Geld und Leben. Ewald Nowotny

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Geld und Leben - Ewald Nowotny


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Flexibilität nötig – letztlich bleibt aber die Frage nach politischer Möglichkeit und Wirksamkeit von Sanktionen.

      Das Misstrauen gegen die politische Möglichkeit, „korrekte“ Sanktionen zu ergreifen, veranlasst Ökonomen vielfach dazu, auf einen Anreiz- beziehungsweise Sanktionsmechanismus zu setzen, bei dem nicht die Wähler, sondern die Märkte die Politik kontrollieren. Konkret bedeutet dies, dass die Einschätzung der Fiskalpolitik durch das „Urteil“ der Kapitalmärkte erfolgt, indem diese entscheiden, ob und zu welchen Konditionen private Kreditgeber einem Staat Kredit gewähren. Dies entspricht im Prinzip dem bestehenden System der internationalen Kapitalmärkte. Für die Praxis der Wirtschaftspolitik entscheidend ist aber die Frage, wie weit dieses Prinzip durch Sonderregelungen aufgehoben beziehungsweise entschärft wird. So gilt für Bankdarlehen an OECD-Staaten, dass diese Kredite für die Risikobemessung der jeweiligen Bank und damit letztlich für den Eigenkapital-Bedarf mit einem Risikogewicht von Null versehen sind, ebenso gibt es für die Einzelbank keine Obergrenze für die Kreditvergabe an öffentliche Haushalte.

      Als persönliche Anmerkung: Ich werde niemals einen Besuch vergessen, den ich vor vielen Jahren in meiner damaligen Funktion als Vize-Präsident der Europäischen Investitionsbank beim damaligen schwedischen Ministerpräsidenten (und früheren Finanzminister) Göran Persson hatte. Persson, den ich schon von früher kannte, war noch in voller Wut über ein vorangegangenes, unfreundliches Gespräch mit einer Gruppe arroganter junger Vertreter von Ratingagenturen und internationalen Banken. Dieser Besuch hatte ihm sehr deutlich gemacht, dass ein Staat, der in hohem Maß auf Finanzierung von außen angewiesen ist, niemals ein wirklich souveräner Staat ist. Dies war für Persson die politische Motivation, auch als sozialdemokratischer Finanzpolitiker eine dramatische Politik der Defizitreduzierung einzuleiten – die letztlich wirtschaftlich erfolgreich war, politisch freilich zur Abwahl seiner Regierung führte.

      Letztlich geht es bei dieser Problematik um die Frage einer – nach einer Wortprägung von Angela Merkel – „marktkompatiblen Demokratie“. Wie für Marktgeschehen insgesamt, läuft dies auf die Frage hinaus, welche Sanktionsmechanismen bei Verletzung von „Marktkompatibilität“ bestehen. Speziell deutsche Ökonomen (und in unterschiedlicher Intensität auch die deutsche Regierung) plädieren entsprechend dafür, den „klassischen Sanktionsmechanismus“ des Marktes – den Konkurs – auch für Staaten anzuwenden. In der Tat gibt es ja in der internationalen Finanzwirtschaft in der Form des „Pariser Clubs“ eine Verhandlungsplattform für den Fall der Zahlungsunfähigkeit eines souveränen Schuldners, die etwa in Fällen wie Argentinien etc. genutzt wurde. Ein formelles internationales Konkursverfahren für Staaten wurde zwar vom IWF angestrebt, scheiterte aber am Widerstand der Staaten, deren Finanzindustrien erwarteten, bei direkten Verhandlungen in stärkerer Position zu sein.

      Für die europäische Währungsunion ist das Konzept des „Staats-Konkurses“ als wirtschaftlicher Ausnahmezustand von besonderer Bedeutung, da in dieser Beziehung ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Euro-Raum und anderen großen Wirtschaftsräumen wie den USA, Japan und China besteht. Zahlungsunfähig kann ein Staat ja nur werden, wenn er Zahlungen in einer Währung zu leisten hat, die er nicht selbst schaffen kann und über keinen entsprechenden Zugang zu seiner Notenbank verfügt. In den USA und Japan etwa besteht die öffentliche Verschuldung fast ausschließlich in eigener Währung und de facto kann im „Ernstfall“ auf Liquiditätshilfe durch die jeweilige Notenbank zugegriffen werden. Es besteht daher für Gläubiger kein Konkursrisiko, sondern allenfalls ein Entwertungsrisiko durch Inflation, das aber entsprechend historischen Erfahrungen von den Märkten als gering eingeschätzt wird, ebenso wie auch das Risiko langfristiger Zahlungsunwilligkeit durch innenpolitische Manöver.

      Für die einzelnen Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe ist dagegen jede Staatsverschuldung, auch Verschuldung in Euro, als externe Verschuldung zu sehen, da „monetäre Staatsfinanzierung“, das heißt direkte Budgetfinanzierung durch die Notenbank gemäß Art. 123 EU-Vertrag explizit verboten ist und auch indirekte Hilfen zur Konkursvermeidung gemäß „bail-out-Verbot“ (Art. 125 AEUV) nicht zulässig sind. Potenziell kann daher jeder Mitgliedstaat des Euro-Raumes in Konkurs gehen. Dies entspricht dem „incentive-Ansatz“, durch „harte Regelungen“ gegenüber potenziellen Schuldnern und Gläubigern, „Marktdisziplin“ in einer Währungsordnung zu erzwingen.

