Destiny. Grace Goodwin

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Destiny - Grace Goodwin


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riss schockiert die sonst so höhnischen Lippen auf, als er auf die Knie und dann zu Boden fiel.

      Er brachte den Satz nie zu Ende. Der Priester, der bis jetzt regungslos dagestanden hatte und den ich schon völlig vergessen hatte, hob seinen Arm. Der lange Ärmel fiel zurück und enthüllte eine Ionenpistole. Noch ehe ich blinzeln konnte, hatte er Narbengesicht in den Rücken geschossen.

      Mit Entsetzten sah ich zu, wie mein Folterknecht, mein Gefängniswärter seit meiner Entführung auf den Boden rollte. Mit offenen Augen starrte er an die Decke. Blind. Tot. Eine Blutlache bildete sich um ihn herum. Keine ReGen-Technologie würde ihn mehr retten können.

      Als der Schock mich schließlich einholte, stieß ich ein spätes Keuchen aus. Langsam stand ich auf und blickte den Priester an. Ich würde die Nächste sein.

      Aber anstatt abzudrücken, senkte er die Waffe und sie verschwand wieder unter seinem Ärmel. Als ob nichts gewesen wäre.

      “Sein Nutzen hatte ihren Ort und ihre Zeit. Und ist abgelaufen.”

      Die Stimme des Priesters war langsam und tief. Ruhig. Er war kein Priester, zumindest keiner der friedliebenden Ordensschüler, die ich noch kennengelernt hatte.

      Coburt Wyse war tot. Narbengesicht war tot. Lord und Lady Jax waren tot. Jemand war dabei, sich aller losen Enden zu entledigen. Jemand war dabei all die zu töten, die über mich Bescheid wussten, oder den eigentlichen Plan am Werke.

      Wer war der Drahtzieher?

      Als ich mitansah, wie der Priester den Leichnam aus meiner Zelle schleifte, hatte ich das Gefühl, dass ich es bald genug herausfinden würde.

      1

       Destiny, Festung des Priesterordens in den Bergen von Mytikas

      Auf der Erde nannte man Mitternacht auch die Geisterstunde. Hier aber, hinter den Mauern des Priesterordens war es eher die Gesangsstunde. In fast jedem Raum der endlos langen Gänge versammelten sich die Priester—im Training oder nicht—und sangen. Sie gaben einfach keine Ruhe mehr. Und als sie schließlich verstummten, ging das Meditieren los. Priester blieben lange auf, ihre Körper hatten sich irgendwie dem schimmernden Mondschein auf den Aleranischen Blumen angepasst, die außerhalb der Zitadelle wuchsen. Alles war sehr gemeinschaftlich und hippiemäßig. Verdammt nervig für all diejenigen unter uns, die in ihrem Leben nicht besonders viel Zeit in einer Kommune zugebracht hatten. Sie schienen mehr Geduld im kleinen Finger zu haben, als ich im gesamten Leibe aufbringen konnte.

      Aber seit Faith sich dem Planeten vorgestellt hatte, gab es hier sehr viel weniger Singsang und mehr Getuschel, und das war genau was ich mir erhofft hatte. Eine Bande Introvertierter, die endlich alles rausließ. Sie diskutierten über die wundersame Rückkehr der Prinzessinnen Trinity und Faith und sie spekulierten über den dritten leuchtenden Turm und den Verbleib ihrer Königin.

      Das wirklich Verrückte daran war allerdings, dass ich die dritte Prinzessin war, über die sie alle schwatzten. Wenn sie mich jetzt erwischen würden, dann würde ich ehe ich mich erklären könnte, im Kerker sitzen. Oder tot sein. Es war durchaus denkbar, dass sie mich auf der Stelle umbringen würden.

      Ins Büro der Oberpriesterin einzubrechen war strengstens verboten.

      Wie ich—auch von diesem aufgestauten Klatsch—gehört hatte, wurde dieses Vergehen vor ein paar hundert Jahren mit dem Tode bestraft. Da seitdem keiner mehr erwischt worden war, konnte ich nicht genau sagen, ob sie ihr Regelwerk geändert hatten oder ob es seitdem niemand mehr versucht hatte.

      “Dann werde ich wohl sehr, sehr vorsichtig sein müssen.” Ich redete mir gut zu, als ich mich an die Rebstöcke klammerte, die sich am höchsten Turm innerhalb der Festungsmauern rankten. Ich kam mir vor wie Romeo unterwegs zu Julia, wie damals in der Schulaufführung.

      Ich blickte mich um und stellte sicher, dass mich niemand sah … ehe ich etwas hinrichtungswürdiges tat, dann öffnete ich ein Fenster und hangelte mich nach oben. Ich schlang erst mein Bein und dann den Rest von mir durch die Öffnung. Das Büro befand sich mindestens im dritten Stock, aber die Reben waren dick und ich war zierlich. Es war fast schon zu einfach.

