Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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und sei­nem Hang zur Spar­sam­keit zu ge­nü­gen. Er war von ei­nem ge­ra­de­zu lä­cher­li­chen Gei­ze be­seelt, gab nie­mals ein Trink­geld und be­schränk­te die Kost der Leu­te aufs Äus­sers­te. Selbst Jo­han­na muss­te dar­un­ter lei­den. Frü­her hat­te sie sich, so­lan­ge sie in Peup­les war, je­den Mor­gen durch den Bä­cker einen klei­nen nor­man­ni­schen We­cken brin­gen las­sen. Ju­li­us er­klär­te dies für Lu­xus und sie muss­te sich mit ge­rös­te­ten Brot­schnitt­chen be­gnü­gen.

      Sie wag­te kei­ne Ein­wen­dun­gen, um den end­lo­sen Aus­ein­an­der­set­zun­gen, De­bat­ten und Kla­gen zu ent­ge­hen; aber je­der neue Be­weis von dem Gei­ze ih­res Man­nes wirk­te auf sie wie ein Na­del­stich. Ihr, die in ei­ner At­mo­sphä­re groß ge­wor­den war, wo das Geld kei­ne Rol­le spiel­te, schi­en das nied­rig und ver­ab­scheu­ens­wert. »Das Geld ist doch da, dass man es aus­gibt«, hat­te sie ihre Mut­ter so oft sa­gen hö­ren; jetzt hiess es bei Ju­li­us: »Kannst Du Dir denn gar nicht ab­ge­wöh­nen, das Geld zum Fens­ter hin­aus­zu­wer­fen?« Und je­des Mal, wenn er von ei­ner Lohn­zah­lung oder ei­ner Rech­nung ei­ni­ge Sous ab­ge­zwackt hat­te, ließ er schmun­zelnd das Geld in die Ta­sche glei­ten, in­dem er sag­te: »Aus klei­nen Bä­chen flies­sen die großen Strö­me zu­sam­men.«

      Zu­wei­len in­des­sen ver­fiel sie wie­der in ihre ge­lieb­te alte Träu­me­rei. Sie hör­te lang­sam auf zu ar­bei­ten, ihre Hän­de glit­ten in den Schos, und den Blick ver­sun­ken, gab sie sich den selbst­ge­spon­ne­nen Ro­ma­nen ih­rer Mäd­chen­zeit hin, in de­nen sie al­ler­hand nied­li­che Aben­teu­er im Geis­te er­leb­te. Aber plötz­lich weck­te sie dann die Stim­me ih­res Man­nes, der dem al­ten Papa Si­mon ir­gend einen Be­fehl gab, aus die­sen süs­sen Träu­men. »Es ist zu Ende«, sag­te sie dann, ihre Ar­beit wie­der auf­neh­mend, wäh­rend eine Trä­ne auf ihre Fin­ger fiel, die die Na­del führ­ten.

      Auch Ro­sa­lie, die ehe­mals so ver­gnügt war und den gan­zen Tag über sang, hat­te sich voll­stän­dig ver­än­dert. Ihre einst so blü­hen­den vol­len Wan­gen hat­ten die fri­sche rote Far­be ver­lo­ren; sie schie­nen jetzt ein­ge­fal­len und zeig­ten zu­wei­len eine asch­graue Fär­bung.

      »Bist Du krank, lie­bes Kind?« frag­te Jo­han­na sie öf­ters.

      »Nein, Ma­da­me«, ant­wor­te­te das Mäd­chen stets, wo­bei ihr das Blut ins Ge­sicht stieg. Und dann ent­fern­te sie sich rasch.

      Statt wie sonst leich­ten Schrit­tes da­hin­zu­flie­gen, schlepp­te sie sich jetzt müh­sam her­um. Sie hat­te ihre eins­ti­ge Schel­me­rei voll­stän­dig ver­lo­ren und mach­te kei­ne Ein­käu­fe mehr bei den Hau­sie­rern, die ihr um­sonst ihre sei­de­nen Tü­cher, ihre Kor­sets und ihre Par­fü­me­ri­en an­bo­ten.

      Das Haus mit sei­ner re­gen ge­schwärz­ten Fassa­de mach­te einen fins­te­ren trau­ri­gen Ein­druck, und die Schrit­te der Men­schen wi­der­hall­ten in dem­sel­ben wie in ei­ner Gruft.

      Ge­gen Ende Ja­nu­ar war star­ker Schnee­fall. Man sah von Wei­tem die großen schwe­ren Wol­ken aus Nor­den her über das schwar­ze Meer da­h­in­ja­gen, und dann be­gann der Flock­en­tanz. In ei­ner Nacht war die gan­ze Ge­gend in Schnee gehüllt und am an­de­ren Mor­gen tru­gen Bäu­me und Sträu­cher die be­kann­te wei­ße Ver­zie­rung.

