Destiny. Grace Goodwin
Читать онлайн книгу.meine Entführer mich hierher verfrachtet hatten—wo immer das war—nicht mehr blicken lassen. Er hatte gesagt, dass ich nicht länger sein Problem war und ich glaubte ihm. Klar, er wollte königliche Macht, ein Privileg, dass ihm nicht in die Wiege gelegt worden war. Seit Jahrzehnten war er darauf aus. Aber mir war damals völlig entgangen, dass seine Verbitterung zu solch einem kranken Entschluss angewachsen war.
Er hatte zwar seinen Männern befohlen zur Erde zu kommen, mich nach fast dreißig Jahren aus dem Bett zu zerren und mich zu kidnappen, aber er konnte nicht der alleinige Drahtzieher sein. Unmöglich. Wenn es so wäre, dann wäre ich jetzt entweder tot oder er würde mich weiter für seine eigenen Zwecke benutzen.
Stattdessen war er einfach … verschwunden.
Wer also wollte mich hier festhalten und warum? Hatten sie zum Zeitpunkt meiner Entführung bereits von meinen Töchtern gewusst?
Nein. Ganz sicher nicht. Andernfalls hätten sie meine drei Mädchen umgebracht: Trinity, Faith und Destiny. Oder sie ebenfalls entführt. Sie eingesperrt, wie sie mich eingesperrt hatten.
Wo genau war ich hier? Ich saß in irgendeinem Gefangenenblock fest. Die Wachen trugen allesamt Priesteruniformen. Aber es waren nur ein halbes Dutzend von ihnen und sie wechselten viermal täglich. Es gab niemand anderes hier. Keine Fußschritte. Ich hatte sie nie miteinander reden gehört oder auch nur eine Bemerkung darüber, wen sie hier bewachten.
Ich sollte keinen von ihnen zu Gesicht bekommen, die schwarze Haube, die sie mir über übergestülpt hatten, hatte das ziemlich deutlich gemacht. Die hatten mir das Ding über den Kopf gezogen, mich gefesselt, mich transportiert und mich dann abgeführt und so viele Male verlegt, dass ich den Überblick verloren hatte. Als sie mich schließlich in diese Zelle geschleift und die Tür zugeknallt hatten, wusste ich nicht mehr, ob ich immer noch auf Alera oder am anderen Ende der Galaxie war.
Ohne das Wummern der Motoren unter meinen Füßen konnte ich ausmachen, dass ich mich tatsächlich auf festem Boden befand und nicht auf einem Raumschiff. Das war alles. Anhand der Priesteruniformen—dank meiner Gabe von der Zitadelle konnte ich sie sehen—ging ich davon aus, dass ich mich weiterhin auf meinem Heimatplaneten befand.
Und aus irgendeinem Grund war ich immer noch am Leben. Sie wollten mich nicht töten, denn andernfalls hätten sie mich bereits auf der Erde ermordet. Sie hätten allen so viel Zeit und Ärger gespart. Wenn sie mich brechen und vernichten wollten, dann hätten sie mich nur weiter foltern müssen. Stattdessen war ich komplett wiederhergestellt worden. Sie hatten mir Kleidung gegeben, es gab regelmäßig Essen und ich war einigermaßen gut untergebracht. Ich hatte ein echtes Bett. Trinkwasser. Essen. Bequeme Kleidung und warmes Schuhwerk. Es war kein Ritz-Hotel, aber ich war auch nicht mehr länger am Abkratzen.
Trotzdem, mit jedem leisen Gleiten der Zellentür fürchtete ich, was als Nächstes kommen könnte. Genau wie jetzt, als Narbengesicht hereinkam. Zum ersten Mal kam er in Begleitung. Ein Priester folgte ihm, sein Umhang wirbelte um seine Knie. Niemand besonderes. Ein rangniederes Mitglied der Garde. Das Abzeichen auf seiner Brust, welches seit meiner Flucht unverändert geblieben war, hatte es mir verraten. Aber er kam herein und blieb bei der Tür stehen und als sich diese hinter den beiden wieder zuschob, waren wir alle drei in dem kleinen Raum eingeschlossen.
Narbengesicht türmte sich in meiner winzigen Zelle auf, die wulstige Haut auf seiner Wange und an seinem Kiefer entlang glänzte im grellen Licht. Ich weigerte mich vom Bett aufzustehen oder ihm auch nur das kleinste bisschen Respekt entgegenzubringen. Er hatte nichts dergleichen verdient und er wusste es. Ich hob mein Kinn und faltete die Hände im Schoß.
Ich wartete.
“Bestimmt möchtest du das Neueste von deiner Familie hören,” sprach er und seine raue Stimme entbehrte sich jedem Mitgefühl. Genau wie seine Seele. Sie war schwarz. Leer.