      „Konkurs“ bedeutet im Falle eines Staates Zahlungsunfähigkeit und ist in seinen dramatischen wirtschaftlichen und sozialen Wirkungen nicht mit dem Konkurs selbst großer Unternehmen zu vergleichen. Insbesondere können mit der Zahlungsunfähigkeit eines Staates massive „Ansteckungswirkungen“ (negative externe Effekte) bezüglich der Finanzierungsmöglichkeiten für die Finanzen und die Banken anderer Staaten entstehen. Nicht zuletzt aus den Lehren der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre wurde mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) eine Einrichtung geschaffen, die durch „Notkredite“ die internationale Zahlungsfähigkeit eines Staates sichern kann und gleichzeitig durch makroökonomische Reformprogramme die langfristige finanzielle Stabilität („sustainability“) wiederherstellt beziehungsweise sichert. Teil solcher Programme kann auch eine Streichung bestehender Schulden sein, um zu verhindern, dass neue Kredite primär zur Tilgung alter Kredite verwendet werden müssen und nicht zur wirtschaftlichen Stärkung nach einer – vielfach durchaus selbst verschuldeten – Krise verwendet werden können.

      Als eine Lehre aus der europäischen Finanzkrise 2012 wurde der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) geschaffen, der Kredite an Euro-Staaten mit Finanzierungsproblemen vergeben kann. Um moral hazard zu vermeiden, allerdings mit oft tiefgreifenden wirtschaftlichen und sozialen Auflagen. Im Falle Griechenlands haben IWF, EZB und EU-Kommission etwa gemeinsam Reformprogramme entwickelt und kontrolliert („Troika“). Dabei ergaben sich im Einzelnen durchaus Unterschiede in der Strategie der verschiedenen Akteure – speziell in Bezug auf die Frage nach Form und Höhe nötiger Schuldennachlässe.

      Ein historisch instruktives Beispiel des Umganges mit staatlicher Zahlungsunfähigkeit ist der Vergleich der Gläubigerstrategie mit Deutschland nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Deutschland eine riesige Last an Reparationszahlungen aufgebürdet, die auch durch Aufnahme von Auslandskrediten nicht zu bewältigen war. Im Sinne der Vermeidung von moral hazard in Form „ungenügender Anstrengungen“ Deutschlands wurde von einer formellen Streichung der Verpflichtungen abgesehen und stattdessen die Frist ihrer Rückzahlung immer wieder verlängert. Dies hat die wirtschaftspolitische Grundstimmung der Weimarer Republik bis zuletzt massiv beeinträchtigt.

      In Österreich wurde übrigens in der Ersten Republik ein anderer, freilich nicht besserer Weg gewählt. Hier gab es eine Vereinbarung der Regierung mit den Siegermächten zur Gewährung einer langfristigen Völkerbund-Anleihe. Diese Vereinbarung war aber mit massiver externer Aufsicht verbunden, die eine extrem restriktive Wirtschaftspolitik erzwang, was wesentlich zur wirtschaftlichen und letztlich politischen Katastrophe der Ersten Republik beigetragen hat.

      Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde von den Siegermächten dagegen ein weitgehender Schuldenerlass akzeptiert. Hiezu kam mit dem ERP-Programm eine intelligente Kombination aus Geschenk und Darlehen, verbunden mit gesamteuropäischer wirtschaftspolitischer Koordinierung und Öffnung im Rahmen der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD), der in Paris errichteten Koordinierungsstelle, aus der sich später die OECD als „wirtschaftspolitischer Braintrust der reichen Länder“ entwickelte.

      Rolle und Wirken von IWF, ESM und Troikas sind nicht vergleichbar mit der politisch vergifteten Wirtschaftspolitik nach dem Ersten Weltkrieg. Aber die historische Erfahrung ist doch ein wichtiger Hinweis auf die Notwendigkeit einer langfristigen und umfassenden Orientierung der Wirtschaftspolitik und auf die Gefahr einer einseitigen Orientierung an kurzfristigen moral hazard-Perspektiven und irreführender, weil nur mikroökonomisch basierter Wirtschaftstheorien.

      Zur wirtschaftspolitischen Problematik der Konkurs-Drohung als marktwirtschaftlichem Regulativ für Staatsverhalten kommen die administrativ-rechtlichen Probleme einer solchen Drohung hinzu. Es gibt keine europarechtlichen Regelungen, wie ein allfälliger Staatskonkurs praktisch abzuwickeln wäre. Analogien mit privatem oder öffentlichem Recht (zum Beispiel Einsetzen eines Konkurskommissars oder einer Zwangsverwaltung im Fall von Gemeinden) sind schwer herzustellen. Eine konkrete Konkursabwicklung


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