Der Bergpfarrer Paket 4 – Heimatroman. Toni Waidacher
Читать онлайн книгу.Hirschler sah Thomas an.
»Ich bin die Wurzel allen Übels«, erklärte der Alte. »Aber vielleicht hat dein Vater ja ein Einsehen.«
»Das hoffe ich sehr«, erwiderte der junge Gruber. »Sie wissen gar nicht, wie sehr!«
»Also, auf geht’s«, gab der Geistliche das Zeichen zum Aufbruch.
Sie marschierten nebeneinander die Wiese hinauf. Es würde eine Weile dauern, bis sie den Bergwald erreicht und vielleicht eine Spur von Franz Gruber gefunden hatten.
Schließlich waren sie angekommen.
»Am besten teilen wir uns auf«, schlug Sebastian vor. »Max, du und der Doktor, ihr geht in diese Richtung.«
Er deutete nach links.
»In ein paar Metern führt ein schmaler Pfad in den Wald hinein«, fuhr der Geistliche fort. »Da stehen in Abständen von hundert Metern zwei Hütten. Die eine gehört dem Thalerbauern, die andre dem Schlichter aus Waldeck. Ich hab’s euch auf der Karte eingezeichnet.«
Er wandte sich an Vinzent und dessen Vater.
»Ihr zwei nehmt euch das Stück vor, das euch gehört«, sagte er. »Ihr habt ja nur eine Jagdhütte dort stehen.«
Der junge Bauer nickte.
»Ich war lang’ net da«, meinte er. »Kann gut sein, daß der Gruber sich da häuslich eingerichtet hat.«
»Wenn dem so ist, keine Alleingänge«, schärfte der Bergpfarrer ihnen ein. »Nur beobachten und die anderen mittels Handy informieren. Wir treffen uns dann und bereden alles Weitere. Ich möcht’ net, daß der Gruber durchdreht, wenn er merkt, daß da so viele Leut’ hinter ihm her sind.«
Die Männer nickten, und Sebastian wandte sich an Thomas.
»Wir zwei gehen zusammen«, sagte er. »Das Stück, das zum Hirschlerhof gehört, liegt fast in der Mitte des Waldes. Max und der Doktor schauen links nach, also nehmen wir uns die rechte Seite vor.«
Der junge Gruber nickte. Wieder hatte Sebastian Trenker ihn mit Wanderkleidung und Stiefeln ausgerüstet. Thomas folgte dem Geistlichen. Er hoffte inständig, daß sie Erfolg haben würden.
Nicht alleine wegen Franzi, die dann vielleicht ein anderes Bild von ihm haben würde. Auch wegen seiner Mutter. Lina Gruber hatte mehrfach im Pfarrhaus angerufen, nachdem ihr Sohn sich nicht mehr gemeldet hatte. Einmal hatte Hochwürden ein längeres Gespräch mit ihr geführt, weil Thomas noch im Bett lag und schlief. Erst kurz bevor sie aufgebrochen waren, hatte er zu Hause angerufen und ein paar Worte mit seiner Mutter gewechselt. Sie war völlig aufgelöst gewesen, weil ihr Mann immer noch verschwunden war. Von dem, was er in der vergangenen Nacht angestellt hatte, wußte sie glücklicherweise nichts.
Sie bahnten sich einen Weg durch die dichten Büsche, die den Wald zur Wiese hin begrenzten. Sebastian verließ sich da voll und ganz auf seine Ortskenntnisse, eine Karte brauchte er nicht. Mit traumwandlerischer Sicherheit fand er seinen Weg, und nach kurzer Zeit standen sie vor der alten Jagdhütte, von der der Geistliche wußte, daß sie einem Bauern aus St. Johann gehörte, der sie aber vor Jahren das letzte Mal benutzt hatte.
Ein paar Meter davor blieben sie stehen und spähten durch Bäume und Büsche hinüber.
»Glauben Sie wirklich, mein Vater könnte da drinnen sein?« fragte Thomas zweifelnd.
»Möglich wär’s«, antwortete Sebastian. »Ich werd’ jedenfalls nachschauen. Du wartest erst einmal hier.«
Vorsichtig näherte er sich der Hütte. Angst hatte er nicht, aber man konnte nicht wissen, wie Franz Gruber reagierte, wenn er merkte, daß man ihn aufgespürt hatte. Möglicherweise war er einem Wahn verfallen. Für einen labilen Menschen genügten einige Tage in dieser Einsamkeit, um den Verstand zu verlieren.
