Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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und gin­gen nach auf­ge­ho­be­ner Ta­fel so­fort an die Be­sich­ti­gung des re­stau­rier­ten Schlos­ses.

      Es war dies ei­nes je­ner ho­hen weit­läu­fi­gen Ge­bäu­de, wie man sie in der Nor­man­die so oft fin­det, halb Schloss, halb Land­haus, in grau­em Sand­stein, ge­räu­mig ge­nug für ein gan­zes Ge­schlecht.

      Ein un­ge­heu­rer Haus­flur, der nach je­der Sei­te hin eine Aus­gangs­tür hat­te, teil­te es der Län­ge nach in zwei Hälf­ten. Eine Dop­pel­trep­pe, die nach oben hin in eine brücken­ar­tig an­ge­leg­te Ga­le­rie en­de­te, wel­che die Mit­te des großen Rau­mes frei ließ, diente als Ver­bin­dung mit dem ers­ten Stock­werk.

      Im Erd­ge­schoss trat man rechts in einen weit­läu­fi­gen Sa­lon, des­sen Go­bel­ins pracht­vol­les Ran­ken­werk mit al­ler­lei Vö­geln dar­in auf­wie­sen. Die fei­ne Sti­cke­rei des ge­sam­ten Meuble­ments stell­te lau­ter Sze­nen aus La­fon­tai­ne’s Fa­beln dar. Jo­han­na war aus­ser sich vor Ent­zücken, als sie einen Stuhl wie­der­fand, an dem schon in der Kin­der­zeit ihr Herz ge­han­gen hat­te und der die Er­zäh­lung vom Fuchs und dem Storch ver­sinn­bild­lich­te.

      Ne­ben dem Sa­lon be­fan­den sich die Biblio­thek voll al­ter Bü­cher und noch zwei un­be­nutz­te Zim­mer. Links war der Spei­se­saal mit neu­em Ge­tä­fel, die Lein­wand­kam­mer, die Sil­ber­kam­mer, die Kü­che und ein klei­nes Ba­de­zim­mer.

      Die gan­ze ers­te Eta­ge durch­schnitt ein lan­ger Gang, auf wel­chen zu bei­den Sei­ten zehn Zim­mer mün­de­ten. Ganz hin­ten rechts fand Jo­han­na das ih­ri­ge. Er­war­tungs­voll trat sie ein. Der Baron hat­te es neu her­rich­ten las­sen, in­dem er Vor­hän­ge und Mö­bel vom Bo­den ent­nahm, wo sie bis­her un­be­nutzt ge­la­gert hat­ten.

      Ganz an­ti­ke vlä­mi­sche Ta­pe­ten be­deck­ten die Wän­de die­ses klei­nen Hei­lig­tums.

      Als Jo­han­na einen Blick auf ihr Bett warf, stiess sie einen Freu­den­schrei aus. An den vier En­den tru­gen vier große aus Ei­che ge­schnitz­te Vö­gel, glän­zend schwarz po­liert, den Vor­hang, und schie­nen gleich­sam sei­ne Hü­ter zu sein. Die brei­ten Strei­fen des­sel­ben stell­ten Blu­men-Guir­lan­den mit Früch­ten dar. Vier fein ge­schnitz­te Säu­len mit ko­rin­thi­schen Ka­pi­ta­len tru­gen ein Kar­nies, wel­ches mit Ro­sen und Amo­ret­ten ge­ziert war.

      Bei al­ler Mas­si­vi­tät und dem düs­te­ren Ein­druck des al­ten Hol­zes mach­te sich das Gan­ze doch sehr gra­zi­ös.

      Die Bett­de­cke und der Bett­him­mel flim­mer­ten wie zwei Fir­ma­men­te. Sie wa­ren aus an­ti­ker dun­kelblau­er Sei­de mit ein­ge­wirk­ten großen gol­de­nen Blät­tern und Li­li­en ge­fer­tigt.

      Als Jo­han­na al­les ge­nü­gend be­wun­dert hat­te, hob sie die Ker­ze hö­her, um das Su­jet der Go­bel­ins bes­ser be­trach­ten zu kön­nen. Ein jun­ger Mann und ein jun­ges Mäd­chen, selt­sam in grü­ne, gel­be und rote Far­ben ge­klei­det, plau­der­ten un­ter ei­nem blau­en Bau­me, an wel­chem wei­ße Früch­te reif­ten. Nicht weit da­von wei­de­te ein fet­tes Ka­nin­chen, eben­falls weiß, in grau­em Gra­se.

      Ober­halb die­ser Grup­pe be­merk­te man in an­ge­mes­se­ner Ent­fer­nung fünf run­de Häu­schen mit spit­zen Dä­chern, und ganz oben, fast im Him­mel, eine auf­fal­lend rote Wind­müh­le. Da­zwi­schen rank­ten über­all große selt­sa­me Blu­men.

      Die bei­den an­de­ren Fel­der hat­ten mit dem ers­ten vie­le Ähn­lich­keit; nur sah man aus den Häu­sern vier Leut­chen in vlä­mi­scher Tracht tre­ten, die die Hän­de teils vor Er­stau­nen, teils im höchs­ten Zorn gen Him­mel streck­ten.

