Alles Liebe - zum Fest der Hiebe. Tobias Bachmann

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Alles Liebe - zum Fest der Hiebe - Tobias Bachmann


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würde …

       Boléro

       Jona Mondlicht

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      »Das war ein schöner Abend, oder?« Mit einem einzigen Atemzug löscht er das Licht der letzten Kerze. Ein dünner Rauchfaden entwindet sich dem Docht, der Zweig der Nordmanntanne wippt leicht nach. Er beschaut sich den kleinen Baum noch einmal von allen Seiten. Gesund gewachsen ist er. Und dann so sorgfältig geschmückt. Mit pinkfarbenen Kugeln und Lametta. Gleichmäßig verteilt. Wie viel Mühe muss sich Linda gegeben haben, um die Weihnachtstanne so herauszuputzen. Und wie lange muss sie gesucht haben, um diese Kugeln in der hintersten Ecke des Kellers zu entdecken. So viel Engagement. Obwohl sie weiß, dass er Pink hasst. Eine Farbe, die er naiv und laut zugleich empfindet. »Ja, ein schöner Abend«, antwortet er sich selbst. »Oder etwa nicht?«

      Linda seufzt. Sie hat es sich auf dem Sofa bequem gemacht.

      In den Augenwinkeln sieht er, wie sie die Beine ausstreckt. Sie hat ihr schickes Outfit schon kurz nach der Bescherung gegen eine Jogginghose getauscht. In ihrem tiefroten Bleistiftkleid sah sie sensationell aus, erinnert er sich. Festlich. Edel. Und doch irgendwo zwischen verführerisch und verrucht. Alles zusammen. Und nun? Ein viel zu oft gewaschener, schlappriger Stoff. Farblos. Wenigstens nicht pink, denkt er amüsiert.

      »Haben wir noch einen Rest dieser leckeren Plätzchen?«, fragt er. Natürlich haben sie keinen. Die Plätzchen sind längst alle. Er selbst hat die Dose schon gestern bis auf den glänzenden Blechboden geleert. Schokoladenplätzchen. Sie weiß, dass er sie mag. Darum hätte sie die Dose niemals so früh und so offen auf den Tisch stellen dürfen. Aber darum geht es jetzt nicht. »Haben wir?«

      Linda fixiert ihn mit einem gespannten Blick. »Weiß ich nicht.«

      Aber sicher weiß sie es. Sie selbst hat die leere Dose schimpfend in die Küche gebracht. Gestern. Und sie hat es nicht vergessen. Er lächelt. Und krempelt sich die Ärmel seines weißen Hemdes nach oben. Als hätte er eine schwere Aufgabe vor sich, die es zu erledigen gäbe. Dabei ist es kinderleicht. Er hat schon längst gewonnen. Was er hier tut, ist lediglich das Auslaufen. Die Ehrenrunde. Nur Linda scheint es nicht bemerkt zu haben. Sie ist noch mitten im Rennen.

      »Schau doch nach«, sagt sie trocken.

      »Nachher. Vielleicht.« Er blickt kurz aus dem Fenster. Dunkel ist es draußen. Der Winter hat die Landschaft sanft eingehüllt. Er sieht ein paar Schneeflocken. Und er sieht das Spiegelbild von Linda. Sie beugt sich langsam über den Rand des Sofas und schaut ihm hinterher. Wie eine Katze verrenkt sie sich dabei. Er ist sicher, sie würde auch so schnurren, wenn sie nur könnte. Er mag sie aber lieber fauchend.

      »Ein wenig Musik, bevor wir den Abend beenden?«, fragt er laut und der Hauch seiner Stimme zeichnet einen kleinen Kreis auf das kalte Fensterglas. Er sieht, wie Linda erschrocken den Kopf einzieht und sich schnell wieder auf dem Sofa positioniert.

      »Mir egal«, sagt sie gedehnt. Linda wirft den Kopf zurück. Ihre langen Haare fallen ihr über den Rücken. Schön ist sie. »Oder nein«, besinnt sie sich schließlich. »Nicht egal. Irgendetwas Rockiges.«

      Er muss sich mühen, ernst zu bleiben. Alles hätte jetzt gepasst, alles hätte sie gemocht. Nur nichts Rockiges. Das sagt sie nur. Langsam geht er zur Schrankwand, streift vorsichtig mit dem Zeigefinger über den Stapel Papphüllen. Auf und ab. Dann entscheidet er sich für die Mitte. Boléro. Maurice Ravel. Das passt, denkt er, und zieht die schwarze Vinylscheibe aus der Papierhülle.

      Als er die ersten leisen Takte und das Knacken der Platte hört, dreht er sich um. Auf dem Tisch liegen die Socken von Linda. Mittig. Ausgebreitet. Wie drapiert. Eben lagen sie noch nicht dort. Er schaut aus einem Affekt heraus zu ihr und erwischt einen neugierigen Blick, bevor sie sich schnell wegdreht. »Es war nichts Rockigeres da«, merkt er an.