Und wie ich das wollte. Ich wollte Trinity auf dem Thron sehen, sie sollte regieren. Sie war die geborene Anführerin und würde eine großartige Königin abgeben. Das war seit Jahren ein Traum von mir gewesen, aber jetzt befürchtete ich, dass ich ihn nie selber erleben würde. Normalerweise könnte sie Alera nur regieren, wenn ich bereits tot oder offiziell abgetreten wäre. Aber meine Gefangennahme und mein Verschwinden stellten eine Lücke in dieser Regelung dar, die leider niemand vorausgesehen hatte.
Und Faith. Der Giftanschlag im Hause Jax. Da steckte noch mehr dahinter und ich wollte es verzweifelt hören. Mit Sicherheit stimmte es nicht. Seit Wyse mir diesen Happen zugeworfen hatte, musste ich ununterbrochen darüber nachdenken. Aber es war alles nur Spekulation meinerseits. Ich wusste nichts.
Und Destiny. Wyse wusste, dass sie existierte; er kannte ihren Namen. Aber sonst wusste er nichts? War sie aufgeflogen?
Ich wartete still und Narbengesicht grinste.
“Ich bedauere dir mitteilen zu müssen, dass es in deiner Familie einen Todesfall gegeben hat.”
Ich spürte, wie mein Gesicht ganz schal wurde. Kleine weiße Punkte tanzten durch den Raum. Meine Handflächen fingen an zu schwitzen und mir wurde überall ganz heiß. Narbengesicht redete weiter, aber ich konnte ihn nicht hören, weil das Blut in meinen Ohren rauschte.
Eine von ihnen war tot. Oh Gott! Welche von ihnen? Wann? Wie?
Warum saß ich in aller Sicherheit in dieser blöden Gefängniszelle fest, während meine Mädchen in Gefahr waren? Warum?
“Er war nicht länger von Nutzen, also ist er eliminiert worden. Ein Risiko weniger.”
Narbengesicht sprach ganze Sätze, aber ich verstand nur einzelne Worte davon. Ich konnte kaum noch klar denken.
Eines meiner Mädchen war tot.
Dann aber wurde mir klar, dass Narbengesicht er gesagt hatte.
“Er?” fragte ich mit tauben Lippen.
“Dein liebster Cousin, Lord Wyse, ist tot.”
Erleichterung machte sich so rasant in mir breit, dass mir übel wurde. Ein Lachen sprudelte aus mir heraus.
Narbengesicht zog eine dunkle Augenbraue hoch, sagte aber nichts darauf.
Ich musste lächeln. Keines meiner Mädchen war umgekommen. Der Göttin sei Dank. “Was immer ihm zugestoßen ist, er hat es verdient,” entgegnete ich. “Ich nehme an, dass wer auch immer mich hier festhält, ihn umgebracht hat.”
Narbengesicht nickte.
“Warum erzählst du mir davon?” fragte ich. Coburt hatte ich nur als verschlossenen, ernsten Jungen aus meiner Jugend in Erinnerung, und in letzter Zeit als meinen Entführer. Einen Verräter. Er bedeutete mir weniger als nichts.
“Lord Wyse war Inspektor Optimi und Vater von Radella, die bis zur Rückkehr deiner Töchter Thronerbin war. Er war mächtig und voller Hinterlist. Mit exzellenten Kontakten.”
“Er ist tot. Also war er nichts weiter als eine Marionette.”
Sein Lächeln versiegte, als ob ich etwas Wichtiges herausgefunden hatte. “Ja. Eine Marionette. Genau wie du,” erwiderte er. Als Lord Wyse noch am Leben war, mochte er sich ihm gegenüber unterwürfig gezeigt haben, aber jetzt war klar, dass er meinem Cousin gegenüber nicht wirklich treu war. Mehr als klar.
So viel Drama. Warum machte er sich die Mühe mir zu sagen, dass Lord Wyse nicht der Strippenzieher hinter meiner Entführung war? Als der Angriff im Palast stattgefunden hatte, war er selber nur ein Junge gewesen. Wir beide waren fast noch Kinder gewesen. Was sollte das hier? “Was willst du? Du weißt, dass Lord Wyse mir herzlich egal ist. Ich habe keine Angst vor dir. Du allerdings solltest dich vor mir fürchten.”
Er lachte, und zwar so kaltherzig, dass ich erschauderte. “Wir haben Pläne für dich, meine Königin.”
“Du meinst, dein echter Boss hat Pläne für mich.” Soviel stand fest. Ich hatte lange genug in dieser Zelle gesessen, um das herauszubekommen, und er wusste es. “Dann bring mich zu ihm. Oder zu ihr. Lass es uns hinter uns bringen. Warum würdest du mich weiter hier festhalten?”
“Dein Nutzen