Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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hin­aus.

      Sei­ne Frau er­war­te­te ihn schon im Schlaf­ge­wan­de; sie sass auf ei­nem klei­nen Ses­sel nahe des of­fe­nen Fens­ters und dach­te im­mer­fort an die Erb­schaft.

      »Zieh Dich aus«, sag­te sie, »wir kön­nen im Bett noch plau­dern.«

      Er schau­te auf, und mit dem Auge nach der Zim­mer­de­cke wei­send, sag­te er:

      »Aber … da oben … es ist nie­mand da.«

      »Ver­zeih, Ro­sa­lie ist bei ihr, Du kannst sie um drei Uhr mor­gens ab­lö­sen, wenn Du erst mal ein Weil­chen ge­schla­fen hast.«

      Er zog sich trotz­dem nur teil­wei­se aus, um für alle Fäl­le be­reit zu sein, knüpf­te sich ein Hals­tuch um, und be­gab sich dann zu sei­ner Frau, wel­che schon zu Bett ge­gan­gen war.

      Eine Zeit lang sas­sen sie auf­recht ne­ben­ein­an­der. Sie dach­te für sich hin.

      Ihre Fri­sur war auch zu die­ser Zeit durch ein Ro­sa­band zu­sam­men­ge­rafft und die­ses Band hing gleich­falls auf dem einen Ohr her­un­ter, als müs­se das nun ein­mal so bei al­len Bän­dern sein, die sie trug.

      »Weißt Du, ob Dei­ne Mut­ter ein Te­sta­ment ge­macht hat?« frag­te sie plötz­lich, sich zu ihm um­wen­dend.

      »Ich … ich … weiß nicht … ich glau­be nicht …« sag­te er zö­gernd. »Nein, sie hat ohne Zwei­fel keins ge­macht.«

      Ma­da­me Ca­ra­van sah ih­rem Mann voll ins Ge­sicht.

      »Das ist schmach­voll, weißt Du!« sag­te sie mit tiefer zor­ni­ger Stim­me. »Denn, sieh mal, seit zehn Jah­ren pla­gen wir uns da­mit, sie zu pfle­gen, sie bei uns woh­nen zu las­sen und sie zu er­näh­ren. Dei­ne Schwes­ter hät­te nicht so viel für sie ge­tan und ich wahr­haf­tig auch nicht, wenn ich ge­wusst hät­te, wie sie uns das loh­nen wür­de! Das wirft einen trü­ben Schat­ten auf ihr An­den­ken. Du könn­test mir frei­lich ein­wen­den, dass sie uns ihre Pen­si­on be­zahl­te; aber die Pfle­ge sei­ner Kin­der kann man doch nicht mit Geld be­zah­len, man kann sie nur nach sei­nem Tode durch ein Te­sta­ment ver­gel­ten. So wer­den es alle an­stän­di­gen Leu­te hal­ten. Das habe ich nun von al­len Mü­hen und Sche­re­rei­en ge­habt. Wahr­haf­tig, das ist ei­gen­tüm­lich, muss man sa­gen; wirk­lich ei­gen­tüm­lich!«

      »Mein Schatz! ich bit­te Dich«, rief Ca­ra­van ein über das an­de­re Mal be­stürzt aus, »ich bit­te Dich, ich fle­he Dich an, höre auf.«

      Auf die Dau­er be­ru­hig­te sie sich und sag­te schliess­lich in ih­rem all­täg­li­chen Tone:

      »Mor­gen früh müs­sen wir Dei­ne Schwes­ter be­nach­rich­ti­gen.«

      »Das ist wahr«; sag­te er, we­nig er­baut, »dar­an hat­te ich nicht ge­dacht. Ich wer­de ihr gleich früh eine De­pe­sche sen­den.«

      Aber als eine Frau, die an al­les denkt, hielt sie ihn zu­rück.

      »Nein, schi­cke die De­pe­sche erst ge­gen zehn oder elf Uhr ab, da­mit wir Zeit ha­ben, uns um­zu­se­hen, ehe sie an­kommt. Von Cha­ren­ton bis hier­her braucht sie höchs­tens zwei Stun­den. Wir wer­den ihr sa­gen, Du hät­test voll­stän­dig den Kopf ver­lo­ren ge­habt. Wenn wir sie so zei­tig be­nach­rich­ti­gen, wer­den wir nicht mit al­lem fer­tig wer­den.«

      Aber Ca­ra­van schlug sich vor die Stir­ne und mit dem furcht­sa­men Tone, in den er stets ver­fiel, wenn er von sei­nem Chef sprach, bei des­sen Na­mens­nen­nung er schon zit­ter­te, sag­te er:

      »Man muss auch im Mi­nis­te­ri­um Nach­richt ge­ben.«

      »Wa­rum Nach­richt ge­ben!« ant­wor­te­te sie. »Bei sol­chen Ge­le­gen­hei­ten ist man stets ent­schul­digt, wenn man et­was ver­gisst. Gib lie­ber kei­ne Nach­richt, glau­be mir. Dein Chef kann gar nichts sa­gen und Du wirst ihn in eine grau­sa­me Ver­le­gen­heit brin­gen.«

