Neymar. Luca Caioli

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Neymar - Luca Caioli


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      Betinho zeigt mir Fotos von sich mit dem Star, darunter eines, das Neymar Jr. nach einem Spiel auf Instagram gepostet hat. Er zeigt mir außerdem ein weißes Santos-Trikot mit einer Widmung: „Für meinen ersten Trainer. In Liebe von deinem Freund und Fußballer Neymar Júnior.“

      Dass der junge Mann heute die Nummer 11 für den FC Barcelona trägt, ist auch Betinho und seinem geschulten Auge zu verdanken. Er erkannte Neymars Potenzial und öffnete ihm die Türen zur Fußballwelt. Umgekehrt fühlt sich Betinho Neymar Jr. und seiner Familie für ihre Loyalität und ihren Anstand zu Dank verpflichtet: „2002 versuchte Santos, sich Juninho zu schnappen, aber ohne mich wollte Neymar Pai einem Wechsel nicht zustimmen. Er sagte: ‚Mein Sohn braucht Betinho im Moment.’ Als Santos es erneut versuchte und Einigkeit erzielte, bestand Neymar Pai darauf, dass ich mit Neymar Júnior zu Santos ginge. Ich habe Neymar Pai meinen Job zu verdanken.“ Betinho lacht, als er diese Geschichte erzählt.

      Auf die Frage, wie er seinen Schüler heute einschätzt, antwortet Betinho: „Seit 2009, als er für die erste Mannschaft von Santos zu spielen begann, ist Neymar geradezu übernatürlich gut. Er ist gereift und hat seine Fähigkeiten verfeinert. Innerhalb weniger Jahre hat er individuelle Titel und Meisterschaften gewonnen. Diese Erfahrungen hat er mit nach Barcelona genommen.“

      Aber wie wird es sein Spiel beeinflussen, an der Seite von Messi, Iniesta und Xavi auf dem Platz zu stehen? „Als Pelé für die brasilianische Mannschaft spielte, die 1970 Weltmeister wurde, spielte er mit Rivelino, Tostão und Jairzinho. Neymar ist ein Star unter Stars. Ich hoffe, dass er schon bald der Beste der Welt sein wird. Ja, ich bin sicher, dass Neymar besser als Messi sein wird, und nachdem er meinem Land schon so viel Freude bereitet hat, wird er jetzt der ganzen Welt Freude bereiten.“

      Kapitel 5

       Praia Grande

      Gilberto Leal säubert sich die Hände mit einem Lappen und glättet sich das Haar, dann schaut er geradeaus und sagt, auf das angrenzende Gebäude deutend: „Das da ist der wichtigste Treffer, den Neymar jemals gemacht hat.“ Gilberto arbeitet als Mechaniker am Stadtrand von Praia Grande. Sein Geschäft für gebrauchte Reifen befindet sich direkt vor einer weißen Mauer. An einem großen Metalltor hängt ein Schild:

       Dados informativos da obra. Cesionario: Instituto Projeto Neymar Junior. Local: Jardim Glória Quadra 27 A y 27 B. Tipo de Obra: Costrução da Centro Social y Esportivo.

      (Informationen zu den Arbeiten. Bauherr: Neymar Júnior. Ort: Jardim Glória Quadra 27 A und 27 B. Art des Bauvorhabens: Sport- und Gemeinschaftszentrum.)

      Ein Angestellter mit weißem Schutzhelm und blauem Overall öffnet Besuchern, die ein bisschen mehr erfahren möchten, die Türen der Werkstatt. Es ist Mittagszeit. Handwerker und Bauarbeiter nehmen unter einem provisorischen Baldachin ihre Mahlzeiten ein. Zwei mit Betonpfeilern und einem Kran beladene Lastwagen stehen auf dem Gelände, das einmal ein Fußballfeld war, nämlich das von Grêmio. Hier soll 2014 das Neymar-Institut eröffnet werden, das auf einer Fläche von 8.400 Quadratmetern an der Avenida Ministro Marcos Freire entsteht. Dabei handelt es sich um einen Sportkomplex mit Fußballfeld, Schwimmbad, Fitnessstudio, Mehrzweckhalle, Auditorium und Speisesaal. Das erklärte Ziel ist, „durch den Sport zur sozialpädagogischen Entwicklung sozial benachteiligter Familien beizutragen“.

      In der ersten Phase sollen 300 Kinder im Alter von sieben bis 14 Jahren aus ärmlichen Verhältnissen mit Pro-Kopf-Einkommen von weniger als 140 Reais aufgenommen werden. Im nächsten Schritt will die Einrichtung bis zu 10.000 Menschen unterschiedlichen Alters unterstützen. „Es ist eine gute Idee“, findet Gilberto. „Hoffen wir, dass sie in der Gegend einiges bewegen kann. Jardim Glória ist keine Favela, aber fast. Das Leben hier ist nicht leicht, das gilt besonders für kleine Kinder.“ Diese Einschätzung wird von zwei Sozialarbeitern bestätigt: Jugendkriminalität, Prostitution, Drogen – vor allem Crack – und fehlende Perspektiven sind die größten Probleme der Region Praia Grande, einer Stadt mit knapp 290.000 Einwohnern, 20 Minuten von Santos entfernt. Ein sozialer Brennpunkt.

