Neymar. Luca Caioli

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Neymar - Luca Caioli


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Neymar beide dort sind? Sie haben unterschiedliche Spielweisen. Messis Dribblings sind nicht so verschwenderisch wie Neymars: Sie sind effizient. Der Art und Weise, wie Messi sich mit dem Ball am Fuß über den Platz bewegt, haftet etwas Geheimnisvolles an – man kann kaum erklären, wie er es anstellt. Er bewegt sich nicht wie ein Brasilianer. Seine Intuition ist überirdisch, er hat einen siebten Sinn dafür, wann sein Gegner ihm eine Gelegenheit gibt oder wenn sich Räume auftun. Messi ist die gerade Linie zu Neymars Ellipse.“

      Kapitel 3

       Mogi das Cruzes

      Chaotischer Verkehr: Motorroller und Motorräder mit jaulenden Hupen. Überführungen, Wolkenkratzer, Sozialbauten, Brücken, die sich über den dichten Verkehr erheben, Industrie, Straßenarbeiten, Favelas. São Paulo, eine Megametropole mit elf Millionen Einwohnern, zieht sich endlos dahin: Es scheint Besucher in seine Fänge nehmen und niemals wieder loslassen zu wollen. Die Stadt breitet sich entlang der dreispurigen Rodovia Ayrton Senna aus, der neuesten ihrer Art im Land, benannt nach dem gleichnamigen Nationalhelden und Rennfahrer aus São Paulo, der 1994 beim Grand Prix von Imola tödlich verunglückte.

      Der Bus fährt vom Busbahnhof Rodoviário Tietê ab, dem größten in Lateinamerika und zweitgrößten der Welt nach Port Authority in New York. Reisende auf ihren Wegen eilen hierhin und dorthin. Der Bus ist pünktlich, hat aber Schwierigkeiten, sich durch den dichten Verkehr zu kämpfen. Er schrammt an Lastwagen und Autos vorbei, die zwischen den Spuren hin und her wechseln. Eine Mautstelle, dann geht es auf die Autobahn. Auf dem Weg Richtung Itaquaquecetuba entlässt die Stadt den Bus endlich aus ihren Fängen und in eine offene grüne Landschaft voller Hügel, die wie mit dem Lineal gezogen aussehen. Hoch oben am Himmel flattern Drachen, und zwischen der Vegetation sind vereinzelt knochentrockene, staubige Fußballplätze zu erkennen. Sie gehören zu den Favelas, die sich an die Hänge klammern: rote Ziegelbauten, die aussehen, als wären sie von einem Kind aus Legosteinen zusammengebastelt worden, behelfsmäßige Dächer, Satellitenschüsseln, große Planen, die Bauarbeiten abdecken, die niemals vollendet wurden. Ein paar Tümpel, ausgebrannte Autos, Kinder, die auf Fahrrädern die mehrspurige Straße überqueren, um mit ihren Einkäufen nach Hause zu kommen.

      Dann folgt die steile Abfahrt von der Serra de Itapeti. Im Tal sieht man die Wolkenkratzer von Mogi das Cruzes, einer der Gemeinden von Alto Tietê, einer Region im Osten des Großraums São Paulo. Hier spielte Neymar da Silva Santos Fußball, und hier kam sein Sohn Neymar Júnior zur Welt: ein Ort mit knapp 400.000 Einwohnern, die Bevölkerung hat sich in den letzten 15 Jahren durch den Zuzug von Pendlern verdoppelt. Sie wohnen hier und fahren jeden Morgen zur Arbeit in die Stadt. Und jeden Abend warten sie am Bahnsteig der Estação da Luz in São Paulo geduldig darauf, sich in die Wagen der Linie 11 der Companhia Paulista de Trens Metropolitanos zu zwängen, einem knarrenden und klappernden Vorortzug, der sie wieder nach Hause bringt.

      Immerhin gibt es Arbeit in Mogi, wo Industriegiganten wie General Motors, der Traktorhersteller Valtra und der Stahlkonzern Gerdau Werke haben und einen Großteil der Bevölkerung beschäftigen. Der Dienstleistungssektor ist mit Namen wie Tivit und Contractor vertreten, zwei der größten Telemarketingunternehmen. Die Landwirtschaft boomt: Gemüse, Pilze, Datteln, Mispeln und Blumen, hauptsächlich Orchideen. Atemberaubend schöne Exemplare davon sind in einer der Haupttouristenattraktionen der Stadt zu bewundern: dem Orquidário Oriental. „Orientalisch“? Ja, Sie haben richtig gelesen: Auch der Osten hat Mogi geprägt.

      Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte Mogi einen Zulauf von Immigranten aus Japan: Frauen und Männer, die in Landwirtschaft, Gartenbau und Handwerk arbeiteten. Sie errichteten eine lebendige und blühende Gemeinde, die stets den Bezug zu ihren Wurzeln wahrte. Davon zeugen Monumente, Restaurants, Kulturvereine, Festivals, Schulen und eine Städtepartnerschaft mit Toyama und Seki. Leider musste das Torii, das traditionelle japanische Holztor, Symbol der japanischen Immigranten, das am Ortseingang stand, im Frühjahr 2013 aus Gesundheits- und Sicherheitsgründen entfernt werden. Schwere Regenfälle hatten es arg in Mitleidenschaft gezogen.