      »Ach ja!« sag­te er, »was das an­be­trifft, ent­schie­den, und in einen rie­si­gen Zorn dazu, wenn er sieht, dass ich nicht kom­me. Ja! Du hast recht, das ist eine herr­li­che Idee. Er muss sich be­ru­hi­gen und schwei­gen, wenn ich ihm spä­ter den Tod der Mut­ter an­zei­gen wer­de.«

      Und ganz ent­zückt von dem Scherz rieb sich der Be­am­te die Hän­de, wenn er an den Zorn sei­nes Chefs dach­te, wäh­rend oben über ihm, ne­ben dem Leich­nam sei­ner Mut­ter, das ein­ge­schla­fe­ne Dienst­mäd­chen hef­tig schnarch­te.

      Ma­da­me Ca­ra­van wur­de wie­der nach­denk­lich, als sei sie mit et­was be­schäf­tigt, was sich nicht gut sa­gen lässt.

      »Dei­ne Mut­ter«, ent­schloss sie sich end­lich, »hat Dir doch ganz si­cher ihre Uhr ver­macht, nicht wahr, das jun­ge Mäd­chen mit dem Ball­spiel?«

      »Ja, ja«, sag­te er nach ei­ni­gem Nach­den­ken, »sie hat es mir ge­sagt, aber es ist schon so lan­ge her, da­mals als sie zu uns kam; ja sie sag­te: ›Die Pen­du­le da wird für Dich sein, wenn Du gut für mich sorgst.‹

      Das be­ru­hig­te Ma­da­me Ca­ra­van und sie wur­de wie­der et­was hei­te­rer.

      »Dann müs­sen wir sie aber her­un­ter­ho­len, weißt Du, weil, wenn wir Dei­ne Schwes­ter kom­men las­sen, sie uns dar­an hin­dern wird.«

      »Glaubst Du?« … sag­te er zö­gernd.

      »Ge­wiss«, sag­te sie hef­tig, »glau­be ich das; ein­mal hier, ist al­les zu spät. Das ist ge­ra­de wie mit der Kom­mo­de in ih­rem Zim­mer, die die Mar­mor­plat­te hat; sie hat sie mir ge­ge­ben, mir, als sie ein­mal sehr gut ge­launt war. Wir wol­len sie auch gleich mit her­un­ter­ho­len.«

      Ca­ra­van mach­te ein et­was un­gläu­bi­ges Ge­sicht.

      »Aber, mei­ne Lie­be!« sag­te er, »das ist doch eine große Verant­wor­tung!«

      »Ach wirk­lich!« wand­te sie sich hef­tig zu ihm, »Du wirst stets der­sel­be blei­ben. Dei­ne Kin­der könn­ten vor Hun­ger ster­ben, ehe Du Dich rüh­ren wür­dest. Von dem Au­gen­blick an, wo sie mir die Kom­mo­de ge­ge­ben hat, ist die­se un­ser Ei­gen­tum; oder nicht? Und wenn Dei­ner Schwes­ter das nicht passt, so mag sie’s nur sa­gen, mir näm­lich, ver­stehst Du? Ich ma­che mir den Kuckuck aus Dei­ner Schwes­ter. Vor­wärts, steh auf! Wir wol­len das, was Dei­ne Mut­ter uns ge­ge­ben hat, gleich her­un­ter ho­len.«

      Zit­ternd und ohne wei­te­ren Wi­der­spruch ver­liess Ca­ra­van das Bett; als er aber sei­ne Bein­klei­der an­zie­hen woll­te, hin­der­te sie ihn dar­an:

      »Wa­rum Dich lan­ge an­zie­hen? Du hast ja die Un­ter­ho­sen an, das ge­nügt. Ich gehe auch, wie ich bin.«

      Und alle bei­de gin­gen im Nacht­ko­stüm her­aus, stie­gen ge­räusch­los die Trep­pe hin­auf, öff­ne­ten vor­sich­tig die Türe und tra­ten in das Zim­mer, wo die vier Ker­zen und der Palm­we­del im Weih­was­ser al­lein bei der star­ren To­ten Wa­che zu hal­ten schie­nen. Denn Ro­sa­lie lag in ih­rem Ses­sel, die Bei­ne von sich ge­streckt, die Hän­de ge­fal­tet, den Kopf zur Sei­te hän­gend, und schnarch­te aus Lei­bes­kräf­ten mit of­fen­ste­hen­dem Mun­de.

      Ca­ra­van nahm die Uhr. Es war dies ei­ner je­ner gro­tes­ken Kunst­wer­ke, wie man sie zur­zeit des ers­ten Kai­sers so viel­fach dar­stell­te: Ein jun­ges Mäd­chen in Gold­bron­ze, das Haupt mit al­ler­lei Blu­men ge­schmückt, trug in der Hand einen Ku­gel­fän­ger, wäh­rend


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