Und so was nennt ihr Liebe. Marie Louise Fischer

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Und so was nennt ihr Liebe - Marie Louise Fischer


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lief ihm den Rükken hinunter, »mit so etwas kann man also einen Menschen auslöschen.«

      »Ohne weiteres«, sagte Gerd, »das ist ein ganz schweres Kaliber.« Er zeigte ihm den Sicherungshebel und wie die Pistole zu spannen sei.

      Jürgen streckte den Arm ganz gerade aus, kniff das linke Auge zu, zielte.

      Plötzlich kam ihm der Einfall, sich statt der Tanne mit dem Blumentopf Dr. Opitz vorzustellen, sein lächelndes Gesicht mit diesen Augen, die einen zu durchschauen schienen. Diese Vision erregte ihn. Er zielte in das verhaßte Gesicht, mitten hinein, drückte ab – er hörte den Knall, spürte den Rückstoß wie einen Schlag gegen die Armkugel. Das rote Gesicht vor ihm zerbarst. Am liebsten hätte er laut geschrien. Aber aus seiner Kehle kam kein Ton.

      Statt dessen rief Gerd: »Donnerwetter! Das war ein Volltreffer! Aber ich wette, du hast nur Glück gehabt! Versuch es noch einmal!«

      Nur wenige Minuten dauerte der ganze Spaß, denn es zeigte sich, daß nicht mehr als fünf Kugeln im Magazin gewesen waren. Sie hantierten noch eine Weile mit der leeren Waffe herum, probierten aus, wie sie zu laden war und wie sie funktionierte. Dann steckte Gerd sie endgültig in seine Schultasche zurück. Er machte sich anheischig, auch ohne Waffenschein neue Munition besorgen zu können, nach seinem bekannten Motto: Für Geld kriegt man alles.

      Sie ließen die restlichen Blumentöpfe auf der Lichtung, bahnten sich ihren Weg zurück zum Auto. Der Wagen rumpelte über den Waldweg auf die asphaltierte Straße. Gerd redete, Jürgen warf nur hin und wieder ein Wort ein, ohne wirklich zuzuhören.

      In der Papierfabrik war Schichtwechsel. Mädchen und Frauen strömten ins Freie. Sie gingen in Gruppen, manche untergehakt, zu zweien oder dreien, nur wenige allein.

      Gerd nahm Gas weg, ließ den Wagen im Schritt-Tempo dahinrollen. »Schau dir das an!« sagte er und blies die Luft durch die Zähne. »Die sind zwar nicht so zuckrig wie die heute früh von der Kö, aber ich sag dir … mit denen kann man was erleben. Die beiden da vorne zum Beispiel …«

      Jürgen betrachtete die beiden Mädchen, die Gerd meinte. Die eine hatte blond gefärbtes Haar, die andere war dunkel, sie trugen Strickjacken und gerade geschnittene kurze Röcke. Ihre Figuren waren nicht umwerfend.

      »Nicht schlecht«, sagte Jürgen. »Pech, daß ich keine Zeit mehr habe.«

      Gerd warf ihm einen raschen Seitenblick zu. »Was heißt das?«

      »Daß ich verabredet bin. Zu deutsch: ich habe was Besseres vor! Ich habe mich nur mit Mühe und Not für die Schießerei freimachen können.«

      »Du willst nach Hause? Na schön, ich kann dich nicht hindern. Aber du erwartest wohl nicht, daß ich mir von dir den Spaß verderben lasse.« Gerd trat auf die Bremse, langte an Jürgen vorbei und öffnete die Autotüre. »Dann bis morgen! Mit der 12 kommst du direkt zum Schadowplatz.«

      Jürgen wußte, noch hatte er die Wahl. Es war verdammt unbequem, mit der Bahn nach Oberkassel zurückzufahren. Zorn gegen den Freund stieg in ihm auf, ein Zorn, den er selber als ungerechtfertigt empfand.

      Er stieg wortlos aus, knallte die Türe zu. »Na denn, amüsier dich gut«, sagte er mit schmalen Lippen.

      »Worauf du dich verlassen kannst!« Mit einem Satz schoß der Wagen voran, fuhr erst wieder langsam, als er die Mädchen erreicht hätte.

      Jürgen wartete nicht ab, ob eine der beiden auf die Annäherung einging. Er wandte sich ab und ging zur nächsten Haltestelle zurück.

      Sein Glücksrausch war verflogen, dafür empfand er Ernüchterung und Ekel.

      2.

      Martina verließ am Mittwochabend kurz vor acht Uhr das Haus, angeblich, um in den Jugendklub zu gehen, tatsächlich aber hatte sie etwas ganz anderes vor. Sie war mit einem jungen Mann verabredet, den sie in der vorigen Woche kennengelernt hatte. Schon seit Tagen hatte sie dem Wiedersehen mit diesem augenblicklichen Schwarm entgegengezittert.

