Und so was nennt ihr Liebe. Marie Louise Fischer
Читать онлайн книгу.um seine Schultern und rieb schmeichelnd die Wange an seinem sorgfältig gebürsteten Haar, das sich an den Schläfen und am Hinterkopf bereits zu lichten begann. »Vor allem aber möchte ich mit dir sprechen«, sagte sie.
»Aha«, sagte er, darauf bedacht, sich das Vergnügen nicht anmerken zu lassen, das ihm ihre Zärtlichkeiten bereiteten.
»Ich möchte dir nämlich einen Vorschlag machen«, sagte sie und zauste ihn, bis ihm das Haar in einem Schopf zu Berge stand.
Er drückte seine Zigarette aus, tat so, als wollte er zur Brieftasche greifen. »Wieviel?«
»Tu bloß nicht so ekelhaft überlegen, es muß sich ja nicht immer nur um Geld handeln, oder?«
In diesem Augenblick kam die Mutter wieder herein. Der Anblick Martinas, die mit ihrem Vater schmuste, versetzte ihr einen leichten Stich, über dessen Beweggründe sie sich keine Rechenschaft gab. Sie hatte gerade eben noch im Vorbeigehen in den Garderobenspiegel geschaut und sich jung und anziehend gefunden.
Das kurzgeschnittene blonde Haar saß einwandfrei, und ihre Haut war so glatt und so rein, daß sie sich auch ohne einen Hauch von Make-up und Puder sehen lassen konnte.
Jetzt aber, als sie Martina an ihren Vater geschmiegt fand, die noch etwas zu kompakten Beine in den giftgrünen Häkelstrümpfen sorglos baumelnd, fühlte sie sich auf einmal alt. »Wo bleibst du denn?« fragte sie, schärfer als notwendig gewesen wäre. »Ich warte auf dich!«
Martina lächelte sie mit größter Seelenruhe an. »Gedulde dich, o holdes Weib, dies ist gewiß kein Zeitvertreib … gut, was? Von mir! Ich hab’ noch ’ne Kleinigkeit mit dem Hausherrn zu besprechen.«
Ihr Vater lachte. »Ein bißchen mehr Respekt, junge Dame«, sagte er, aber es klang durchaus nicht ärgerlich.
Seine Frau atmete tief durch, um ihre Gereiztheit zu bewältigen. »Darf ich vielleicht auch hören, um was es geht?«
»Na klar, es ist durchaus kein Staatsgeheimnis. Meine Freundin Senta fährt in den großen Ferien mit ihren Leuten an die Adria, sie haben ein richtiges Haus für sich gemietet …«
Helmuth Molitor runzelte die Stirn. »Was geht uns deine Freundin Senta an?«
»Moment, darauf komme ich schon! Ihr wißt doch, daß Senta jede Menge Geschwister hat, auf einen mehr oder weniger kommt es da gar nicht an, und deshalb war Frau Heinze sofort einverstanden, als Senta ihr vorschlug, mich mitzunehmen …« Martina hatte diesen langen Satz ohne Atem zu holen herunter gehaspelt, jetzt kam sie nicht mehr weiter.
»Das kann doch nicht dein Ernst sein!« rief ihre Mutter. »Du wirst doch nicht mit fremden Leuten verreisen wollen?!«
»Heinzens sind doch nicht fremd! Schließlich ist Senta meine beste Freundin!«
»Und unter der unübersehbaren Schar ihrer Geschwister«, sagte ihr Vater in gutmütigem Spott, »wird sicher auch ein Junge sein, der gern bereit ist, dein bester Freund zu werden!«
Martina sprang von der Sessellehne. »Ihr habt Begriffe! Wolfgang, Sentas Bruder, ist siebzehn, ein gutes halbes Jahr jünger als Jürgen! Ihr werdet doch wohl nicht glauben, daß so etwas Unausgegorenes für mich überhaupt in Frage käme!«
Der Vater betrachtete seine Tochter mit deutlichem Wohlgefallen. »Hoffentlich«, sagte er, »aber wie dem auch sei, wenn diese Frau Heinze dich tatsächlich einladen will, so muß sie sich an uns wenden, an mich und an deine Mutter. Falls sie uns eine gewisse Garantie dafür geben kann, daß du …«
»Oh, Boy!« schrie Martina. »Das wirst du mir doch nicht antun, Vati! Damit würdest du mich in Grund und Boden blamieren!«
»Womit? Das kann ich durchaus nicht einsehen!«
»Aber, Papa, verstehst du denn nicht!?« Martina griff zum letzten Mittel, sie zauberte Tränen in ihre weit aufgerissenen Augen. Helmuth Molitor stand entschlossen auf. »Nein«, erklärte er energisch, »ich denke nicht daran, mich auf weitere Debatten einzulassen. Jetzt werde ich endlich das tun, woran du mich bisher gehindert hast, ich werde mir meine Sonntagszeitung holen. Schließlich habe ich wohl ein gewisses Recht, nachdem ich die ganze Woche für euch gearbeitet habe, mein freies Wochenende zu genießen.« Er warf einen Blick zum Fenster, an dem noch immer der Regen herunter lief. »Soweit das bei dem Wetter möglich ist.«
Jürgen hatte dem Gespräch bis jetzt schweigend, aber mit wachsender Aufmerksamkeit gelauscht. Er hatte auf ein günstiges Stichwort gewartet, das nie kam, hatte im Geist blendende Sätze formuliert, mit denen er bei jeder Diskussion Erfolg hätte haben müssen. Doch als die Auseinandersetzung sich zuspitzte und er nur noch die Wahl hatte, entweder den Mund zu halten oder alles zu riskieren, da fehlten ihm plötzlich die Worte.
