Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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sind näm­lich schon den gan­zen Mor­gen be­un­ru­higt, weil ein Mann um das Haus her­um­streicht: ein al­ter, ärm­lich aus­se­hen­der Mann. Sie sa­hen ihn zu­erst, als sie den Va­ter zu sei­nem Boo­te be­glei­te­ten; er sass am Gra­ben­ran­de der Tür ge­gen­über. Als sie vom Stran­de zu­rück­kehr­ten, fan­den sie ihn noch dort, un­ver­wandt das Haus an­star­rend.

      Er schi­en sehr krank und elend zu sein. Seit ei­ner Stun­de hat­te er sich nicht von der Stel­le ge­rührt, aber als er be­merk­te, dass sie ihn wie einen Übel­tä­ter be­ob­ach­te­ten, war er auf­ge­stan­den und schlep­pen­den Schrit­tes wei­ter ge­gan­gen.

      Aber bald sa­hen sie ihn mit sei­nem lang­sa­men, mü­den Schritt wie­der­kom­men; dies­mal je­doch setz­te er sich et­was wei­ter fort, wie um ih­nen auf­zu­lau­ern.

      Mut­ter und Kin­der ängs­tig­ten sich, na­ment­lich ers­te­re, weil sie, an sich schon furcht­sa­mer Na­tur, aus­ser­dem noch wuss­te, dass Le­ve­s­que vor Abend nicht vom Fisch­fan­ge heim­keh­ren wür­de.

      Le­ve­s­que war der Name ih­res Man­nes, sie selbst hiess ei­gent­lich Mar­tin und so nann­te man sie im gan­zen Dor­fe die Mar­tin-Le­ve­s­que. Sie war näm­lich in ers­ter Ehe mit ei­nem Ma­tro­sen Na­mens Mar­tin ver­hei­ra­tet ge­we­sen, der alle Som­mer nach Neu­fund­land auf den Ka­bel­jau­fang hin­aus­fuhr.

      Nach zwei­jäh­ri­ger Ehe schenk­te sie ihm ein klei­nes Mäd­chen und sie trug ein zwei­tes be­reits ein hal­b­es Jahr un­ter dem Her­zen, als die Bar­ke »Die zwei Schwes­tern«, auf der ihr Mann diente, ein stol­zer Drei­mas­ter aus Diep­pe, von ih­rer Fahrt nicht mehr zu­rück­kehr­te.

      Man hör­te nie wie­der et­was von ihr; kei­ner von den See­leu­ten, die auf ihr ge­dient hat­ten, kam zu­rück; man hielt das Schiff mit Mann und Maus für ver­schol­len.

      Die Mar­tin war­te­te zehn Jah­re auf ih­ren Mann, in­dem sie schlecht und recht ihre bei­den Kin­der und sich selbst durch­zu­brin­gen such­te. Dann hielt der Fi­scher Le­ve­s­que, Wit­wer mit ei­nem Kna­ben, um ihre Hand an, weil sie all­ge­mein für eine fleis­si­ge und bra­ve Frau galt. Sie hei­ra­te­ten und hat­ten in den ers­ten drei Jah­ren noch zwei Kin­der.

      Sie leb­ten ar­beit­sam und fleis­sig, aber küm­mer­lich. Das Brot war teu­er und Fleisch kann­te man in der klei­nen Fi­scher­hüt­te kaum dem Na­men nach. Im Win­ter, zur­zeit der Stür­me, blieb nichts andres üb­rig, als beim Bä­cker Schul­den zu ma­chen. Die Kin­der ge­die­hen in­des­sen vor­treff­lich.

      »Die Mar­tin-Le­ve­s­que sind bra­ve Leu­te«, hiess es all­ge­mein. »Die Mar­tin ist eine fleis­si­ge Frau und Le­ve­s­que sucht als Fi­scher sei­nes­glei­chen.«

      *

      »Man soll­te sa­gen, dass er uns kennt,« mein­te jetzt das Mäd­chen, wel­ches am Tore sass. »Vi­el­leicht ist es ir­gend ein Ar­mer aus Epre­ville oder Au­ze­bosce.«

      Aber die Mut­ter woll­te das nicht zu­ge­ben. Nein, nein, das war kei­ner aus der Ge­gend hier, ganz ge­wiss nicht.

      Als er nun im­mer noch nicht fort­ging und un­aus­ge­setzt auf das Haus der Mar­tin-Le­ve­s­que ge­hef­tet hielt, wur­de die Mar­tin end­lich un­ge­dul­dig, und da die Furcht ihr Mut ver­lieh, so griff sie zu ei­ner Ha­cke und be­gab sich vor das Tor.

      »Was macht Ihr da?« schrie sie dem Land­strei­cher zu.

