Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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Wes­te, wel­che teil­wei­se von ei­ner Schür­ze be­deckt war, stieg lang­sam die Trep­pen­stu­ten her­ab. Er bat um die Na­men der Herr­schaf­ten und führ­te sie in einen ge­räu­mi­gen Sa­lon, des­sen her­ab­ge­las­se­ne Ja­lou­si­en er müh­sam auf­zog. Die Mö­bel wa­ren mit Über­zü­gen ver­se­hen, die Uhr und die Leuch­ter in Lein­wand ein­gehüllt. Eine dump­fe, feuch­te ei­si­ge Luft, eine Luft wie von al­ter Zeit herrsch­te in die­sem Rau­me und stimm­te un­will­kür­lich zur Trau­rig­keit.

      Man setz­te sich und war­te­te. Auf dem Gan­ge über dem Zim­mer wur­den has­ti­ge Schrit­te ver­nehm­bar, die eine un­ge­wohn­te Un­ru­he ver­kün­de­ten. Die über­rasch­ten Schloss­be­woh­ner schie­nen sich ei­ligst um­zu­klei­den. Aber es dau­er­te doch lan­ge. Mehr­mals hör­te man eine Glo­cke, und dann wie­der ei­li­ge Schrit­te trepp­auf und trepp­ab.

      Die Baro­nin wur­de durch die un­an­ge­neh­me Küh­le des Zim­mers fort­wäh­rend zum Nie­sen ge­reizt. Ju­li­us ging mit großen Schrit­ten auf und ab. Jo­han­na sass trau­rig ne­ben ih­rer Mut­ter. Der Baron stand am Ka­min ge­lehnt und ließ den Kopf hän­gen.

      End­lich wur­de eine der ho­hen Flü­gel­tü­ren auf­ge­ris­sen und Vi­com­te und die Vi­com­tes­se de Bri­se­ville tra­ten ein. Sie wa­ren bei­de klein, von zier­li­cher Ge­stalt und hat­ten einen tän­zeln­den Gang. Ihr Al­ter war schwer zu be­stim­men; ihr Be­neh­men war ze­re­mo­ni­ell und ver­le­gen.

      Der Ehe­mann trug einen präch­ti­gen Lei­b­rock; er grüss­te, in­dem er leicht das Knie beug­te. Sei­ne Nase, sei­ne Au­gen, sei­ne Zäh­ne, sei­ne po­ma­di­sier­ten Haa­re und sei­ne gan­ze präch­ti­ge Klei­dung hat­ten einen Glanz wie Sa­chen, die man mit großer Sorg­falt hegt und pflegt.

      Nach­dem man die ers­ten Höf­lich­keits­for­meln von der Freu­de über den Be­such der lie­ben Nach­barn aus­ge­tauscht hat­te, fing das Ge­spräch be­reits zu sto­cken an. Dann wur­de es wie­der in Gang ge­bracht, in­dem man sich ge­gen­sei­tig Lie­bens­wür­dig­kei­ten sag­te, ohne recht den Grund da­für zu wis­sen. Man wür­de hof­fent­lich bei­der­seits die vor­treff­li­chen Be­zie­hun­gen zu ein­an­der fort­set­zen. Es wäre doch zu schön, sich öf­ters zu be­su­chen, wo man das gan­ze Jahr auf dem Lan­de woh­ne.

      Die ei­si­ge Luft des Sa­lons drang al­len durch Mark und Bein. Die Baro­nin hus­te­te be­reits von hef­ti­gem Nie­sen zu­wei­len noch un­ter­bro­chen. Der Baron gab end­lich das Zei­chen zum Auf­bruch. Die Bri­se­vil­les pro­tes­tier­ten. »Wie? schon so ei­lig? Blei­ben Sie doch noch ein we­nig.« Aber Jo­han­na hat­te sich be­reits er­ho­ben trotz der Win­ke ih­res Man­nes, dem der Be­such zu kurz dünk­te.

      Man woll­te dem Die­ner schel­len, um den Wa­gen vor­fah­ren zu las­sen; aber die Schel­le ging nicht. Der Haus­herr stürz­te selbst fort, und kam mit der Nach­richt zu­rück, dass die Pfer­de noch im Stal­le stän­den.

      Man muss­te also war­ten. Je­der such­te nach ei­nem Wort, um die Un­ter­hal­tung nicht ein­schla­fen zu las­sen. Man sprach von dem reg­ne­ri­schen Win­ter. Jo­han­na frag­te mit heim­li­chem Grau­sen, was die bei­den so al­lein, den gan­zen Win­ter über mach­ten. Die Bri­se­vil­les wa­ren über die­se Fra­ge sehr er­staunt, denn sie be­schäf­tig­ten sich fort­wäh­rend, schrie­ben ih­ren durch ganz Frank­reich ver­streu­ten vor­neh­men Ver­wand­ten, brach­ten die Tage mit mi­kro­sko­pi­schen Un­ter­su­chun­gen zu, be­ob­ach­te­ten ge­gen­ein­an­der die­sel­be stei­fe Eti­ket­te wie ge­gen Frem­de und un­ter­hiel­ten sich fei­er­lich über die un­be­deu­tends­ten Din­ge.

