Du gehörst mir. Peter Middendorp

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Du gehörst mir - Peter Middendorp


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Haus das letzte Mal etwas getan worden?»

      Am selben Abend – ich denke, es war derselbe Abend, es kann auch ein paar Abende später gewesen sein – saßen wir nach dem Essen im Wohnzimmer, die Kinder lagen gerade im Bett. Unerwartet stand Ada vom Sofa auf. «Mir kommt auf einmal eine gute Idee», sagte sie. «Ein Wintergarten. Ja, ein Wintergarten. Wir müssten hier eigentlich einen Wintergarten anbauen.»

      Sie drehte sich zu uns um und strahlte. «Ja», sagte sie. «Ein Wintergarten, ein Anbau, mit ganz viel Glas, das macht es hier drinnen gleich ein Stück geräumiger.»

      Es wurde still im Wohnzimmer, die Stille berappelte sich wieder. Mutter schaute zu Vater.

      Vater saß in seinem Sessel vor dem Fernseher, das Bein und den Stumpf ein Stück auseinander, der Bauch musste atmen können, und rieb mit der Hand über die Stelle im luftleeren Raum, wo sich sein linkes Bein befunden hatte, das beinförmige Loch in der Wirklichkeit.

      «Für den Wert des Hauses», sagte Ada, «ist ein Wintergarten übrigens auch nicht schlecht. Echt, alle wollen heutzutage einen Wintergarten. Das treibt den Preis gleich in die Höhe.»

      «Ja», sagte Vater. «Gute Idee. Was machen wir mit einem Wintergarten?»

      Ada ging zu dem Tisch und schob diesen andeutungsweise an die Stelle, wo er in ihrer Vorstellung stehen würde. «Also», sagte sie, «dann kann der da schön stehen, im Wintergarten.» Sie hob den Kopf und lachte. «Stellt euch mal vor, wie viel zusätzliches Licht man dann bekommt.»

      «Platz, um den Tisch hinzustellen», sagte Vater. «Platz, um den Tisch hinzustellen. Ja, ich verstehe. Aber dürfte ich dir dann eine Frage stellen? Wo steht er jetzt?»

      «Ja», sagte Ada. «Tja.» Sie verstand die Frage nicht ganz, sie verstand nicht, worauf er hinauswollte, was er hören wollte und was nicht – das Einzige, was sie verstand, was sie zu verstehen können meinte, war, dass es sich vermutlich um eine Fangfrage handelte. «Ja», sagte sie leise. «Der Tisch steht hier. Wo er halt immer steht.»

      «Genau», ächzte Vater – das beinförmige Loch in der Wirklichkeit hatte sich mit Phantomschmerz vollgesogen. «Der Tisch steht, wo er jetzt steht. Er steht, wo er immer steht, wo er schon stand, als Tille noch geboren werden musste. Aber lass mich dich noch etwas fragen, wenn du gestattest – was machen wir dann mit dem Platz, wo der Tisch jetzt steht?»

      «Ja», sagte Ada. «Ja, nichts halt. Der ist dann einfach da, der Platz. Das ist doch gerade schön, das macht es im Haus doch angenehmer. Dass man mehr Luft zum Atmen hat. Zum Bewegen. So groß ist es hier ja wirklich nicht. Wir alle könnten durchaus etwas mehr Raum gebrauchen.»

      «Und diesen Raum nutzt du», sagte Vater mit reibender Hand, «wenn ich es richtig verstanden habe, um ihn dir anzusehen. Um dich hineinzustellen. Richtig? Ja, das tust du damit, mit dem neuen Raum, was sonst sollst du damit anfangen. Du stellst dich hinein. Und sonst nutzt jemand anderes ihn, um sich hineinzustellen. Ist es nicht so? Ein Wintergarten kostet an die zwanzigtausend. Zwanzigtausend Euro für etwas zusätzliche Stehfläche. Ist es nicht so?»

      «Früher stand hier nie jemand», sagte Mutter. «Es war nicht nötig, sich dort hinzustellen. Warum sollte man sich mitten ins Zimmer stellen? Es gibt doch Sitzmöbel!»

       6

      MANCHMAL, WENN WIR ALLEIN WAREN – ES GAB BEISPIELSWEISE AN EINEM ABEND EINE BÜRGERVERSAMMLUNG IN SACHEN ASYLBEWERBERHEIM – STELLTE ADA NACH DEN NACHRICHTEN IM VORBEIGEHEN EIN BIERCHEN VOR MICH HIN. Sie summte noch ein Weilchen in meinem Gesichtsfeld herum – verschob etwas auf der Fensterbank, entfernte ein abgestorbenes Blatt aus einer Zimmerpflanze – bevor sie sich neben mich auf die Couch setzte.

      «Was hast du gemacht?», sagte sie. «Du bist noch völlig … Warte.» Sie feuchtete ihren Daumen mit der Zunge an und rieb mir konzentriert schielend einen Farbspritzer aus dem Gesicht. Die Ställe waren von innen wieder weiß. Es konnte kein Frühjahr geben, wenn der Winter noch an den Wänden pappte – das Meiste bekam man mit der Spritze weg, der Rest verschwand unter dem Farbroller.