      James Mann verdiente sich sein Geld als Autoverkäufer in einem erstklassigen Salon in der Graf-Adolf-Straße, ein Job, dessen zusätzlicher Reiz darin bestand, daß er Gelegenheit bot, mit den schicksten Wagen, ob nun günstig erstanden oder nur entliehen, durch die Gegend zu brausen. Aber nicht das allein war es, was Martina an ihm faszinierte, sondern sein ganzes Auftreten, seine selbstsichere überlegene Art, ganz abgesehen davon, daß er bereits achtundzwanzig Jahre alt war, ein wirklicher Mann, kein grüner Junge mehr, eine Eroberung, wie sie keine ihrer Freundinnen und Klassenkameradinnen aufweisen konnte.

      Senta Heinze hatte sie zwar gewarnt: »Der ist viel zu alt für dich, und außerdem, er wirkt doch irgendwie schmierig, merkst du das denn nicht?«

      Aber Martina hatte sich nicht beeinflussen lassen. »Aus dir spricht der blanke Neid«, hatte sie erwidert, »mir gefällt James, und ich werde ihn mir anbändigen, auch wenn du platzest.«

      Er hatte sie gleich am ersten Abend, als er sie in seinem amerikanischen Straßenkreuzer nach Oberkassel brachte – nur bis zum Luegplatz, denn sein Aufkreuzen in der Markgrafenstraße hätte verräterisch werden können – geküßt. Aber wie! Von einem Jungen hätte sie sich das nicht so rasch gefallen lassen, aber bei diesem Mann imponierte es ihr. Sein Tempo raubte ihr den Atem, und sie fand es sehr schmeichelhaft, daß sie es war, die ihm solche Leidenschaft entlockte.

      Am liebsten hätte sie sich gleich am nächsten Tag wieder mit ihm getroffen, aber als er den Mittwoch vorschlug, hatte sie nicht gewagt, ihre Ungeduld zu verraten.

      Und nun stand sie da, vor dem Opernhaus, wohin er sie bestellt hatte, und wartete, eine Palette in Grün und Orange. Sie trug einen grünen Regenmantel, orangefarbene Strümpfe und grüne Schuhe, und ihr honigblondes Haar bildete die Krönung dieser Skala. Sie hatte reichlich Make-up benutzt.

      Junge Männer, die vorüberschlenderten, sprachen sie an, warfen ihr anzügliche Worte zu, pfiffen anerkennend. Das kümmerte sie nicht. Immer ungeduldiger blickte sie die Alleestraße hinauf und hinab, aber im Licht der hohen Bogenlampen waren nur noch die Fahrzeuge zu erkennen, die chromblitzend und lackglänzend die Rampe zur Rheinbrücke hinauf fuhren, die Insassen waren nicht mehr zu erkennen.

      Martinas freudige Erwartung verebbte, wandelte sich in Unsicherheit und Enttäuschung. Sie war fast schon überzeugt, daß James Mann sie versetzt hatte, wehrte sich aber noch, sich diese Niederlage einzugestehen, als ein Jaguar rechts vom Opernhaus einbog. Die Türe wurde von innen aufgestoßen, und Martina lief hin – schwankend zwischen jäh aufflammender Hoffnung und der Angst, sich einem Fremden gegenüber zu sehen und unsterblich zu blamieren.

      Aber es war James, der ihr die Türe aufhielt. »He, Küken!« sagte er und entblößte lächelnd seine weißen, auffallend regelmäßigen Zähne.

      »Ich habe gar nicht gewußt … ich meine … voriges Mal hattest du einen anderen Wagen!«

      Er wendete schwungvoll, mit großer Routine. »Kann schon sein. Du kennst ja meine Devise: lieber öfter mal was Neues.«

      Auch bei Mädchen? hätte sie fast gefragt, aber sie unterdrückte diese Bemerkung, weil sie um keinen Preis kleinlich erscheinen wollte. »Wohin fahren wir?« fragte sie statt dessen.

      Er stoppte, weil er warten mußte, bevor er einbiegen konnte. »Bedaure, nirgends. Mir ist was dazwischen gekommen, ich wollte dir bloß Bescheid sagen. Aber immerhin, nach Hause kann ich dich bringen.«

      Daraufhin konnte sie sich nicht zurückhalten. »Du hast eine … andere Verabredung?« fragte sie und hätte sich im gleichen Augenblick wegen dieser Frage und mehr noch wegen des leichten Zitterns in ihrer Stimme selbst ohrfeigen können.

      Er lachte. »Schäfchen«, sagte er gönnerhaft, »glaubst du, ich hätte schon die Nase voll von dir?«

      »Das nicht, aber … ich verstehe nicht …«

      »Ganz einfach. Eine berufliche Sache. Ich muß nach Hause, weil ich ein Ferngespräch aus London erwarte. Es geht um ein ganz großes Geschäft.«

      Sie schluckte, ohne es zu merken,


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