Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн книгу.haben, aber schon voll Alkohol sind. Die Luft war verhältnismässig mild und ein schmeichelndes Lüftchen umkoste ihre Stirn.
»Wie wär’s wenn wir hingingen?« sagte plötzlich Herr Sauvage, der in der freien Luft sich erst recht benebelt fühlte.
»Wohin?«
»Zum Angeln, meine ich.«
»Aber wo?«
»Auf unserer Insel natürlich. Die französischen Vorposten stehen nahe bei Colombes. Ich kenne den Oberst Dumoulin; man wird uns ohne Schwierigkeiten durchlassen.«
Morissot zitterte vor Begierde.
»Abgemacht,« sagte er »ich bin dabei.« Und sie trennten sich um ihr Angelzeug zu holen.
Eine Stunde später befanden sich beide bereits unterwegs. Sie erreichten alsbald die Villa, die der Colonel bewohnte. Er lächelte über ihre Passion und willigte in ihr Begehren. Mit einem Durchlass-Schein versehen gingen sie weiter.
Bald hatten sie die Vorposten hinter sich, durchschritten das verlassene Colombes und befanden sich schliesslich am Rande der kleinen Weinberge, welche sich am Hange der Seine zu, befinden. Es war ungefähr elf Uhr. Das Dorf Orgenteuil gegenüber schien wie ausgestorben. Die Höhen von Argemont und Sannois beherrschten die ganze Umgegend. Die große Ebene, die sich mit ihren kahlen Kirschbäumen und ihren grauen Feldern bis Nanterre erstreckt, war leer, ganz leer.
»Da oben sind die Preussen« sagte Herr Sauvage mit dem Finger auf die Hügel weisend. Diese menschenleere Gegend erfüllte die beiden Freunde mit einem unwillkürlichen Grauen.
»Die Preussen!« Sie hatten noch niemals welche gesehen. Aber sie spürten genug von ihnen seit Monaten, wie sie raubten, mordeten und plünderten, sie aushungerten und sich unsichtbar wie sie waren, dennoch als allmächtige Herren bewiesen. Und eine Art abergläubischer Furcht gesellte sich zu dem Hasse, den sie gegen dieses unbekannte siegreiche Volk empfanden.
»Wenn uns einige begegnen, was dann?« stammelte Morissot.
»So bieten wir ihnen ein Gericht Fische an.« antwortete Herr Sauvage mit jenem echten Pariser Humor, der selbst in den schwierigsten Lagen die Oberhand behält.
Aber es war Ihnen doch nicht so recht wohl zu Mute, sich ins freie Feld zu begeben; dieses weit und breit lastende Schweigen flösste ihnen Besorgnis ein.
»Gehen wir, vorwärts!« entschied endlich Herr Sauvage, »aber vorsichtig!« Und sie kletterten einen Weinberg hinab, mit vorgebeugtem Oberkörper, schleichend, jedes Gesträuch als Deckung benutzend, unruhig umherschauend und ängstlich auf jedes Geräusch lauschend.
Noch hatten sie einen Erdhaufen zu überklettern, um an das Ufer des Flusses zu gelangen. Sie begannen zu laufen und sobald sie am Ufer angekommen waren, versteckten sie sich in dem abgestandenen Röhricht.
Morissot legte das Gesicht an die Erde, um zu lauschen, ob man Marschtritte in der Umgegend vernehmen könnte. Nichts rührte sich indessen. Sie waren allein, ganz allein.
So beruhigt verlegten sie sich nun eifrig aufs Fischen.
Die Insel Marante ihnen gegenüber, welche ebenfalls wie abgestorben dalag, verbarg sie vor dem jenseitigen Ufer. Das kleine Restaurationsgebäude auf derselben war geschlossen, als wenn es seit Jahren nicht mehr benutzt gewesen wäre.
Herr Sauvage fing den ersten Gründling und gleich darauf Herr Morissot den zweiten. Alle Augenblicke zog einer von ihnen die Angelschnur heraus, an der ein silberglänzender Fisch zappelte. Sie machten in der Tat einen glänzenden Fang.
Vorsichtig legten sie ihre Beute in einen engmaschigen Netzbeutel zu ihren Füssen. Eine lebhafte Freude erfüllte sie; jene Freude, die man empfindet, wenn man sich einem langentbehrten Vergnügen zum ersten Male wieder hingibt.
Die Sonne schien warm auf ihre Schultern. Sie hörten nichts und dachten an nichts mehr. Die Welt ringsum war für sie vergessen. Sie widmeten sich ganz ihrem Fischfang.
Plötzlich erzitterte der Boden, wie von einem unterirdischen Geräusche. Es war der Donner von Geschützen.
Morissot wandte den Kopf und gewahrte jenseits des Ufers unten links die gewaltigen Umrisse des Mont-Valerien, vor dessen Front eine weiße Wolke schwebte: Der Pulverdampf, den er auspie.
Alsbald folgte vom Gipfel der Feste ein zweiter Rauchausbruch, und nach einigen Augenblicken hörte man abermals Geschützdonner.
Dann folgten weitere Schläge und in regelmässigen Zwischenräumen stiess der Berg seinen tötlichen Atem aus, und blies den milchweißen Dampf von sich, der langsam am klaren Himmel emporstieg und eine Wolke über seinem Gipfel bildete.
»Sie fangen wieder an,« sagte Herr Sauvage achselzuckend.
Morissot, der ängstlich das Auf- und Abtauchen des Federkiels an seinem Schwimmer beobachtete, wurde plötzlich von jenem heftigen Zorne ergriffen, den der friedliche Mensch gegen jene Unsinnigen empfindet, die so leidenschaftlich kämpfen. »Man muss wirklich besessen sein, um sich gegenseitig so umzubringen,« murmelte er.
»Es ist schlimmer wie bei den Tieren,« entgegnete Herr Sauvage.
»Und zu denken, dass das so weiter gehen wird, solange als es Regierungen gibt!« rief Herr Morissot aus, der gerade einen Weißfisch gefangen hatte. »Die Republik würde den Krieg nicht erklärt haben …« meinte Herr Sauvage.
»Bei den Königen,« unterbrach ihn Herr Morissot, »spielt der Krieg auswärts; bei der Republik hat man ihn im eigenen Lande.«
Und nun begannen sie eine gemütliche Unterhaltung über die schwierigsten politischen Streitfragen mit jenem gesundem Urteil, welches einfache ruhige Leute so oft zeigen, die sich darüber einig sind, dass man niemals wirklich frei ist. Der Mont-Valerien donnerte dazu ohne Unterlass, verwüstete französische Häuser, vernichtete Menschenleben, rottete zahllose Geschöpfe Gottes aus, zerstörte so manchen schönen Traum, so manche ersehnte Freude, und erweckte in den Herzen zahlloser Frauen, Mütter und Mädchen drüben in anderen Ländern endloses Herzeleid.
»Das ist das Leben,« sagte Herr Sauvage.
»Sagen Sie lieber: Der Tod,« entgegnete lachend Herr Morissot.
Aber plötzlich zuckten sie erschreckt zusammen, als sie hinter sich Fusstritte vernahmen. Sich umwendend,