      Ju­li­us, in ho­hen Stie­feln, das Ge­sicht in Fal­ten, ver­brach­te sei­ne Zeit da­mit, dass er, im Hin­ter­grun­de des Bos­quets in ei­nem Gra­ben kau­ernd, der nach der Hei­de zu mün­de­te, auf Zug­vö­gel schoss. Von Zeit zu Zeit hall­te ein Flin­ten­knall durch das ei­si­ge Schwei­gen der Flur; Scha­ren von auf­ge­scheuch­ten Krä­hen er­ho­ben sich in die Luft, um sich dann wie­der auf den um­ste­hen­den Bäu­men nie­der­zu­las­sen.

      Jo­han­na, von Lan­ge­wei­le ge­quält, trat hin und wie­der auf die Schloss­ram­pe her­aus. Nur von Wei­tem wi­der­hall­te le­ben­di­ges Trei­ben durch die schläf­ri­ge Ruhe, die über dem öden trau­ri­gen Schnee­tu­che lag.

      Sonst hör­te sie nichts als das ent­fern­te Grol­len des Mee­res und das un­be­stimm­te fort­ge­setz­te Geräusch des fal­len­den Schnees.

      Dich­ter und dich­ter hüll­te sich die Erde in die­sen wei­ßen flo­cki­gen Man­tel ein.

      An ei­nem die­ser öden Win­ter­mor­gen sass Jo­han­na am Ka­min und wärm­te sich die Füs­se, wäh­rend Ro­sa­lie, stets mehr und mehr ver­än­dert, lang­sam das Bett mach­te. Plötz­lich hör­te die jun­ge Frau hin­ter sich einen tie­fen Seuf­zer.

      »Was hast Du nur?« frag­te sie ohne sich um­zu­se­hen.

      »Nichts, Ma­da­me«, ant­wor­te­te das Mäd­chen wie im­mer. Aber ihre Stim­me schi­en zit­ternd und kläg­lich.

      Jo­han­na dach­te schon wie­der an et­was an­de­res, als ihr plötz­lich auf­fiel, dass sie kein Geräusch mehr von dem jun­gen Mäd­chen hör­te. »Ro­sa­lie!« rief sie; aber nichts rühr­te sich. »Ro­sa­lie!« rief sie lau­ter, weil sie glaub­te, das Mäd­chen sei her­aus­ge­gan­gen. Schon streck­te sie die Hand nach dem Glo­cken­zu­ge ne­ben ihr aus, als ein tiefer Seuf­zer ganz dicht hin­ter ihr sie ver­an­lass­te, sich er­schreckt um­zu­wen­den.

      Die Kam­mer­zo­fe sass bleich mit ver­stör­tem Blick auf dem Bo­den, den Rücken an das Bett ge­lehnt.

      »Was hast Du; was fehlt Dir?« rief Jo­han­na vor­tre­tend.

      Jene sprach kein Wort, mach­te kei­ne Be­we­gung. Sie hef­te­te den ver­wirr­ten Blick auf ihre Her­rin und stöhn­te, wie von furcht­ba­ren Schmer­zen ge­pei­nigt. Dann plötz­lich krümm­te sich ihr gan­zer Kör­per, sie glitt auf den Rücken und stiess zwi­schen den zu­sam­men­ge­bis­se­nen Zäh­nen einen ent­setz­li­chen Schrei her­vor.

      Dann reg­te sich et­was un­ter ih­ren Rö­cken zwi­schen den aus­ein­an­der ge­sperr­ten Schen­keln. Ein selt­sa­mer Ton, ein Kol­lern, ein er­stick­tes Gur­geln drang her­vor. Plötz­lich klang es wie das lang­ver­hal­te­ne Mi­au­en ei­ner Kat­ze, wie ein lei­ses kläg­li­ches Ge­wim­mer; der ers­te Schmer­zens­schrei ei­nes neu­ge­bo­re­nen Kin­des.

      Jo­han­na be­griff plötz­lich al­les; sie ver­lor völ­lig den Kopf, und »Ju­li­us! Ju­li­us!« ru­fend, stürz­te sie an die Trep­pe.

      »Was gib­t’s denn?« ant­wor­te­te Je­ner von un­ten her.

      »Ach … komm nur ’mal … Ro­sa­lie hat …« konn­te sie kaum her­vor­brin­gen.

      Zwei Stu­fen auf ein­mal neh­mend stürm­te Ju­li­us her­auf, trat ei­ligst ins Zim­mer, lüf­te­te mit ei­nem Ruck die Klei­der des Mäd­chens und ent­deck­te ein schau­der­haft elen­des, runz­li­ges, wim­mern­des, ver­schrumpf­tes und schmut­zi­ges Wurm, das zwi­schen den ent­blöss­ten Bei­nen lag.

      Er wand­te sich zor­nig um, schob sei­ne ent­setz­te Frau zur Tür hin­aus und sag­te:

      »Das ist nichts für Dich. Geh hin­un­ter und schick mir Lu­di­vi­ne und Papa Si­mon.«

      Jo­han­na stieg zit­ternd in die Kü­che her­un­ter. Sie wag­te nicht wie­der her­auf­zu­ge­hen und trat in den Sa­lon, der seit der Abrei­se ih­rer El­tern nicht mehr ge­heizt wor­den war. Dort war­te­te sie ängst­lich auf wei­te­re Nach­rich­ten.

      Bald sah sie den al­ten Die­ner ei­ligst über den


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