Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

Читать онлайн книгу.

Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


Скачать книгу
habe.«

      Wü­tend er­hob der Land­wirt sei­ne Hän­de, spuck­te zur Sei­te, um sei­nen Re­spekt aus­zu­drücken und wie­der­hol­te:

      »Das ist die Wahr­heit, bei Gott! Die rei­ne Wahr­heit, Herr Maire. Wahr­haf­tig, ich be­schwö­re es bei mei­ner Ehre und Se­lig­keit.«

      »Nach­dem Sie den Ge­gen­stand auf­ge­ho­ben hat­ten,« nahm der Maire wie­der das Wort, »ha­ben Sie so­gar noch lan­ge in der Gos­se ge­sucht, ob Ih­nen nicht etwa noch ein Geld­stück ent­gan­gen wäre.«

      Der Bie­der­mann keuch­te schwer vor Zorn und Furcht.

      »Wer soll­te es glau­ben! … Wer soll­te das für mög­lich hal­ten! … Sol­che Lü­gen um einen eh­ren­wer­ten Mann blos­zu­stel­len! Wie ist es mög­lich!«

      Aber er hat­te gut pro­tes­tie­ren; man glaub­te ihm nicht.

      Man kon­fron­tier­te ihn mit Meis­ter Ma­land­ain, der sei­ne Be­haup­tung ab­so­lut auf­recht hielt. Eine Stun­de lang strit­ten sie sich her­um. Man durch­such­te Meis­ter Hauch­e­cor­ne auf sein Ver­lan­gen, aber man fand nichts bei ihm.

      Der Maire wur­de schliess­lich zwei­fel­haft. Er ent­liess ihn mit der Be­mer­kung, dass er die Sa­che an­zei­gen und sich wei­te­re Be­feh­le ein­ho­len wer­de.

      Die Ge­schich­te hat­te sich bald her­u­mer­zählt. Als Meis­ter Hauch­e­cor­ne die Mai­rie ver­liess, wur­de er von al­len Sei­ten um­ringt und mit leb­haf­ter spöt­ti­scher Neu­gier, aber ohne jede äus­se­re Ent­rüs­tung, be­fragt. Er er­zähl­te die Ge­schich­te von der Schnur. Aber man glaub­te ihm nicht und lach­te.

      Er er­zähl­te im­mer aufs Neue je­dem, der sie hö­ren woll­te, sei­ne Ge­schich­te, schil­der­te sei­nen Pro­test auf der Mai­rie, zeig­te sei­ne um­ge­wen­de­ten Ta­schen, um zu be­wei­sen, dass nichts dar­in sei.

      »Al­ter Schlau­kopf!« sag­te man zu ihm.

      Er wur­de wü­tend, ganz aus­ser sich und schliess­lich trau­rig, weil man ihm nicht glaub­te; er wuss­te nicht, was er ma­chen soll­te und er­zähl­te im­mer wie­der sei­ne Ge­schich­te.

      Der Abend brach her­an. Es wur­de Zeit zur Heim­kehr. Er mach­te sich auf den Weg mit drei Nach­barn, de­nen er die Stel­le zeig­te, wo er das End­chen Schnur auf­ge­le­sen hat­te. Und den gan­zen Weg über sprach er von sei­nem Aben­teu­er.

      Den gan­zen Abend ging er im Dor­fe Béauté her­um, um al­ler Welt sei­ne Ge­schich­te zu er­zäh­len. Er be­geg­ne­te nur un­gläu­bi­gen Ge­sich­tern.

      Nachts wur­de er vor Auf­re­gung krank.

      Am an­de­ren Tage, ge­gen ein Uhr Nach­mit­tags, brach­te Ma­ri­us Pau­mel­le, Dienst­knecht bei Meis­ter Bre­ton, Bau­er in Ymau­ville, die Brief­ta­sche samt In­halt dem Meis­ter Houl­brèque von Man­ne­ville zu­rück.

      Die­ser Mann be­haup­te­te, die Brief­ta­sche tat­säch­lich auf der Stras­se ge­fun­den zu ha­ben. Aber da er des Le­sens un­kun­dig war, so hat­te er das Ding mit nach Hau­se ge­nom­men und sei­nem Herrn über­ge­ben.

      Die Nach­richt ver­brei­te­te sich bald in der Nach­bar­schaft. Auch Meis­ter Hauch­e­cor­ne er­fuhr sie und tri­um­phier­te. Er mach­te sich aber­mals auf den Weg und er­zähl­te al­ler Welt die Ge­schich­te nebst sei­ner Recht­fer­ti­gung.