      Die­se bei­den Leut­chen, so klein, so sau­ber, so kor­rekt in ih­rer Hal­tung ka­men Jo­han­na un­ter dem Pla­fond des un­wohn­li­chen Sa­lons, wo al­les in Lein­wand ver­packt war, wie zwei in Vor­nehm­heit ein­ge­mach­te We­sen vor.

      End­lich er­schi­en der Wa­gen mit sei­ner un­glei­chen Be­span­nung. Aber Ma­ri­us war nicht da­bei. Er hat­te ge­glaubt, bis zum Abend frei zu sein, und war zwei­felsoh­ne ein we­nig in die Nach­bar­schaft ge­gan­gen.

      Ju­li­us bat wü­tend, man möge ihn zu Fuss zu­rück­sen­den. Nach vie­len Ab­schieds­grüs­sen hin und her schlug man end­lich den Rück­weg nach Peup­les ein.

      So­bald sie in der Ka­le­sche sas­sen, be­gan­nen Jo­han­na und ihr Va­ter, trotz des Druckes, der noch von Ju­li­us’ Un­ge­zo­gen­heit auf ih­nen las­te­te, un­ter lau­tem Ge­läch­ter die Ma­nie­ren und die Sprach­wei­se der Bri­se­vil­les nach­zu­ma­chen. Der Baron ko­pier­te den Vi­com­te und Jo­han­na die Vi­com­tes­se. Aber die Baro­nin fand das un­pas­send und sag­te:

      »Es ist sehr Un­recht, sich über sie lus­tig zu ma­chen. Die Leu­te sind sehr com­me il faut und von aus­ge­zeich­ne­ter Fa­mi­lie.«

      Man schwieg, um Müt­ter­chen nicht zu ver­let­zen; aber un­will­kür­lich ver­fie­len bei­de wie­der von Zeit zu Zeit auf ihre al­ten Wit­ze. Er mach­te eine ze­re­mo­ni­el­le Ver­beu­gung und sag­te mit fei­er­li­chem Ton:

      »Ihr Schloss Peup­les, Ma­da­me, muss sehr kalt sein, bei den hef­ti­gen Nord­win­den, die da im­mer we­hen.«

      Sie nahm eine ge­schraub­te Mie­ne an und in­dem sie sich mit ei­nem leich­ten Schüt­teln des Kop­fes wie ein ba­den­der En­te­rich zier­te, ent­geg­ne­te sie:

      »Oh, mein Herr, ich habe hier das gan­ze Jahr mei­ne Be­schäf­ti­gung. Dann ha­ben wir so vie­le Ver­wand­te, mit de­nen wir in Brief­wech­sel ste­hen. Und Herr von Bri­se­ville la­det mir al­les auf. Er treibt mit dem Abbé Pel­le zu­sam­men ge­lehr­te For­schun­gen. Sie schrei­ben ge­mein­schaft­lich die Kir­chen­ge­schich­te der Nor­man­die.«

      Die Baro­nin lach­te nun doch, halb är­ger­lich, halb er­götzt und wie­der­hol­te: »Man soll­te sich doch nicht so über Stan­des­ge­nos­sen lus­tig ma­chen.«

      Aber plötz­lich hielt der Wa­gen an; man hör­te Ju­li­us ir­gend­je­man­den nach rück­wärts et­was zu­ru­fen. Jo­han­na und der Baron, die sich aus dem Wa­gen ge­beugt hat­ten, be­merk­ten ein son­der­ba­res We­sen, das auf sie zu zu rol­len schi­en. Es war Ma­ri­us, der, so schnell ihn sei­ne Füs­se tru­gen, dem Wa­gen ge­folgt war. Sei­ne Bei­ne wa­ren durch die flie­gen­den Rock­schös­se sei­ner Li­vree be­hin­dert, sei­ne Au­gen blen­de­te der hin und her rut­schen­de Hut; er schwenk­te die Arme wie zwei Wind­müh­len­flü­gel, patsch­te in die großen Was­ser­la­chen, die er zu über­sprin­gen such­te, stol­per­te über alle Stei­ne im Wege, hüpf­te, schüt­tel­te sich, und war ganz mit Schmutz be­deckt.

      So­bald er den Wa­gen er­reicht hat­te, beug­te Ju­li­us sich her­ab, fass­te ihn am Kra­gen, zog ihn zu sich her­auf und be­gann ihn mit Faust­schlä­gen zu trak­tie­ren, so­dass der Hut ihm bis auf die Schul­tern sank und es einen Ton wie eine Trom­mel gab. Der Bur­sche da­drun­ter heul­te, such­te sich los­zu­win­den und vom Sitz zu sprin­gen, wäh­rend sein Herr ihn mit der einen Hand fest­hielt und mit der an­de­ren lus­tig drauf los schlug.

      »Papa … ach! Papa!« stam­mel­te Jo­han­na ent­setzt; und die Baro­nin er­griff voll Ent­rüs­tung den Arm ih­res Man­nes. »So halt ihn doch zu­rück, Ja­kob!« Da öff­ne­te der Baron schnell das Fens­ter vorn am Wa­gen und fass­te sei­nen Schwie­ger­sohn am Arm.

      »Ha­ben Sie das Kind nun bald ge­nug ge­schla­gen


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