      Fast lautlos landete ich auf dem dünnen Teppichboden und bemerkte, dass der Raum immer noch schön warm war. Die alte Frau, die hier regierte, hatte gebrechliche Knochen und sie schien hier oben in den Bergen der Hauptstadt nicht gerne zu frieren. Die Festung war allerdings vor Urzeiten errichtet worden und sie hatte keine andere Wahl, als mit der Witterung klarzukommen. Der Priesterorden war zur selben Zeit wie die royale Blutlinie gegründet worden. Die allererste Königin, die von der Zitadelle auserkoren worden war, hatte den Schwur des ersten Priesters akzeptiert, und so hatte alles seinen Anfang genommen. Generation für Generation hatten die Priester Alera gedient, in Rechtsangelegenheiten und zum Schutze des Königreichs. Sie waren die Schreiber und Archivare und wurden mit Wissen betraut, das nur wenigen zugänglich war. Sowohl der Priesterorden als auch die royale Blutlinie standen irgendwie mit der Zitadelle in Verbindung, aber beide hatten ihre Geheimnisse. Und die Priester dienten der königlichen Familie—meiner Familie—seit Jahrtausenden.

      “Ein verfluchter Verräterhaufen.” Nicht alle von ihnen waren schlecht. Seit zwei Wochen hatte ich jetzt mit ihnen trainiert, gegessen und mich als eine von ihnen ausgegeben. Ich war eine Novizin. Ein Neuankömmling. Und sie hatten mich in ihre Mitte aufgenommen. Die meisten von ihnen waren nette, anständige Leute. Sie waren freundlich, hilfsbereit.

      Aber längst nicht alle von ihnen. Nein, jemand—oder mehrere jemande—war verdorben bis ins Mark. Oh ja, es gab einen wirklich faulen Apfel, der den ganzen verdammten Haufen stinken ließ. Und ich würde die Verräter schnappen, selbst wenn ich dabei umkommen würde. Sie hatten immer noch Mutter. Sie hatten versucht Trinity und meine Zwillingsschwester Faith zu ermorden, und das mehr als einmal.

      Wenn sie wüssten, wer ich bin, dann würden sie bestimmt auch versuchen mich umzubringen. Offensichtlich sollten wir alle sterben. Ich grinste und dachte daran, wie unsere Ankunft auf Alera ihre Pläne durchkreuzt haben musste. Ha!

      Als ich flink durch den dunklen Raum schlich, stieß ich mit dem Zeh gegen einen unerwarteten Vorsprung an einem Stuhl. Ich hisste und hüpfte umher. “Verflucht.” Das Wort war kaum mehr als ein Ächzen, draußen aber hörte ich, wie sich als Antwort darauf etwas bewegte. Unter mir. Auf dem Boden.

      Dann hörte ich ein Rascheln.

      Die Reben.

       Scheiße.

      Jemand kletterte an den Reben hoch. Etwa Romeo persönlich? Ich war keine holde Julia, die endlich entführt werden wollte. Und Scheiße, draußen kletterte es sogar noch schneller als ich. Mir blieb keine Zeit irgendwohin zu verschwinden und die Tür—wo normale Leute ein und aus gingen—war fest verschlossen. Ich musste mich verstecken und darauf hoffen, dass wer auch immer hierher unterwegs war, mich einen Schritt näher zu meiner Mutter bringen würde. Ich wusste, dass die Priester sie hatten. Irgendwo. Die Gerüchteküche brodelte nur so mit Getuschel und Mutmaßungen über einen streng geheimen Häftling. Das konnte nur Mutter sein. Oder für die Aleraner, Königin Celene. Sie musste es sein.

      Denn wenn nicht, dann saß ich in einer Sackgasse fest und wir waren allesamt aufgeschmissen. Mutter würde sterben. Und das würde ich mir nie verzeihen.

      Auf meinem schmerzenden Zeh humpelte ich in eine gänzlich schwarze Ecke des Raumes. Regungslos stand ich da und wartete darauf, wer wohl mein unerwarteter Besucher sein könnte. Wie groß standen die Chancen, dass gleich zwei Eingeweihte hier herumschnüffelten?

      Das Warten war eine Qual für sich. Ich kannte meinen Körper, ich hielt die Atmung ruhig, versuchte mein rasendes Herz zu beruhigen—aber klar doch—und so still wie möglich zu stehen. Die Aleranische Hälfte meiner DNA hatte letzte Woche beschlossen, dass es an der Zeit war in eine ausgewachsene Gluthitze zu gehen. Ich wusste, was mit mir los war, denn Trinity hatte zuvor schon ihre gehabt. Jeder Millimeter meiner Haut war hochempfindlich.


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