BAT Boy 2. C. A. Raaven

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BAT Boy 2 - C. A. Raaven


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Voller Neugier öffnete Lucas zuerst den mehrfach zusammengefalteten, aus einem undefinierbaren grauen Material bestehenden Führerschein. Er musste unvermittelt lachen, als ihm das Gesicht eines ungefähr 18-jährigen Neumann entgegenblickte. In Gedanken verglich er das Foto mit dem Bild aus seinem Gedächtnis. Der junge Neumann hatte zwar noch keine langen, zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen Haare. Im Gegenteil, er hatte sogar Locken. Aber die raubtierähnliche Aura war selbst auf diesem kleinen Bild zu spüren. Immer noch schmunzelnd legte Lucas den Führerschein beiseite und nahm nun den Personalausweis zur Hand. Die Abbildung auf diesem Stück Plastik glich exakt seinem Mentor. Schlagartig wich seine gute Laune wieder der Trauer, die ihn schon seit Tagen begleitet hatte. Dumpf vor sich hinstarrend drehte er den Ausweis in seinen Fingern hin und her. Würde das wirklich niemals aufhören? Dann stutzte Lucas, weil er bemerkt hatte, dass auch auf der Rückseite des Ausweises etwas stand. Er hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, welche Informationen auf so einem Dokument aufgeführt waren, denn selbst hatte er noch keinen. Also besah er sich die Angaben näher. Interessiert stellte er fest, dass dort nicht nur Größe und Augenfarbe, sondern auch die aktuelle Adresse aufgeführt waren. Sofort begann Lucas‘ Herz schneller zu schlagen, denn ihm war eine Idee gekommen. Er würde zu Neumann nach Hause gehen. Vielleicht konnte er dort etwas finden, das ihm helfen würde, die Beweggründe seines Lehrers zu verstehen. Das könnte ihm helfen, wieder Frieden mit sich und der Welt zu schließen.

      Lucas sprang auf und blickte zur Uhr an der Wand. Halb Vier – noch nicht zu spät, um einen Spaziergang oder –flug zu machen. Aber Moment, wie sollte er denn dort hinein … Er fuhr herum und schnappte sich das Schlüsseletui vom Bett. Mit zitternden Fingern öffnete er es. Erleichtert ließ Lucas die Luft entweichen, von der er sich gar nicht bewusst gewesen war, dass er sie angehalten hatte. Im Etui befand sich außer mehreren Schlüsseln für Haustüren und einem kleinen Kästchen mit einem Druckknopf auch ein Schlüssel mit der Aufschrift Yamaha. Daran war ein silbern glänzender Anhänger aus den Buchstaben VMAX befestigt. Das mussten Neumanns Schlüssel sein. Lucas konnte sich nur zu gut an die berauschenden Fahrten als Sozius auf seinem Motorrad erinnern. Was für ein Gefühl musste es erst sein, selbst Herr über die unbändige Kraft dieser Maschine zu sein. Als er zusammen mit seinem Vater beim Kartfahren gewesen war, hatte Lucas es schätzen gelernt, als Lenker eines Gefährts im Rausch der Geschwindigkeit seine Runden zu ziehen. Wäre es nicht cool, auch mal auf der VMAX zu fahren? Wenn er doch nur … aber er konnte es doch! Gänsehaut bildete sich auf seinen Unterarmen, als er den Schlüssel aus dem Etui nahm und den Anhänger vor seinen Augen baumeln ließ. Er musste doch nur herausfinden, wo die Maschine am Silvesterabend geparkt worden war. Dann konnte ihn im Prinzip nichts mehr daran hindern, es zu tun.

      Hast du sie noch alle? Du weißt doch nicht einmal, wie man so‘n Ding fährt, ließ sich die Stimme in seinem Hinterkopf vernehmen.

      Ach was. Feinheiten. So schwer kann das doch nicht sein. Irgendwo finde ich bestimmt ein Buch, wo das drin steht, beendete Lucas die Diskussion mit sich selbst.

      Dann machte er sich auf nach unten, um möglichst unauffällig nach einem Stadtplan zu suchen. Die Frage seiner Mutter, ob er ein Stück Kuchen haben wollte, verneinte er mit dem Hinweis darauf, dass er gerade erst die Nudeln gegessen hätte und daher keinen Appetit habe. Dabei bemerkte Lucas, dass er tatsächlich sogar ziemlich großen Hunger hatte. Wieder in seinem Zimmer angekommen nahm er sich daher den Teller, der er vorhin stehengelassen hatte. Sie waren natürlich inzwischen kalt, aber Lucas stopfte sie trotzdem in sich hinein. Danach breitete er den Stadtplan auf seinem Bett aus und suchte nach der Adresse. Kurze Zeit später hatte Lucas sie gefunden – mitten in Kreuzberg am Landwehrkanal gelegen. Das bremste seinen Elan ein wenig, denn Kreuzberg galt nicht unbedingt als das beste Pflaster in Berlin. Aber dann zuckte Lucas für sich mit den Schultern. Er hatte ja schließlich nicht vor, dort umherzuwandern. Er würde fliegen. Schnell schnappte er sich das Meta-Suit, das er am Neujahrsmorgen in seinem Zimmer in die Ecke gefeuert hatte, und zog es an. Ein paar normale Klamotten packte er zusammen mit dem Schlüsseletui in den kleinsten Rucksack, den er finden konnte. Schließlich wollte er nicht allzu viel Aufmerksamkeit erregen, wenn er damit durch die Lüfte flog. Zufrieden stieg Lucas die Treppe hinunter und wollte gerade in Richtung Haustür gehen, als ihn eine Frage seines Vaters stoppte.

