Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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die Müt­ter un­ter sich über sie mit ei­ner Art ver­ächt­li­chem Mit­leid. Dies hat­te sich auch auf die Kin­der über­tra­gen, ohne dass sie ei­gent­lich recht wuss­ten warum.

      Si­mon selbst hat­ten sie vor­her noch gar nicht ge­kannt, denn er ging nie­mals aus und trieb sich nicht mit ih­nen auf der Dorf­stras­se oder am Flus­sufer her­um. Schon des­halb moch­ten sie ihn nicht lei­den; und es be­rei­te­te ih­nen eine ge­wis­se al­ler­dings mit Er­stau­nen ver­misch­te Freu­de, als sie jetzt eine Neu­ig­keit er­fuh­ren, die so­fort von Mund zu Mund ging. Ein Jun­ge von vier­zehn oder fünf­zehn Jah­ren hat­te sie mit­ge­bracht. Er schi­en sie üb­ri­gens schon län­ger zu wis­sen, denn er zwin­ker­te lis­tig mit den Au­gen, als er zu ih­nen sag­te:

      »Wisst Ihr … der Si­mon … nun, er hat kei­nen Va­ter.«

      Der Sohn der Blan­chot­te trat in die­sem Au­gen­blick über die Schwel­le der Schul­tü­re. Er war sie­ben oder acht Jah­re alt, et­was bleich, sehr sau­ber an­ge­zo­gen und von furcht­sa­men bei­na­he lin­ki­schen We­sen. Er woll­te ge­ra­de zu sei­ner Mut­ter nach Hau­se ge­hen, als sei­ne Schul­ge­fähr­ten, die im­mer noch flüs­ternd in Grup­pen bei­sam­men stan­den und ihn mit je­nem tücki­schen und grau­sa­men Blick der Kin­der be­trach­te­ten, aus dem die Ab­sicht ir­gend ei­nes bö­sen Strei­ches spricht, sich ihm lang­sam nä­her­ten und ihn schliess­lich ganz dicht um­ring­ten. Er blieb über­rascht und ver­le­gen mit­ten un­ter ih­nen ste­hen, ohne recht zu be­grei­fen, was sie ei­gent­lich woll­ten. Aber der Ben­gel von vor­hin, der noch ganz stolz auf die Neu­ig­keit war, die er den an­de­ren ge­bracht hat­te, frag­te ihn:

      »Du, wie heisst Du?«

      »Si­mon!« ant­wor­te­te er.

      »Si­mon, was?« frag­te der an­de­re wei­ter.

      »Si­mon«, wie­der­hol­te das Kind ganz be­stürzt.

      »Man heisst doch nicht nur Si­mon … das ist doch kein ei­gent­li­cher Name … Si­mon« rief ihm der Ben­gel zu.

      »Ich heis­se Si­mon«, sag­te das arme Kind, dem jetzt die Trä­nen nahe stan­den, zum drit­ten Male. Die Jun­gens be­gan­nen zu la­chen.

      »Seht Ihr nun, dass er kei­nen Va­ter hat?« rief der Ben­gel tri­um­phie­rend aus.

      Hier­auf ent­stand tie­fes Schwei­gen. Die Kin­der wa­ren ganz be­stürzt durch die­se selt­sa­me, fast un­denk­ba­re Tat­sa­che, -- ein Jun­ge, der kei­nen Va­ter hat­te; -- sie be­trach­te­ten ihn wie ein Wun­der­ding, ein un­na­tür­li­ches We­sen, und all­mäh­lich griff auch in ih­nen jene Ver­ach­tung Platz, die sie bis­her bei ih­ren Müt­tern be­merkt hat­ten, ohne sie zu ver­ste­hen.

      Si­mon hat­te sich an einen Baum ge­lehnt, um nicht um­ge­stos­sen zu wer­den, und stand nun er­schreckt und ver­wirrt vor ih­nen. Er such­te nach ei­ner Er­klä­rung, aber er fand nichts, wo­mit er die schreck­li­che Tat­sa­che, kei­nen Va­ter zu ha­ben, hät­te wi­der­le­gen kön­nen. End­lich rief er ih­nen auf gut Glück zu:

      »Wenn ich aber einen habe?«

      »Wo ist er denn?« frag­te der große Ben­gel.

      Si­mon schwieg; er wuss­te es ja nicht. Die Kin­der lach­ten wie toll. Die­se Bau­ern­jun­gen, tie­risch von Na­tur aus, fühl­ten eine grau­sa­me Lust ähn­lich der, wie sie die Hüh­ner ha­ben, wenn sie ei­nes von ih­nen, das krank oder ver­letzt ist, mit ih­ren Schnä­beln gänz­lich um­brin­gen. Plötz­lich be­merk­te Si­mon un­ter der Schar einen klei­nen Nach­barn, den Sohn ei­ner Wit­we, den er im­mer al­lein mit sei­ner Mut­ter ge­se­hen hat­te.

      »Und Du«, sag­te er, »Du hast ja auch kei­nen Papa.«

      »Wohl«, ant­wor­te­te der an­de­re, »ich habe einen.«

      »Wo ist er denn«, warf Si­mon ein.