      Linda wackelt mit den Zehen. Gelangweilt.

      Er gähnt. Gespielt.

      Die Querflöte findet zum ersten Mal ihre Melodie zur kleinen Rührtrommel. Wiederholt sie.

      »Na gut«, meint Linda enttäuscht und richtet sich auf. »Heiligabend ist vorbei.« Sie schaut verächtlich zum Plattenspieler. »Hier rockt heute nichts mehr.«

      Doch, denkt er. Mehr, als du glaubst, Süße.

      Er setzt sich neben sie. Das Sofa sinkt ein. Er ist ihr so nah, dass er sie riechen kann. Und wie gern er das tut. Vor allem dann, wenn er auf Witterung geht. Ihr Duft ändert sich, wenn sie sich anbietet.

      Linda zuckt mit den Schultern. Ahnungslos.

      »Pinkfarbene Weihnachtskugeln«, sagt er plötzlich und laut. Mitten in den Raum. Ohne Linda anzusehen. Er weiß, dass sie zusammenzuckt. »Leere Plätzchendose«, ergänzt er.

      Neben ihm bleibt es still. Nur ein Fagott gesellt sich in den Raumklang.

      »Schlapprige Jogginghose. Strümpfe auf dem Tisch.« Er intoniert es wie ein Stakkato. Passend zur Musik. Und so, wie diese Fahrt aufnimmt, tut es auch er. »Die alte Tischdecke. Deine quer im Flur stehenden Schuhe. Der nur halb geschlossene Reißverschluss im Kleid.«

      Oboe und Trompete stimmen ihm zu.

      »Die offene Schranktür. Das laute und affektierte Lachen am Telefon. Die fünfte Räucherkerze.« Er schaut zu Linda. Ihre Augen sind riesig. Vielleicht aus Freude, vielleicht aber auch nicht. Das wird sich herausstellen. »Alles Dinge, die ich hasse. Von denen du weißt, dass ich sie hasse. Stimmt’s?«

      Die Musik wird lauter. Linda beißt sich auf die Unterlippe.

      Er greift ihr in den Nacken, als die Trompete zum Solo ansetzt. Mit einer kräftigen Bewegung zwingt er Linda, sich auf dem Sofa zu drehen, positioniert ihren Kopf auf der Lehne.

      Sie schreit überrascht auf. Mit den Händen versucht sie sich abzustützen. Hastig. Rechts und links. Sie findet keinen Halt auf dem glatten Leder des Sofas.

      Er ergreift mit der anderen Hand ihren Hosenbund. Zieht ihn mit einem Ruck nach unten, so dass der Stoff knackt. Kein Slip, denkt er. Noch etwas, das er der Liste hätte anfügen können. Wenn er es schon gewusst hätte. Aber er will nicht kleinlich sein.

      Linda windet sich, kann sich seinem festen Griff in ihrem Nacken jedoch nicht entziehen. Sie versucht, ihren Kopf schräg zu legen, aber er lässt es nicht zu. Wie ein Schraubstock hält er sie in der Position.

      »Ich frage mich, Linda, wieso so viele Dinge ausgerechnet an Heiligabend passieren. Ausgerechnet dir. Und ausgerechnet all das, was ich überhaupt nicht mag.« Er streicht mit der Handfläche über die nackte Haut ihres Hinterns. »Hast du darauf eine Antwort?«

      »Zufall«, quetscht sie heraus. Sofort. Eine zurechtgelegte Reaktion.

      Das Horn bricht dramatisch in die Melodie ein.

      Mit einer kräftigen Bewegung setzt er einen Hieb. Auf das aufgeblätterte, empfindliche und schutzlose Stück Haut zwischen heruntergezogenem Hosenbund und bis auf den Rücken gerutschtem Shirt. Es klatscht. Die Musik kann es nicht übertönen.

      Linda quietscht. Ihr Körper ruckt nach vorn. Ganz gleich, ob sie damit gerechnet hat oder nicht – die Härte des Schlages hat sie überrascht. Nicht alles verläuft nach ihrem Plan.

      »Hast du auch eine ehrliche Antwort?« Er legt seine Handfläche wieder auf ihren Hintern. Greift noch einmal fester in ihren Nacken und unterbindet konsequent Lindas Versuch, ihren Körper zur Seite zu drehen.

      Sie beginnt zu schweigen. Vollständig.

      Ein zweiter Schlag trifft sie. Wuchtiger. Nachhaltiger. Linda schnappt nach Luft. Sie zieht den Kopf nach unten und presst ihre Stirn gegen die Lehne. Was soll sie schon antworten. Es waren keine Zufälle. Natürlich nicht.

      Die Melodie wechselt von C-Dur zu A-Moll.

      »Na gut«, meint er hinter ihr und rückt sich zurecht.


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