      «Na ja», sagte sie lachend und kopfschüttelnd, bevor sie sich an mich schmiegte, ihre Schulter unter meinen Arm drückte, «sagen wir mal, das nutzt sich wieder ab.»

      «Manchmal denke ich noch daran», sagte sie kurz darauf. «De Tangelier, der erste Abend. Du nicht? Verrückt eigentlich, wie lange das schon wieder her ist. Wie lange her es schon wieder scheint. Fast ein halbes Leben, so fühlt es sich an – hat sich ja auch so viel verändert seit dieser Zeit.»

      Ich sagte, es wäre nicht verrückt, an Dinge zu denken, das wäre es nie, das könnte es höchstens werden, wenn man die Gedanken zur Sprache brachte.

      «Was dachtest du damals, als du mich sahst? Habe ich dir gleich gefallen?»

      Es war keine unerwartete Frage, aber normalerweise redeten wir nicht so. Sie war in der Diskothek auf mich zugekommen und nicht umgekehrt. Bei der Tanzfläche hatten wir uns in dem jeweils anderen gesehen. Wir waren zwei intelligente Seelen, die wussten, was zum Verkauf stand, und die gemeinsam beschlossen hatten, ihr Geld in der Tasche zu behalten. Es gab keinen Grund, daraus im Nachhinein eine andere Geschichte zu machen.

      «Ach, Tille», sagte sie lachend, so als würde ich sie hänseln. «Bitte, mach es mir nicht so schwer. Ich bin eine Frau. Frauen brauchen es ab und zu, etwas Liebes zu hören.»

      «Ja», sagte ich. «Ja, nun ja.»

      «Ja», sagte sie. «Was hast du gedacht, als du mich sahst? Das weißt du doch noch, oder?»

      Ich schaute sie an. War sie schön, schön gewesen? Schön, das war ein leidiges Thema, nicht alles und jeder war so einfach mit Schönheit in Verbindung zu bringen. Teile konnten schön sein, Augen, Haare, Beine. Musik konnte schön sein, Mutter, die Musik hörte, Ave Maria, die ganze Atmosphäre dabei, die Ruhe im Haus. Suze war schön, bildschön, das Schönste, was ich mir vorstellen konnte. Immer wenn ich sie sah, war sie wieder genauso schön, jeden Tag, jeden Moment. Wenn man sich später wieder mal die Fotos anschaute, war sie immer noch sehr schön, jedoch war es schwieriger, sich in das Entzücken des Augenblicks zurückzuversetzen – als ob die Zeit ihre Schönheit mitgenommen hätte.

      Ada legte mir ihre Hand auf die Brust. «Bitte», sagte sie, «hattest du keine Angst, mich zu bitten, mit dir auszugehen? Hattest du keine Angst, ich könnte dich abweisen?»

      «Doch», sagte ich und gab ihr einen Kuss auf den Kopf.

      Sie seufzte und hielt ein Weilchen still.

      Vor dem Fenster hockten Stare mit verschlissenen Federn. Ich hatte Suze erzählt, dass Stare lange Reisen unternehmen müssen, um zu uns zu kommen, daher auch der Verschleiß an den Federn. Sehr lange Reisen. Genau wie Papa eine lange Reise hätte machen müssen, um zu ihr zu kommen. Zwar war er dabei die ganze Zeit an ein und demselben Ort geblieben, denn es war mehr eine innere Reise gewesen, aber das würde sie noch begreifen, später, wenn sie älter war.

      Ich hatte ihr auch erklärt, dass Stare andere Vögel nachahmen. Sehr gut sogar – man hörte fast keinen Unterschied. Wenn man ihnen in den Wochen nach ihrem Eintreffen also genau zuhörte, verriet einem das, welchen Vögelchen die Stare unterwegs alles begegnet waren. Ich hatte mit ihr unter den Bäumen gestanden, einen Zeigefinger an die Lippen gelegt und geflüstert: «Jetzt muss Suze ganz still sein, mäuschenstill.»

      «Es ist voll im Haus», sagte Ada.

      Kurz darauf: «Etwas zu voll, finde ich manchmal.»

      «Die Atmosphäre im Haus», sagte sie, «wird davon nicht besser. Ich meine, es wird nicht einmal mehr versucht, sich zu streiten. Dein Vater», sagte sie. «Hast du gesehen, dass er die Fernbedienung mitnimmt, wenn er nach oben geht?»

      Das hatte ich, es war kein tröstliches Bild. Ein alter Mann, der sich Stufe um Stufe hinterrücks auf dem Hintern die Treppe hinaufschob, in der Faust eine Fernbedienung, auf dem Gesicht eine verbissene Grimasse.

      Sie spielte mit den Knöpfen meines Shirts, einem grünen Poloshirt,


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