      »Er ist tot«; er­klär­te das Kind mit stol­zer Zu­ver­sicht, »mein Papa liegt im Gra­be.«

      Ein Bei­falls­ge­mur­mel lief durch die Schar der Jun­gen, als wenn die Tat­sa­che, einen to­ten Va­ter im Gra­be zu ha­ben, ih­ren Ka­me­ra­den be­deu­tend ge­ho­ben hät­te, wäh­rend der an­de­re sich mit nichts der­glei­chen rüh­men konn­te. Und die­se Gas­sen­bu­ben, de­ren Vä­ter in der Haupt­sa­che Tau­ge­nicht­se, Trin­ker, Die­be und schlech­te Ehe­män­ner wa­ren, dräng­ten sich im­mer en­ger zu­sam­men, als woll­ten sie den ge­walt­sam er­sti­cken, der ih­nen aus­ser­halb des Ge­set­zes zu ste­hen schi­en.

      Plötz­lich streck­te der eine, der sich Si­mon ge­ra­de ge­gen­über be­fand, ihm mit ver­ächt­li­cher Mie­ne die Zun­ge aus und rief:

      »Kei­nen Papa, kei­nen Papa!«

      Si­mon fass­te ihn mit bei­den Hän­den beim Schop­fe und stiess ihn mit den Füs­sen, wäh­rend er ihn hef­tig in die Ba­cke biss. Nun ging eine ge­wal­ti­ge Rau­fe­rei los. Die bei­den Kämp­fen­den wur­den ge­trennt, und Si­mon fühl­te sich ge­ris­sen, ge­stos­sen und in ei­nem Krei­se von Jun­gens auf der Erde her­um­ge­wälzt, wel­che alle leb­haft Bei­fall klatsch­ten. Als er wie­der auf­stand und me­cha­nisch mit den Hän­den sein Röck­chen vom Stau­be säu­ber­te, rief ihm ei­ner zu:

      »Geh und sag’s Dei­nem Papa!«

      Da emp­fand er in sei­nem klei­nen Her­zen einen grau­sa­men Schmerz. Sie wa­ren stär­ker wie er; sie hat­ten ihn be­schimpft und er konn­te ih­nen nichts ant­wor­ten, denn er fühl­te es nur zu gut: Es war rich­tig; er hat­te kei­nen Papa. Stolz such­te er eine Wei­le ge­gen die auf­quel­len­den Trä­nen an­zu­kämp­fen; aber schliess­lich über­wäl­tig­te es ihn. Ein in­ne­res Schluch­zen er­schüt­ter­te sei­nen Kör­per, dann ran­nen lang­sam, ohne dass er einen Ton von sich gab, die Trä­nen in großen Trop­fen über sei­ne Wan­gen.

      Dies er­reg­te bei sei­nen Fein­den ein wil­des Freu­den­ge­heul; sie fass­ten sich bei den Hän­den und tanz­ten um ihn her­um, wie es die Wil­den bei ih­ren schreck­li­chen Op­fer­fes­ten ma­chen. Da­bei rie­fen sie fort­wäh­rend: »Kei­nen Papa! Kei­nen Papa!«

      Aber plötz­lich hör­te Si­mon auf zu wei­nen; eine sinn­lo­se Wut er­griff ihn. Vor ihm la­gen Stei­ne auf dem Bo­den; er hob sie auf und schleu­der­te sie mit al­ler Kraft nach den klei­nen Teu­feln. Drei oder vier der­sel­ben wur­den ge­trof­fen und rann­ten laut heu­lend da­von. Sei­ne Mie­nen hat­ten einen so wil­den Aus­druck an­ge­nom­men, dass auch die üb­ri­gen ein pa­ni­scher Schreck er­griff. Fei­ge, wie es stets die Men­ge vor dem Zor­ne ei­nes Ein­zel­nen ist, lös­ten sie ihre Rei­hen auf und such­ten ihr Heil in der Flucht.

      Als der arme Klei­ne sich al­lein sah, rann­te er nach dem Fel­de zu; denn es war ihm plötz­lich eine Erin­ne­rung auf­ge­taucht, die in sei­nem klei­nen Ge­hirn eine voll­stän­di­ge Um­wäl­zung her­vor­rief: Er woll­te sich im Flus­se er­trän­ken.

      Es fiel ihm näm­lich ein, dass vor we­ni­gen Ta­gen ein ar­mer Teu­fel, der sich müh­sam durch die Welt bet­tel­te, sich ins Was­ser ge­stürzt hat­te, weil er kein Geld mehr be­sass. Si­mon war zu­ge­gen, als man ihn her­aus­fisch­te, und der arme stil­le Mann, der ihm sonst höchst be­kla­gens­wert, schmut­zig und wi­der­wär­tig vor­ge­kom­men war, hat­te die­ses­mal durch die Ruhe sei­ner Züge, mit sei­nen blei­chen Wan­gen, dem lang­wal­len­den vom Was­ser ge­glät­te­ten Bar­te und den fried­lich bli­cken­den of­fe­nen Au­gen einen tie­fen Ein­druck auf ihn ge­macht. »Er ist tot«, hat­te der eine ge­sagt, und »Er ist jetzt glück­lich« der


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