      Das vier­te Feld hin­ge­gen stell­te eine sehr trau­ri­ge Sze­ne dar. Ne­ben dem Ka­nin­chen, wel­ches im­mer noch wei­de­te, lag der jun­ge Mann an­schei­nend tot im Gra­se. Die jun­ge Dame durch­bohr­te sich, ihn an­schau­end, die Brust mit ei­nem De­gen; die Früch­te an dem Bau­me wa­ren schwarz ge­wor­den.

      Schon woll­te Jo­han­na dar­auf ver­zich­ten, den Sinn die­ser Dar­stel­lung zu er­fas­sen, als sie in ei­ner Ecke ein win­zi­ges Tier­chen er­blick­te, wel­ches das Ka­nin­chen, wenn es ge­lebt hät­te, wie einen Gras­halm hät­te ver­spei­sen kön­nen. Und doch stell­te es einen Lö­wen dar.

      Da fiel ihr die un­glück­li­che Ge­schich­te von Py­ra­mus und Thys­be wie­der ein. Wenn­gleich sie über die Nai­ve­tät der Dar­stel­lung lä­cheln muss­te, so fühl­te sie sich doch glück­lich, von die­sem Lie­bes-Aben­teu­er um­ge­ben zu sein, wel­ches zu ih­rem Her­zen stets von zärt­li­chen Hoff­nun­gen re­den und ihre Träu­me so­zu­sa­gen jede Nacht mit die­ser an­ti­ken sa­gen­haf­ten Lie­be aus­schmücken wür­de.

      Der Rest des Mo­bi­li­ars ver­ei­nig­te in sich die ver­schie­dens­ten Sty­le. Es wa­ren jene Art von Mö­beln, wie sie in je­der Fa­mi­lie von Ge­ne­ra­ti­on zu Ge­ne­ra­ti­on wan­dern und man­chen Häu­sern das Aus­se­hen ei­nes bunt zu­sam­men­ge­wür­fel­ten Mu­se­ums ver­lei­hen. Zu bei­den Sei­ten ei­ner mit glän­zen­der Bron­ze be­schla­ge­nen Kom­mo­de im Sti­le Lud­wigs XIV. stan­den zwei Ses­sel aus der Zeit Lud­wigs XV., noch in ih­ren blu­men­ge­stick­ten sei­de­nen Über­zü­gen. Ein Schreib­tisch aus Ro­sen­holz stand ge­gen­über dem Ka­min, auf wel­chem sich un­ter ei­nem Glas­sturz eine Uhr aus der Em­pi­re-Zeit be­fand.

      Es war dies ein bron­ze­ner Bie­nen­korb von vier Mar­mor­säu­len ge­tra­gen, die sich über ei­nem Gar­ten von ver­gol­de­ten Blu­men er­ho­ben. Ein zier­li­cher Per­pen­di­kel, der aus ei­nem schma­len Schlitz des Bie­nen­kor­bes her­aus­hing, trug an sei­nem Ende eine klei­ne Bie­ne mit email­lier­ten Flü­geln, die auf die­se Wei­se sich über den ver­gol­de­ten Blu­men hin und her be­weg­te. Das Zif­fer­blatt zeig­te sehr fei­ne Por­zel­lan­ma­le­rei.

      Jetzt schlug es 11 Uhr. Der Baron küss­te sei­ne Toch­ter und zog sich auf sein Zim­mer zu­rück. Jo­han­na be­dau­er­te, dass es schon Zeit war, schla­fen zu ge­hen; aber schliess­lich leg­te sie sich auch zu Bett.

      Mit ei­nem letz­ten Blick durch­flog sie das Zim­mer, dann lösch­te sie ihr Licht aus. Aber zur Lin­ken des Bet­tes, das nur mit dem Kop­fen­de an der Wand stand, be­fand sich ein Fens­ter, durch wel­ches das Mond­licht fiel und einen hel­len Strei­fen auf den Bo­den des Zim­mers bil­de­te.

      Klei­ne Re­fle­xe spie­gel­ten sich auf den Wän­den und um­schmei­chel­ten lei­se die Lie­bes­sze­ne zwi­schen Py­ra­mus und Thys­be.

      Durch das an­de­re Fens­ter ge­gen­über dem Fus­sen­de ge­wahr­te Jo­han­na einen großen Baum, des­sen Zwei­ge ganz von mil­dem Lich­te um­flos­sen wa­ren. Sie leg­te sich auf die Sei­te und schloss die Au­gen; aber nach ei­ni­gen Mi­nu­ten öff­ne­te sie die­sel­ben wie­der.

      Sie glaub­te noch das Rüt­teln des Wa­gens zu ver­spü­ren, des­sen Rol­len noch in ih­rem Kop­fe wi­der­hall­te. An­fangs rühr­te sie sich nicht, in der Hoff­nung, dann umso eher ein­zu­schla­fen; aber bald über­trug sich die Un­ru­he ih­res Geis­tes auch auf ih­ren Kör­per.

      Es zuck­te ihr in al­len Glie­dern; ihre Un­ru­he wuchs mit je­der Mi­nu­te. End­lich sprang sie auf und ging mit ih­ren blos­sen Füss­chen, nur mit dem lan­gen Nacht­hemd be­klei­det, wel­ches ihr das Aus­se­hen ei­ner Er­schei­nung gab, über den Licht­strei­fen hin­weg auf das Fens­ter zu.


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