannten Strudel aus Sehnsucht und Lust. Es gelang ihr nicht länger, sich dagegen zu sträuben. Die Bücher zogen sie in ihren Bann und sie fühlte sich hoffnungslos darin verloren.

      Und dann war die Vorweihnachtszeit zu Ende und ein turbulenter vierundzwanzigster Dezember erwachte. Panikkäufer gaben sich den ganzen Vormittag über die Klinke der Buchhandlungstür in die Hand und wollten trotz der allgemeinen Hektik persönlich beraten werden. Sabrina und ihre Kolleginnen hetzten zwischen Bücherregalen, weihnachtlichem Geschenkpapier und der Kasse hin und her. Das »Ho, Ho, Ho« des amerikanischen Weihnachtsmannes ging an diesem Tag völlig im Stimmengewirr unter. Eine Girlande mit kleinen Weihnachtskugeln löste sich von der Decke und verteilte auf dem Fußboden bunte Splitter. Ein von der Vorfreude auf Geschenke überdrehtes Kind riss einen Bücherstapel um … Dann fiel endlich die Ladentür hinter dem letzten Käufer ins Schloss und auch für Sabrina begann der gemütlichere Teil des Tages.

      Ein nervöses Kribbeln nahm sie in Besitz, als Sabrina vor dem Haus ankam. Jo hatte sie wie immer abholen wollen. Aber da Sabrina nicht wusste, ob sie den Laden an diesem besonderen Tag pünktlich schließen würden, hatte sie ihn überredet, zuhause auf sie zu warten. In seinem Zuhause. Denn – Jo hatte sie zum ersten Mal zu sich, in seine Wohnung eingeladen.

      Er begrüßte sie mit einem sanften Kuss auf die Lippen, dann nahm er ihr den Mantel ab und bat sie herein. Seine Drei-Zimmer-Neubau-Wohnung war geschmackvoll eingerichtet. Alles war modern und praktisch, aber mit Stil ausgewählt. Die Wände waren weiß oder in pastelligen Farben gestrichen, das Wohnzimmer von einer roten Ledercouch und einem langen schwarzen Bücherregal dominiert. Alles in allem eine Wohnung zum Wohlfühlen.

      Ein paar Accessoires würden allerdings nicht schaden, überlegte Sabrina. So ein bisschen Schnickschnack, der da oder dort herumsteht. Dinge, die man nicht braucht, die einfach


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