      »Was mich be­küm­mert«, sag­te er, »ist nicht so­sehr die Sa­che selbst, ver­steht ihr, son­dern die Lü­ge­rei. Nichts geht ei­nem so nahe, als durch eine Lüge um sein An­se­hen zu kom­men.«

      Die­ses Aben­teu­er bil­de­te jetzt sei­nen ste­ten Ge­sprächss­toff. Er er­zähl­te es den Vor­über­ge­hen­den auf der Stras­se, den Ze­chern im Wirts­hau­se, den Kir­chen­gän­gern am nächs­ten Sonn­ta­ge. Selbst Frem­de hielt er an, um ih­nen die Ge­schich­te zu er­zäh­len. Er war jetzt ziem­lich be­ru­higt; nur et­was ge­nier­te ihn, ohne dass er recht wuss­te, was es war. Es schi­en als ob die Leu­te mit ihm scherz­ten, wenn er die Ge­schich­te er­zähl­te. Man schi­en nicht recht über­zeugt zu sein. Es war, als ob man hin­ter sei­nem Rücken al­ler­lei mun­kel­te.

      Am Diens­tag der nächs­ten Wo­che be­gab er sich aber­mals nach Go­der­ville auf den Markt, le­dig­lich von dem Be­dürf­nis ge­trie­ben, sei­ne Ge­schich­te zu er­zäh­len.

      Ma­land­ain stand vor sei­ner Tür. Er lach­te, als er ihn vor­über­ge­hen sah. Wa­rum wohl?

      Er trat auf einen Päch­ter von Cri­que­tot zu, der ihn gar nicht aus­re­den ließ, ihm auf die Schul­ter klopf­te und ihm ins Ge­sicht lach­te: »Geh nur, al­ter Schlau­mei­er.« Dann dreh­te er ihm den Rücken zu.

      Ver­blüfft blieb Meis­ter Hauch­e­cor­ne ste­hen, er wur­de von Mi­nu­te zu Mi­nu­te un­ru­hi­ger. Wa­rum nann­te man ihn einen »al­ten Schlau­mei­er?«

      Als er sich in der Gast­stu­be bei Meis­ter Jour­dain zu Tisch ge­setzt hat­te, be­gann er wie­der mit sei­ner Ge­schich­te.

      »Ach, geh doch, al­ter Pfif­fi­kus!« rief ihm ein Vieh­händ­ler von Mon­ti­vil­liers zu. »Ich ken­ne schon dei­ne Schnur!«

      »Aber man hat die Brief­ta­sche doch wie­der­ge­fun­den!« stam­mel­te Hauch­e­cor­ne.

      »Ach schweig doch lie­ber still;« ent­geg­ne­te je­ner, »der eine fin­det sie, und der an­de­re bringt sie zu­rück. Kei­ner sieht’s, kei­ner hör­t’s, der Teu­fel soll ei­nem was be­wei­sen.«

      Dem Land­mann ging der Atem aus. Jetzt be­griff er end­lich. Man be­schul­dig­te ihn heim­lich, dass er die Brief­ta­sche durch einen Ver­wand­ten einen Kom­pli­zen hät­te zu­rück­brin­gen las­sen.

      Er woll­te Ein­wen­dun­gen ma­chen; aber der gan­ze Tisch fing an zu la­chen.

      Er ver­gass sei­ne Mahl­zeit zu vollen­den und ging fort, ver­folgt von ei­nem Re­gen bis­si­ger Scher­ze.

      Be­schämt und ent­rüs­tet kehr­te er nach Hau­se zu­rück. Er er­stick­te fast vor Zorn; er kann­te sich selbst nicht mehr aus. Er war umso er­bit­ter­ter, als er bei sei­ner nor­man­ni­schen Pfif­fig­keit sich nichts dar­aus ge­macht hät­te, das zu tuen, des­sen man ihn be­schul­dig­te, und sich noch dazu des­sen ganz ru­hig ge­rühmt hät­te. Es schi­en ihm fast un­mög­lich sei­ne Un­schuld zu be­wei­sen, weil er sei­ner Hin­ter­list we­gen be­kannt war. Er war in sei­nem In­ners­ten ver­wun­det durch die­sen un­ge­rech­ten Ver­dacht.

      Nun be­gann er aufs Neue sei­ne Aben­teu­er zu er­zäh­len, und je­des Mal wur­de die Ge­schich­te län­ger. Denn je­des Mal füg­te er neue Grün­de hin­zu, im­mer hef­ti­ger pro­tes­tier­te er, im­mer fei­er­li­cher wur­den die Re­den, die er sich in den Stun­den des Al­lein­seins er­dach­te. Sein Geist war nur noch mit die­ser Ge­schich­te be­schäf­tigt. Aber je län­ger sei­ne Ver­tei­di­gung wur­de, und je ge­schraub­ter die Grün­de wa­ren, die er vor­brach­te, umso we­ni­ger glaub­te man ihm.

      »Das sind ech­te Lü­gen-Ge­schich­ten,« tu­schel­te man hin­ter sei­nem Rücken.

      Er fühl­te das, sein Blut wall­te auf; er er­schöpf­te sich in nutz­lo­sen An­stren­gun­gen.

      Ge­gen Ende De­zem­ber leg­te er sich zu Bett. Er starb in den ers­ten Ta­gen des Ja­nu­ar, und in den Fie­ber­fan­tasi­en der letz­ten Stun­den be­zeug­te er fort­wäh­rend sei­ne Un­schuld.

      »Eine


Скачать книгу