Drinnen rührte sich nichts. Die Hütte selbst war nicht sehr groß. Sie maß drinnen kaum mehr als sechs Quadratmeter, eher weniger. Sebastian spähte durch das blinde Glas der Scheibe, konnte aber kaum etwas erkennen. Er wandte sich zur Tür und drückte die Klinke herunter.
Die Hütte war leer. Der Bergpfarrer ging hinein und sah sich um.
Leer war sie, aber jemand war hier gewesen, und das konnte nur Franz Gruber gewesen sein.
Es gab eindeutige Spuren, daß er hier drinnen übernachtet hatte. Die alten Wolldecken lagen zu einem Bett zurechtgemacht, in einer Ecke stand eine Plastiktüte, in der sich Müll befand.
Sebastian ging wieder heraus und winkte dem wartenden Thomas zu.
»Dein Vater war ohne Zweifel hier«, sagte er. »Ich geb’ den anderen Bescheid. Wir müssen uns treffen und absprechen, wie die Suche weitergehen soll.«
*
»Ha, Hirschler, da hast schön dumm aus der Wäsche geguckt, als du das Feuer gesehen hast, was?« lachte Franz Gruber vor sich hin. »Wenn dir jetzt nicht endlich die Erleuchtung kommt, daß ein öffentliches Geständnis deine einzige Chance ist, dann kann dir niemand mehr helfen.«
Der Mann aus Norddeutschland lag auf der Lichtung – ›seiner Lichtung‹ – und amüsierte sich immer noch königlich über seinen Streich. Er fühlte sich ausgesprochen wohl dabei und dachte keinen Augenblick daran, daß ihm jemand auf der Spur sein könnte. So sicher kam ihm das Versteck vor.
Er hatte lange geschlafen. Auch wenn das Bett in der Hütte alles andere als bequem war. Nachdem er gefrühstückt hatte, war er wieder hierher marschiert und hatte sich in die Sonne gelegt. Stundenlang überlegte er, wie er sich mit dem Hirschlerbauern in Verbindung setzen konnte, damit dieser endlich sein Einverständnis gab. Schließlich konnte er nicht den Rest seines Lebens damit verbringen, den Alten zu ärgern, damit dieser klein beigab.
Das Mobiltelefon fiel immer noch aus. Bei seinem Einkauf in Waldeck hatte Gruber sich schon nach einem neuen Akku erkundigt, aber so etwas gab es nur in der Stadt zu kaufen. Im Dorfladen konnte man bestenfalls seine Guthabenkarte für das Mobiltelefon aufladen, aber das nützte ihm gar nichts.
Gruber schlief noch eine Runde, dann stand er gähnend auf, reckte und streckte sich, und ging zu dem Bachlauf, an dem er seinen Durst löschte.
Am Abend würde er nach Waldeck gehen, nahm er sich vor. Bei seinem letzten Besuch dort hatte er einen Münzfernsprecher gesehen. Im ersten Moment wollte er Lina anrufen, doch dann hatte er es gelassen. Bestimmt hatte sie in der Pension nach ihm gefragt, und wenn er sich jetzt meldete, würde seine Frau nur auf ihn einreden, nach Hause zu kommen und die ganze Sache aufzugeben.
Aber Aufgeben kam nicht in Frage!
Doch um mit Hirschler zu sprechen, mußte er nach Waldeck zurück. Und vielleicht konnte er schon bald sein Leben aufgeben und nach Hause zurückkehren.
Gruber trank noch einmal und füllte seine leere Wasserflasche auf, dann machte er sich auf den Weg, zurück zur Lichtung.
Plötzlich verharrte er, er hob den Kopf und lauschte.
Waren da nicht Schritte gewesen, hatte nicht ein Zweig geknackt? Waren das Stimmen und ein seltsamer Klingelton? Hastig warf er sich ins Gebüsch. Keine Sekunde zu früh, denn aus dem Dickicht kamen zwei Männer auf den Weg, die Franz Gruber sofort erkannte.
Hubert Hirschler und dessen Sohn!
Der Jüngere hielt ein Handy an sein Ohr.
»In Ordnung, wir sind gleich da«, sagte er und wandte sich zu dem Alten um. »Hochwürden hat die Hütte gefunden, in der Gruber übernachtet. Wir sollen zu ihm kommen.«
»Geh’ schon voraus«, antwortete der Altbauer. »Ich komm’ gleich nach, will nur kurz zur Lichtung schauen.«
»Aber, Vater, warum denn?« hörte Franz Gruber den Sohn fragen. »Hochwürden will sich mit uns absprechen.«
»Ja, ja, geh’ nur schon«, winkte Hubert Hirschler ab.
Vinzent schüttelte den Kopf und ging zurück. Der Mann in seinem Versteck frohlockte.
Na,