      »Na Luky? Geht’s dir langsam besser?«, sagte Paul, der seinen Kopf aus der Küchentür in den Flur streckte.

      »Na ja, muss ja«, erwiderte Lucas. »Morgen geht schließlich die Schule wieder los.«

      »Stimmt. Mama und ich hatten schon überlegt, ob wir dich nicht besser noch ein-zwei Tage zu Hause lassen sollen.«

      »Hmm, weiß nich«, meinte Lucas.

      »Willst du dich nicht doch noch ein bisschen zu uns setzen?«, fragte Betty, die nun ebenfalls aus der Küche trat.

      »Wisst ihr, ehrlich gesagt wollte ich gerade noch mal raus. Das vorhin mit Ines ist nicht ganz so gelaufen, wie ich es gehofft hatte, und …«

      »Nee, okay, alles klar«, sagte Paul. »Mach ruhig. Aber sei zum Abendessen bitte zurück. Dann können wir ja noch einmal wegen morgen sprechen.«

      »Danke«, sagte Lucas. Er war erleichtert darüber, sich nicht auch noch den Fragen, die sie bestimmt hatten, stellen zu müssen, bevor er – hoffentlich – einen Modus für sich gefunden hatte, um mit alledem umzugehen.

      Lucas verließ das Haus, wandte sich aber sofort nach rechts und ging um die nächste Hausecke. Dort legte er die Kleidung, die er über dem Meta-Suit trug, ab. Er hockte sich hin, um sich gleich darauf als Rabe mit dem Rucksack in den Krallen in die Luft zu erheben. Lucas hatte bewusst diese Gestalt gewählt. Zum einen stellte er sich einen Raben am nachmittäglichen Himmel unverfänglicher vor, als beispielsweise einen Uhu. Zum anderen war ihm aufgefallen, dass sich Neumanns Wohnung ziemlich in der Nähe des Deutschen Technikmuseums befand. Dorthin hatte ihn seine erste nächtliche Exkursion als Rabe geführt. Seine Einschätzung erwies sich als richtig, denn es wurde niemand auf ihn aufmerksam. Die Orientierung anhand abgespeicherter Landmarken aus seinem Gedächtnis machte es ihm leicht, das Haus zu finden, das der Adresse aus Neumanns Ausweis entsprach. Nach einer kurzen Runde, über die Häuser und Straßen in der Umgebung fand der Vogel auch eine uneinsehbare Nische. Dort konnte er sich verstecken, um wieder menschliche Gestalt anzunehmen und sich anzuziehen. Dann trat Lucas vor die Häuserfront, um den Eingang zu suchen. An der angegebenen Hausnummer stutzte er allerdings, da sie fast vollkommen von einem Ladengeschäft eingenommen wurde. Lediglich auf der linken Seite des Geschäfts befand sich eine durch ein massives Tor verschlossene Einfahrt. Lucas trat an diese heran. Er fand dort ein Paneel aus Stahl mit der Aufschrift ‘X-Berg Lofts’. Es bot außerdem Platz für eine Zahlentastatur unter einem quadratischen, mit Schlitzen versehenen Bereich, neben dem sich fünf beschriftete Schildchen befanden. Auf den vier unteren waren Namen geschrieben, die auf irgendwelche Firmen hinwiesen, aber ganz oben stand einfach nur »B.N.«.

      Bingo, ich hab dich, dachte Lucas zufrieden und holte das Schlüsseletui hervor.

      Bereits kurze Zeit später war die Zufriedenheit jedoch der Frustration gewichen, da sich nirgendwo im Tor ein Schlüsselloch finden ließ. Aber dann kam ihm eine Idee und er drückte auf den Knopf des kleinen Kästchens, das sich ebenfalls im Etui befand. Nun ein weiteres Mal zufrieden, beobachtete Lucas das Tor, wie es fast lautlos nach innen schwang. In dem Durchgang, der so freigegeben wurde, brannte bereits die Beleuchtung. Auf der linken Seite des breiten Ganges wartete die geöffnete Tür eines Industrie-Fahrstuhls darauf, dass Lucas sie durchschritt. Nachdem er dies getan hatte, blickte er sich dort um. Er entdeckte ein weiteres Paneel mit fünf Namensschildern und daneben angebrachten Schlössern. Also zückte er nacheinander die Schlüssel aus dem Etui und probierte sie aus. Schon der zweite Schlüssel passte. Als Lucas ihn nach rechts drehte, schlossen sich die Türen des Lifts, und er setzte sich in Bewegung. Lucas konnte nicht sagen, ob es die Vibrationen des Liftmotors waren oder seine eigene Anspannung. Während der Zeit, die der Fahrstuhl bis zu seinem Ziel benötigte, wurde er immer kribbeliger, sodass er fast heraussprang, als sich die Türen schließlich wieder öffneten. Er trat in einen fast leeren Vorraum, dessen Wände aus rohem Ziegelmauerwerk bestanden. Wenn nicht die zwei blitzblanken Lichtelemente aus gebürstetem Edelstahl gewesen wären, dann hätte man denken können, dass sich alles noch im Bau


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