»Wenn ich auch mal was sagen darf …«, begann er ungeschickt. Aber Helmuth Molitor hörte nicht auf ihn. Er mußte gegen den Impuls ankämpfen, seine Tochter zurückzuhalten und tröstend in die Arme zu nehmen, die, als sie merkte, daß auch ihre Tränen nichts nutzten, schluchzend aus dem Zimmer stürmte.
»Vater!« stieß Jürgen rauh und fordernd heraus.
Helmuth Molitor blieb stehen, drehte sich zögernd zu dem großen Jungen um, den er nicht mehr übersehen konnte. Wie immer, wenn er gezwungen war, sich mit Jürgen zu befassen, empfand er ein Unbehagen, das ihm den Magen zusammenzog, seine Kehle verkrampfte. Niemandem, nicht einmal sich selbst, hätte er zugegeben, daß er sich seines eigenen Sohnes schämte, dieses langen schlaksigen Bengels mit den unfertigen Gesichtszügen, dem finsteren Ausdruck und, was für ihn das Schlimmste war, dem üppigen Haar, das genauso golden war wie das seiner Schwester und, wie es ihm schien, fast genauso lang.
»Wann gehst du endlich zum Friseur?« fragte er.
Jürgen zuckte bei dieser Frage, die er nur zu oft und bei jeder Gelegenheit zu hören bekam, zusammen. »Das auch«, sagte er, »aber …«
»Also, wann?«
»Mußt du immer wieder mit diesem alten Quatsch anfangen?« brach es aus Jürgen heraus. »Können wir denn wirklich nicht einmal vernünftig miteinander reden?«
»Jürgen, bitte!« mahnte seine Mutter und trat schnell zu ihm hin, als wenn sie ihn vor dem Zorn des Vaters schützen müßte.
»Ich kann mich nicht erinnern, je etwas Vernünftiges aus deinem Mund gehört zu haben«, sagte dieser scharf.
»Weil du mich nie zu Wort kommen läßt!«
»Ah, wirklich? Nun, wenn’s daran liegt, sollst du Gelegenheit haben.« Helmuth Molitor lehnte sich mit übereinander geschlagenen Armen gegen den Wohnzimmerschrank. »Sprich dich nur aus. Du hast volle Narrenfreiheit.« Er wußte, daß sein Verhalten dem Sohn gegenüber nicht gerecht war, und das machte ihn noch zorniger.
»Ich will ebenfalls nicht mit euch verreisen!« platzte Jürgen heraus.
»Sieh mal an! Und darf ich fragen, welche Pläne du für deine Ferien verfolgst?« fragte der Vater mit zynischer Gelassenheit.
»Ich will arbeiten!«
»Gar keine schlechte Idee.« Helmuth Molitor löste die Arme, klopfte Jacke, Weste und Hose auf der Suche nach seinen Zigaretten ab. »Du willst also versuchen, deine Wissenslücken durch eisernen Fleiß während der Ferien aufzufüllen«, sagte er, seinen Sohn absichtlich mißverstehend.
»Nein. Ich will arbeiten, um Geld zu verdienen!« Jürgen richtete sich kerzengerade auf, suchte den Blick des Vaters.
Aber Helmuth Molitor tat ihm den Gefallen nicht, er hätte ja zu dem Jungen, der einen halben Kopf größer war als er, hinaufsehen müssen. »Du bist also der Meinung, daß du zu wenig Taschengeld bekommst?« fragte er provozierend.
»Nein, das nicht. Für Kleinigkeiten reicht es. Aber ich werde im Juni achtzehn, Vater!« Jürgen sagte das so beschwörend, als wenn es sich um eine magische Zahl handelte.
Doch Helmuth Molitor wollte ihn nicht verstehen. »Na und?« fragte er und griff nach dem Zigarettenpäckchen, das auf dem kleinen Tisch neben dem Sessel