Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн книгу.schwebte in der Luft, ein Geruch, der aus den Gardinen, aus den Matratzen, aus den Wänden und aus den Polstermöbeln zu dringen schien; ein Menschendunst aller derer, die in dieser öffentlichen Schlafstelle geschlafen oder gewohnt hatten, sei es nur einen Tag oder ein halbes Jahr, und die von ihrem eigenen Geruch etwas zurückgelassen hatten; und diese Ausdünstungen erzeugten, gemischt mit denen ihrer Vorgänger, letzten Endes einen undefinierbaren süßlichen und unausstehlichen Gestank, der in allen solchen Schlupfwinkeln derselbe ist.
Ein Teller mit Kuchen, eine Flasche Chartreuse und zwei noch halbvolle Gläschen standen auf dem Kamin. Eine bronzene Standuhr war mit einem Herrenhut verdeckt.
Der Kommissar drehte sich schnell um und sah Madeleine scharf in die Augen:
»Sie sind Madame Claire Madeleine Du Roy, die legitime Gattin des hier anwesenden Schriftstellers Herrn Prosper Georges Du Roy.«
Sie sprach mit erstickter Stimme:
»Jawohl.«
»Was treiben Sie hier?«
Sie antwortete nicht.
Der Beamte fuhr fort:
»Was treiben Sie hier? Ich finde Sie außerhalb Ihres Hauses, fast entkleidet, in einer möblierten Wohnung. Warum sind Sie hergekommen?«
Er wartete einige Augenblicke. Sie schwieg noch immer.
Dann fuhr er fort:
»Wenn Sie es mir nicht sagen wollen, Madame, werde ich gezwungen sein, es festzustellen.«
Man sah im Bett die Gestalt eines menschlichen Körpers, die sich unter der Bettdecke verborgen hielt. Der Kommissar trat heran und rief:
»Mein Herr.«
Der Mann im Bett rührte sich nicht. Er schien den Anwesenden den Rücken zu drehen, den Kopf unterm Kissen vergraben. Der Offizier berührte die Decke, wo die Schulter zu sein schien, und wiederholte:
»Mein Herr, ich bitte Sie, mich nicht zu zwingen, zu Tätlichkeiten überzugehen.«
Doch der eingehüllte Körper blieb genau so unbeweglich, als wenn er tot wäre.
Du Roy trat hastig ans Bett, zog die Decke zurück und riss das Kopfkissen fort; das totenblasse Gesicht Laroche-Mathieus wurde sichtbar.
Er neigte sich über ihn und sagte mit zusammengepressten Zähnen, zitternd vor Begierde, ihn an der Kehle zu packen und zu erdrosseln:
»Haben Sie wenigstens den Mut, Ihre Gemeinheit einzugestehen.«
Der Beamte fragte noch einmal:
»Wer sind Sie?«
Der Liebhaber schien den Kopf verloren zu haben und gab keine Antwort.
Der Kommissar fuhr fort:
»Ich bin der Polizeikommissar und fordere Sie auf, Ihren Namen zu nennen!«
Georges schrie zitternd vor tierischer Wut:
»So antworten Sie doch, Sie Memme, oder ich nenne Ihren Namen.«
Der Liegende stammelte:
»Herr Kommissar, Sie dürfen mich nicht beschimpfen lassen von diesem Kerl. Habe ich mit Ihnen zu tun? Soll ich Ihnen oder ihm antworten?«
Er schien keinen Speichel mehr im Munde zu haben.
Der Offizier antwortete:
»Mir, mein Herr, mir allein. Ich frage Sie, wer sind Sie?«
Der andere schwieg. Er hielt die Bettdecke fest gegen seinen Hals gedrückt und rollte seine verstörten Augen. Sein hochgedrehter kleiner Schnurrbart schien ganz schwarz im Vergleich zu seinem bleichen Gesicht.
Der Kommissar fuhr fort:
»Sie wollen nicht antworten, dann bin ich gezwungen, Sie zu verhaften. Jedenfalls stehen Sie auf. Ich werde Sie befragen, wenn Sie angezogen sind.«
Der Körper bewegte sich im Bett und der Kopf murmelte:
»Ich kann doch nicht vor Ihnen.«
Der Beamte fragte:
»Wieso?«
Der andere stammelte:
»Weil … Weil ich … weil ich ganz nackt bin.«
Du Roy grinste, hob ein Hemd auf, das auf der Diele herumlag, warf es auf das Bett und schrie:
»Los … stehen Sie auf … Sie haben sich vor meiner Frau ausgezogen, Sie können sich dann vor mir anziehen.«
Dann drehte er ihm den Rücken und ging zum Kamin.
Madeleine hatte ihre Kaltblütigkeit wiedergewonnen. Sie sah ein, dass nichts mehr zu retten war und war bereit, alles zu wagen. Ihre Augen blitzten höhnisch und übermütig, sie rollte in den Händen ein Stück Papier zusammen, steckte es am Kamin an und zündete wie für einen gesellschaftlichen Empfang die zehn Lichter an, die in den schäbigen Leuchtern auf dem Kamin standen. Sie lehnte sich mit dem Rücken an das Marmorsims, hob einen ihrer nackten Füße und streckte ihn gegen das erlöschende Feuer. Dann nahm sie aus einer rosa Pappschachtel eine Zigarette, zündete sie an und begann zu rauchen. Der Kommissar wartete inzwischen, bis ihr Geliebter aufgestanden war und trat an sie heran.
Sie fragte dreist:
»Üben Sie oft diesen Beruf aus?«
»So selten als möglich«, antwortete er ernst.
Sie lächelte ihm ins Gesicht.
»Dann gratuliere ich, sehr sauber ist er nicht.«
Sie blickte nicht auf ihren Mann und tat so, als sähe sie ihn gar nicht.
Inzwischen kleidete sich der Herr im Bett an, er hatte schon seine Beinkleider und Schuhe an und näherte sich, während er seine Weste zuknöpfte.
Der Offizier wandte sich zu ihm:
»Jetzt, mein Herr, wollen Sie mir sagen, wer Sie sind?«
Der andere gab keine Antwort.
Der Kommissar erklärte:
»Ich sehe mich gezwungen, Sie zu verhaften.«
Darauf rief der Mann heftig:
»Rühren Sie mich nicht an. Ich bin unverletzlich.«
Du Roy stürzte sich auf ihn, als wollte er ihn niederschlagen, dann brüllte er ihm ins Gesicht:
»Aber Sie sind auf frischer Tat ertappt worden … Ja! Auf frischer Tat! Ich kann Sie verhaften lassen, wenn ich will … ja, ich kann Sie verhaften lassen.«
Dann fuhr er mit bebender Stimme fort: