Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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Bü­chern ste­hen, fuhr ihr plötz­lich wie ein mär­chen­haf­tes Traum­bild, das sich ver­wirk­li­chen soll­te, durch den Kopf. Sie wie­der­hol­te:

      »Wann wer­den Sie mich ent­füh­ren?«

      Er ant­wor­te­te ganz lei­se:

      »Heu­te noch … heu­te Aben­d… viel­leicht in der Nacht.«

      Sie frag­te zit­ternd:

      »Und wo­hin ge­hen wir?«

      »Das ist mein Ge­heim­nis. Aber über­le­gen Sie sich ge­nau, was Sie tun. Be­den­ken Sie, dass nach die­ser Flucht Ih­nen nichts an­de­res üb­rig­bleibt, als mei­ne Frau zu wer­den. Es ist das ein­zi­ge Mit­tel, aber es ist … sehr ge­fähr­lich … für Sie …«

      Sie er­klär­te:

      »Ich bin ent­schlos­sen … Wo wer­de ich Sie tref­fen kön­nen?«

      »Kön­nen Sie das Palais ganz al­lein ver­las­sen?«

      »Ja. Ich kann die Sei­ten­tür auf­schlie­ßen.«

      »Nun gut! Wenn der Por­tier sich schla­fen ge­legt hat, er­war­te ich Sie auf dem Place de la Con­cor­de. Sie fin­den mich in ei­ner Drosch­ke, ge­gen­über dem Ma­ri­ne­mi­nis­te­ri­um.«

      »Ich kom­me«, sag­te sie.

      »Be­stimmt?’’

      »Ganz be­stimmt.«

      Er nahm ihre Hand und drück­te sie.

      »Oh, wie ich Sie lie­be, wie Sie gut und tap­fer sind! Sie wol­len also den Mar­quis de Ca­zol­les nicht hei­ra­ten?«

      »O nein.«

      »War Ihr Va­ter sehr böse, als Sie nein sag­ten?«

      »Das will ich wohl mei­nen, er woll­te mich in ein Klos­ter schi­cken.«

      »Sie se­hen also, dass wir ener­gisch sein müs­sen.«

      »Ich wer­de es auch sein.«

      Sie sah vor sich die wei­te Land­schaft, den Kopf voll Ge­dan­ken über die Ent­füh­rung. Sie wür­de noch wei­ter zie­hen … mit ihm! … Sie wur­de ent­führt! … Sie war stolz dar­auf! Sie dach­te nicht an ih­ren Ruf, an das In­fa­me und Schänd­li­che, was ihr viel­leicht be­vor­stand. Wuss­te sie et­was da­von? Ahn­te sie das über­haupt?

      Frau Wal­ter wand­te sich um und rief:

      »Aber komm doch, Klei­ne! Was machst du da mit Bel-Ami?«

      Sie hol­ten die an­de­ren ein. Man sprach über See­bä­der, wo man bald sein wür­de.

      Dann fuh­ren sie über Cha­tou zu­rück, um nicht den­sel­ben Weg noch ein­mal ma­chen zu müs­sen. Ge­or­ges sag­te nichts. Er dach­te: »Also, wenn die­se Klei­ne et­was Mut hat, dann wür­de die Sa­che end­lich klap­pen.«

      Seit drei Mo­na­ten spann er um sie das un­wi­der­steh­li­che Netz der schmei­cheln­den Zärt­lich­keit. Er be­zau­ber­te, er ver­führ­te und er­ober­te sie. Er hat­te sich von ihr lie­ben las­sen, er streng­te sich an, so gut wie er es ir­gend konn­te. Er hat­te mit Leich­tig­keit ihre Pup­pen­see­le ge­won­nen.

      Er hat­te zu­nächst er­reicht, dass sie dem Mar­quis de Ca­zol­les ab­sag­te. Nun hat­te er er­reicht, dass sie mit ihm durch­ge­hen wür­de, denn es war das ein­zi­ge Mit­tel.

      Dass Frau Wal­ter nie­mals zu­stim­men wür­de, ihm ihre Toch­ter zu ge­ben, das be­griff er sehr wohl. Sie lieb­te ihn noch, sie wür­de ihn im­mer lie­ben, und zwar mit ei­ner lei­den­schaft­li­chen Wucht. Er hielt sie durch sei­ne be­rech­ne­te Käl­te in den Schran­ken, aber er fühl­te, wie sie von ei­ner gie­ri­gen, ohn­mäch­ti­gen und ver­zeh­ren­den Lei­den­schaft ge­quält wur­de. Sie wür­de nie nach­ge­ben. Sie wür­de nie zu­las­sen, dass er Suzan­ne hei­ra­te­te. Aber so­bald er die Klei­ne in der Fer­ne ver­steckt hielt, dann konn­te er mit dem Va­ter un­ter­han­deln, wie eine Macht mit der an­de­ren.