      Glücklicherweise ist eines der anderen Wahrzeichen von Mogi von der Witterung nicht beeinträchtigt worden: eine massive glänzende Skulptur aus rostfreiem Stahl, die sich 13 Meter in den Himmel erhebt und auf den ersten Blick wie Don Quixote aus La Mancha anmutet, tatsächlich aber eine Hommage an Gaspar Vaz anlässlich der 450-Jahr-Feier der Stadt ist. Gaspar Vaz war ein Abenteurer, der den Weg von São Paulo nach Mogi erschloss und die Stadt im Jahr 1560 gründete. Von der Avenida Engenheiro Miguel Gemma aus, wo sich eine glänzende Statue des Stadtgründers befindet, der auf der Suche nach Gold in die Gegend kam (oder aber nach Eingeborenen, die er versklaven könnte), erreicht der Bus den Bahnhof Geraldo Scavone in wenigen Minuten. Exakt eine Stunde dauert die 50 Kilometer lange Reise von São Paulo nach Mogi.

      Durch die gepflasterten Straßen der Vila Industrial erreichen wir das Estádio Municipal Francisco Ribeiro Nogueira, besser bekannt als Nogueirão. Das große Tor ist geschlossen, aber jemand kommt und öffnet uns. Dies ist die Heimat des União Mogi das Cruzes Futebol Club, der am 7. September 2013 sein 100-jähriges Bestehen feierte. Gegründet wurde er vom weißen Tuchhändler Chiquinho Veríssimo und dem schwarzen Schuhmacher Alfredo Cardoso. Der Klub wurde am brasilianischen Unabhängigkeitstag ins Leben gerufen. Die Spielkleidung ist rot-weiß oder ganz rot, das Maskottchen ist eine im Tietê-Tal heimische Schlangenart (in der Sprache der Einheimischen bedeutet Mogi „Fluss der Schlangen“).

      União ist einer der ältesten Fußballvereine der Region. Im Laufe seiner langen Geschichte haben sich hier Spieler wie Cacau (VfB Stuttgart), Maikon Leite (Náutico Capibaribe aus Recife) und Felipe (Flamengo Rio de Janeiro) ihre ersten Sporen verdient. União war schon immer ein Klub, der zwischen Amateurklasse – 1947 war er Sieger des regionalen Amador-Turniers – und den unteren brasilianischen Ligen pendelte.

      Seine goldene Ära erlebte der Klub in den achtziger Jahren bis Anfang der Neunziger, als er um den Aufstieg in die erste Liga der Staatsmeisterschaft von São Paulo mitspielte. Letztlich scheiterte União, und der einzige Titel bleibt die Meisterschaft in der Segunda Divisão 2006. Drei Jahre später erlebte der Verein seine schlimmste Saison: União, oder Brasinha, wie der Verein von den Einheimischen genannt wird, wurde zum „schlechtesten Team der Welt“: 18 Niederlagen in 19 Spielen bei 75 Gegentoren, ein Rekord, der den Klub geradewegs in die Quarta Divisão führte. Heute ergeht es ihm nicht viel besser, weder was die Ergebnisse, noch was die Finanzen angeht – tatsächlich ist die Lage so mies, dass die Hundertjahrfeierlichkeiten ins Wasser fielen. Senerito Souza, der Vorsitzende des Klubs, versprach für die Zukunft bessere Zeiten.

      Unterdessen trainieren die Spieler für das nächste Ligamatch. Um 11:30 Uhr tritt die erste Mannschaft zu einem Testspiel gegen den Nachwuchs an. Die Sonne brennt, und der rote Ziegelschornstein auf der anderen Seite des Stadions wirft seinen Schatten auf den grünen Rasen. Hinter dem Metallzaun, der das Feld von der Tribüne trennt, auf der bis zu 10.000 Zuschauer Platz finden, verfolgt Sportmanager Carlos Juvêncio das Treiben der jungen Hoffnungsträger. Wegen der Hautkrankheit Vitiligo, die weiße Flecken auf seinem schönen schwarzen Gesicht hinterlassen hat, wird er auch „Pintado“ („angemalt“) genannt. Als die Spieler sich in die Kabine verziehen, habe ich die Gelegenheit, mit ihm zu plaudern.

      „Wie war Neymar da Silva Santos O Pai, der Vater von Neymar Jr., als Spieler?“, frage ich. „Ein guter Angreifer, eine Nummer 7“, antwortet Pintado. „Er spielte auf dem Flügel. Er war flink, beschlagen, gut im Dribbling, scheute keinen Zweikampf. O Pai war ein fröhlicher Bursche, extrovertiert, ein netter Kerl, mit dem gut auszukommen war.“ Diese Ansicht teilen auch frühere Mitspieler wie die Verteidiger Montini und Dunder oder auch Torwart Altair. Jeder stimmt zu, dass Neymar einiges draufhatte am Ball. Ein Angreifer alter Schule, der nicht viele Tore erzielte, aber das Spiel gestalten konnte und gute Flanken schlug.

      Ich erkundige mich nach den Fähigkeiten von Vater und Sohn und frage, was Neymar Jr. von seinem Vater geerbt hat. Pintado, der 1993 und 1994 an der Seite von „Pai“ spielte und für União die Nummer 3 trug, erinnert sich gut an Neymar Jr., als der noch ein kleiner Junge war. „Pai brachte ihn zum Training mit. Er war unser Maskottchen.“ Er weiß noch, dass Vater und Sohn das gleiche Ballgefühl und die gleichen


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