      Die Pläne für das Institut wurden am 18. Januar 2013 im Palácio Das Artes präsentiert. Neymar Pai und Neymar Jr. waren zusammen mit dem örtlichen Stadtrat auf der Bühne, der die Veranstaltung organisierte. Juninho bekräftigte, wie glücklich er mit dem Projekt sei. „[Wir freuen uns], einen Ort für die Kinder und Einwohner von Jardim Glória zu schaffen. Wir wollen keinen neuen Star entdecken, sondern Familien dabei helfen, einen Traum zu verwirklichen, und Kinder dabei unterstützen, sich zu entfalten und etwas aus ihrem Leben zu machen. Ich hoffe, dass dieses Institut Schule machen wird.“

      Neymar Jr. ist glücklich, diese Stätte zu errichten, eine Stätte, die er als Kind selbst gerne gehabt hätte, aber so etwas gab es damals nicht. Er freut sich, den Menschen in der Region etwas zurückgeben zu können und etwas für den Ort zu tun, an dem er aufgewachsen ist und wo er einen Großteil seiner Kindheit verbracht hat. „Hier habe ich auf der Straße mit meinen Freunden gespielt“, sagte er. „Hier habe ich mit Murmeln geklickert und meinen Drachen steigen lassen.“

      Als er sieben Jahre alt war, zog Neymar Jr. mit seiner Familie von São Vicente hierher und blieb, bis er 14 war. Die Familie wohnte in der Rua B Nr. 374, Jardim Glória, einem blassgrünen Flachbau am Ende der Straße, mit Wellblechdach und großem Innenhof. Neymar Pai erbaute das Haus auf einem 350 Quadratmeter großen Grundstück, das er von den restlichen Ersparnissen aus seiner Profikarriere gekauft hatte. Zwei Freunde, Toninho und Jura, halfen ihm beim Bauen. Der eine beschaffte das Material, der andere packte bei den Arbeiten mit an. Im Gegenzug erklärte sich Neymar Pai dazu bereit, samstags und sonntags für ihre Mannschaften in Várzea Grande und Baixada Santista zu spielen.

      Heute wohnt in der Rua B Nr. 374 einer von Neymars Cousins. Wenn man durch die verwahrloste Gegend streift, wird einem klar, dass Juninho keine einfache Kindheit hatte. „Ich bin kein Muttersöhnchen. Ich bin in einer Favela aufgewachsen. Meine Familie kam aus bescheidenen Verhältnissen. Wir hatten ernste finanzielle Schwierigkeiten“, erinnerte sich die brasilianische Ikone Jahre später.

      Nach dem Ende seiner Profilaufbahn bewarb sich Neymar Pai 1998 in Santos um eine Stelle bei der CET, der Companhia de Engenharia de Tráfego, dem Verkehrsverbund der Stadt. Er wurde genommen und erhielt den Job. Auf dem Bau zu arbeiten, entsprach nicht unbedingt seiner Wunschvorstellung, hatte er doch Mechaniker gelernt. Aber fürs Erste musste es reichen. Die CET ließ neue Überdachungen für die Bushaltestellen in Santos bauen. Neymar Pai buddelte, rührte Zement an, stellte Säulen auf und besserte Gehsteige aus. Vier Monate später begann er damit, den Fuhrpark der CET zu warten, und schließlich kümmerte er sich um die Motorräder der Militärpolizei. Dank einer Weiterbildung beim SENAI, dem nationalen Ausbildungsdienst für die Industrielehre, brachte er es schließlich zum Abteilungsleiter.

      2009 verließ er die Firma, um Juninhos Manager zu werden. Aber bis es so weit war, sollte es noch ein Weilchen dauern. Einstweilen reichte der Mindestlohn, den die CET zahlte, hinten und vorne nicht. Um über die Runden zu kommen, verkaufte Neymar Pai Wasseraufbereiter und verdingte sich an den Wochenenden mit seinem guten alten VW-Bulli als Umzugshelfer. Nadine kümmerte sich ums Haus und die Kinder und arbeitete außerdem als Köchin in einem Zentrum für bedürftige Kinder.

      Juninho teilte sich seine Zeit zwischen Schule und Fußball auf. Er besuchte die Escola Municipal José Julio Martins Baptista, und sobald die Klingel läutete, rannte er wie der Blitz zum Trainingsplatz, wo er immer 110 Prozent gab. Auch zu Hause spielte er: Er dribbelte um Tische und Stühle und alles herum, was ihm in den Weg kam. Die Tür seines Kinderzimmers diente als Tor, das Sofa als Gegenspieler, der ihn unfair zu Fall brachte – klarer Elfmeter. Er spielte gegen Wände, nahm den Ball volley, köpfte ihn und nahm ihn mit der Brust an, hielt ihn mit dem Oberschenkel in der Luft und benutzte ansonsten, wann immer es ging, den linken Fuß. Mit einem Kinderfußball erzielte er zwischen den Beinen eines Sessels hindurch Tor um Tor. Er dachte sich verschiedene Partien aus: Ligaduelle, Pokalkrimis, große Finalspiele.

      Manchmal gingen Dinge zu Bruch. Besonders die Vasen seiner armen Mutter wurden in Mitleidenschaft gezogen. Nadine schimpfte ihn aus,


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