      Er dach­te über die­ses al­les nach. Er ant­wor­te­te mit ab­ge­hack­ten Sät­zen auf die Fra­gen, die man an ihn rich­te­te und auf die er kaum hör­te. Als man nach Pa­ris zu­rück­kam, wach­te er wie­der auf.

      Auch Suzan­ne war in Ge­dan­ken. Das Schel­len­ge­klin­gel der vier tra­ben­den Pfer­de klang ihr im Kopf, und sie träum­te von end­lo­sen. Stra­ßen, un­ter ewi­gem Mond­schein, von fins­tern Wäl­dern, Her­ber­gen am Ran­de der Land­stra­ßen und von Stall­knech­ten, die has­tig die Pfer­de um­spann­ten, denn je­der soll­te er­ra­ten, dass sie ver­folgt wür­den.

      Als der Lan­dau­er in den Hof des Palais ein­fuhr, woll­te man Ge­or­ges zum Di­ner da­be­hal­ten. Er lehn­te je­doch dan­kend ab und ging nach Hau­se. Nach­dem er et­was ge­ges­sen hat­te, ord­ne­te er sei­ne Pa­pie­re, als wenn ihm eine lan­ge Rei­se be­vor­stand. Er ver­brann­te die Brie­fe, die ihn kom­pro­mit­tie­ren konn­ten, die an­de­ren ver­steck­te er und schrieb an ei­ni­ge Freun­de.

      Von Zeit zu Zeit sah er auf die Stand­uhr und dach­te:

      »Jetzt muss es drü­ben sehr heiß her­ge­hen.«

      Eine Un­ru­he und Un­si­cher­heit nag­te ihm am Her­zen. Wie, wenn ihm die Sa­che miss­lin­gen wür­de? … Was hat­te er ja ei­gent­lich zu fürch­ten? Er hat­te sich noch im­mer aus der Klem­me zie­hen kön­nen. Es war doch ein sehr großes Spiel, das er heu­te spiel­te.

      Ge­gen elf Uhr ver­ließ er sein Haus. Er wan­der­te eine Wei­le auf und ab. Dann nahm er eine Drosch­ke und ließ den Kut­scher an der Place de la Con­cor­de vor den Ar­ka­den des Ma­ri­ne­mi­nis­te­ri­ums hal­ten. Hin und wie­der zün­de­te er ein Streich­holz an, um nach der Uhr zu se­hen. Je mehr die Mit­ter­nachts­stun­de her­an­rück­te, umso fie­ber­haf­ter und un­ru­hi­ger wur­de sei­ne Un­ge­duld. Alle Au­gen­bli­cke steck­te er sei­nen Kopf aus dem Wa­gen­fens­ter und späh­te hin­aus.

      Eine fer­ne Turm­uhr schlug zwölf, gleich dar­auf schlug eine an­de­re in der Nähe und dann gleich zwei auf ein­mal. Als der letz­te Schlag ver­hallt war, dach­te er: »Nun ist es aus, es ist miss­lun­gen, sie kommt nicht mehr!« Trotz­dem war er ent­schlos­sen zu blei­ben, bis es Tag wur­de. In sol­chen Fäl­len muss man Ge­duld ha­ben.

      Er hör­te, wie es ein vier­tel, dann ein halb, dann drei­vier­tel schlug, und schließ­lich wie­der­hol­ten sämt­lich Uhren, eine nach der an­de­ren, eins, wie sie zwölf Uhr ge­schla­gen hat­ten.

      Er hat­te die Hoff­nung schon ver­lo­ren und zer­brach sich den Kopf dar­über, was wohl ge­sche­hen sein könn­te. Plötz­lich blick­te ein Frau­en­kopf durch die Fens­ter und frag­te:

      »Sind Sie da, Bel-Ami?«

      Er fuhr atem­los em­por:

      »Sind Sie das, Suzan­ne?«

      »Ja, das bin ich.«

      Die Tür­klin­ke ging nicht so­fort auf und er konn­te sie nicht rasch um­dre­hen, in­zwi­schen wie­der­hol­te er:

      »Ach … Sie sind es … da sind Sie, Gott sei Dank … kom­men Sie her­ein.«

      Sie stieg ein und sank in sei­ne Arme.

      Er rief dem Kut­scher zu: »Vor­wärts!« Und die Drosch­ke setz­te sich in Be­we­gung. Vor Auf­re­gung konn­te sie kein Wort her­vor­brin­gen.

      Er frag­te:

      »Nun er­zäh­len Sie, wie ist es bei Ih­nen


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