      »Ich schöp­fe fri­sche Luft. Habt Ihr was da­ge­gen?« ant­wor­te­te er mit rau­er Keh­le.

      »Was spio­niert Ihr denn so­zu­sa­gen im­mer ums Haus her­um?« be­gann sie wie­der.

      »Ich füh­re nichts Bö­ses im Schil­de« sag­te der Mann. »Man darf sich doch an der Stras­se hin­set­zen?«

      Sie wuss­te hier­auf nichts zu sa­gen und ging ins Haus zu­rück.

      Die Zeit schritt lang­sam vor­an. Ge­gen Mit­tag ver­schwand der Mann, kam aber um fünf Uhr wie­der. Am Abend sah man ihn nicht mehr.

      Le­ve­s­que kam erst bei Ein­bruch der Nacht zu­rück.

      »Ir­gend ein Land­strei­cher oder gar was Schlim­me­res!« ent­schied er, als man ihm die Sa­che mit­teil­te. Dann be­gab er sich sorg­los zur Ruhe, wäh­rend sei­ne Ge­fähr­tin im­mer an den Land­strei­cher den­ken muss­te, der sie mit so ei­gen­tüm­li­chen Au­gen an­ge­se­hen hat­te.

      Am nächs­ten Tage war es ziem­lich stür­misch, und da der Fi­scher sah, dass er heu­te nicht aus­fah­ren konn­te, so half er sei­ner Frau die Net­ze fli­cken.

      Ge­gen neun Uhr kam das äl­tes­te Mäd­chen, eine Mar­tin, die man um Brot ge­schickt hat­te, zu­rück­ge­lau­fen und schrie schon von Wei­tem mit ängst­li­cher Mie­ne:

      »Mut­ter, da kommt er wie­der.«

      »Geh doch ’mal her­aus, Le­ve­s­que«, sag­te sie, bleich vor Schre­cken, »und sag ihm, er möge nicht hier so her­um­lau­ern, weil mich … das … noch ganz ver­rückt macht.«

      Le­ve­s­que, ein star­ker Mann mit zie­gel­ro­ter Ge­sichts­far­be und star­kem ro­ten Bart, scharf­bli­cken­den blau­en Au­gen, den star­ken Hals zum Schut­ze ge­gen Wind und Wet­ter stets mit ei­nem Woll­tuch um­hüllt, ging ru­hig hin­aus auf den Frem­den zu.

      Bald wa­ren sie in leb­haf­tem Ge­spräch mit­ein­an­der, wäh­rend Mut­ter und Kin­der neu­gie­rig und ängst­lich von Wei­tem zu­sa­hen.

      Mit ei­nem Male stand der Frem­de auf und schritt mit Le­ve­s­que auf das Haus zu.

      Er­schreckt wich die Mar­tin zu­rück.

      »Gib ihm ein Stück Brot und ein Glas Ap­fel­wein; er hat seit vor­ges­tern nichts ge­ges­sen.«

      Sie gin­gen ins Haus, ge­folgt von Mut­ter und Kin­dern; der Land­strei­cher setz­te sich und ass, das Auge un­ter all den neu­gie­ri­gen Bli­cken sen­kend.

      Die Mut­ter stand vor ihm und sah ihn ge­nau an; die bei­den großen Mäd­chen, die Mar­tins, lehn­ten mit dem Rücken an der Türe. Die eine trug das Kleins­te auf dem Arm, und ihre neu­gie­ri­gen Au­gen folg­ten un­auf­hör­lich al­len Be­we­gun­gen des Frem­den, wäh­rend die zwei Klei­ne­ren, am Her­de hockend, auf­ge­hört hat­ten mit der Koh­le zu spie­len, als woll­ten auch sie den Un­be­kann­ten ge­nau be­trach­ten.

      »Ihr kommt wohl weit her?« frag­te Le­ve­s­que, der sich auch einen Stuhl ge­nom­men hat­te.

      »Ich kom­me von Cet­te.«

      »Zu Fuss, wie geht das zu?«

      »Ja, zu Fuss. Wenn man kein Geld hat, kann man nicht fah­ren.«

      »Wo geht denn die Rei­se hin?«

      »Hier­her.«

      »Ihr kennt hier Je­man­den?«

      »Ich däch­te wohl!«

      Das Ge­spräch stock­te. Er ass lang­sam, ob­schon er sicht­lich hung­rig war, und nahm nach je­dem Bis­sen einen Schluck Ap­fel­wein. Sein Ge­sicht war alt, run­ze­lig, vol­ler Fal­ten, und er schi­en viel durch­ge­macht zu ha­ben.

      »Wie heisst Ihr?« frag ihn Le­ve­s­que plötz­lich.

      »Ich heis­se Mar­tin«, sag­te


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