Der Fluch des Pharao. Rudolf Stratz

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Der Fluch des Pharao - Rudolf Stratz


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sich darum gekümmert, was aus ihnen nach der Entdeckung wurde? Das Dasein eines Beduinen wog nicht mehr als das eines Schakals. Sein oder Nichtsein eines Fellachen war dem einer Fliege gleich. Es ist sehr leicht möglich, dass diese ersten Entdecker alle bald darauf gestorben sind. Man hat sie in ihrem Dorf oder im Wüstenfand verscharrt und am nächsten Tag vergessen.

      Wer ernstlich an diese vertrackten Dinge herantritt, der sieht der Sphinx und ihren Rätseln ins steinerne Antlitz. Die Ägypter konnten wahrhaftig mehr als Brot essen. Sie galten von alters her als Zauberer. Sie hatten unzweifelhaft geheimes Wissen, das sie mit sich ins Grab nahmen. Ist es wirklich weise, zu glauben, dass einem Volk, das so im Tod lebte, das so am Tod wahrhaft hing, dem nichts zu heilig und zu kostbar für seine Abgeschiedenen war — dass diesem Volk für seinen toten König ein paar Mauern aus Nilschlammziegeln, ein Tor aus Palmenholz, ein versiegelter Kokosstrick als genügender Schutz für die Ewigkeiten schien?

      Wir wissen es nicht. Vielleicht werden wir es bald wissen — dank Herrn Sanders. Wir werden sehen, ob er am Leben bleibt.

      Noch träumt, irgendwo im schauerlichen Tal der Könige, der Pharao den Traum des Todes oder des Lebens.

      Eine starke Faust pocht an die Grabpforte.

      „Halloh! Hier die Neue Welt!“

      Es ist Herrn Konrads Sanders’ frische, jugendstarke Stimme. Er begehrt Einlass in den unterirdischen Hofhalt. Tutanchamen ist tot! Es lebe Scheschonk!

      Ja. Er lebe — lebe wieder mit uns, in dem hellen Tageslicht. Schenke uns seine Schätze! Wir wollen sie nicht stehlen und einschmelzen und heimlich verhökern! Wir wollen sie nur haben!

      Wir wollen sie in Glaskästen zur Schau stellen und dicke Bücher darüber schreiben. Wir wollen wissen! Immer mehr wissen, obwohl wir unter der Bürde jahrtausendealten Wissens schon fast zusammenbrechen. Wir können keine Rücksicht auf den Frieden der Gräber nehmen. Wir Söhne Adams halten uns an den Baum der Erkenntnis.

      Noch hat uns Herr Sanders nicht verraten, wie er als Laie sein Werk anzugreifen gedenkt. Wer werden sehen, wer stärker ist — er oder der Pharao!

      5

      Aufzeichnung des Dr. Philipp Bechtold

      Ich hatte Mr. Arthur Nothomb den Gefallen getan, seinen Artikel über das Pharaonengrab zu überfliegen, den er jetzt wohl schon als Sturmschwalbe unerhörter kommender Sensationen in drei Erdteile flattern lässt. Ich hatte hinterher Zweifel, ob ich recht getan, ich, der Mann der Wissenschaft, der da, wenn auch unter entschiedener Verwahrung, in den Spuk der Gräber hineingezogen wird.

      Aber es ist schwer, diesem beweglichen, redesprudelnden, elektrisch geladenen kleinen Napoleon der Presse zu widerstehen. Seine gebieterische Liebenswürdigkeit entwaffnet. Er hat eine ganz sonderbare Art, nicht die Dinge an sich zu sehen, sondern nur ihre Wirkung auf die Menschen.

      „Wenn es keine Gespenster gäbe, müsste man sie erfinden!“ sagte er. „Wenn es keine unerklärlichen Dinge in Ägypten gäbe — ja: um Cook und Sohn zu besichtigen, fährt niemand an den Nil! Halloh — alter Freund — wir brauchen die Gänsehaut den Rücken ’runter! Dann ist uns wohl!“

      „Das ist nicht Aufgabe der Wissenschaft!“ sagte ich.

      „Wissenschaft ist schädlich!“ entschied Arthur Nothomb. „Das heisst: das sage ich jetzt, weil es mir in meinen Kram passt. Morgen bin ich vielleicht entgegengesetzter Ansicht. Augenblicklich behaupte ich: Nichts macht das Leben langweiliger als die Erkenntnis. Wenn Sie ein Silbenrätsel gelöst haben, werfen Sie das Blatt weg. Es interessiert Sie nicht mehr!“

      „Nein — der normale Mensch strebt nach Nichtwissen, um das grosse Geheimnis des Lebens nicht zu entweihen!“ Mr. Nothomb stand schon, die Uhr in der Hand, auf der Schwelle. „Darum rückt er Tische und sieht Zweite Gesichte und glaubt an die Geheimnisse Ägyptens. Und wenn er an sie glaubt — dann sind sie! Der Wille erzeugt die Vorstellung — hat einer Ihrer Philosophen gesagt — oder umgekehrt? Na — so ähnlich! Ich muss auf das Telegraphenamt! Guten Abend, Professor!“

      Ich setzte mich wieder an die Arbeit. Aus dem Totenbuch von Theben stieg das Grauen der Unterwelt. Die vierbeinigen Schlangen, die wandelnden Leichen, der Triumphmarsch der Krokodile, die Riesenschlangen — sie alle schienen mir fremde Fratzen. Es war, als riefen die Toten: Rührt nicht an die letzten Dinge! Es sind nie die letzten! Es kommen immer neue nach! Wer mit der Fackel der Erkenntnis durch das tiefe Dunkel schreitet, der erhellt nur so weit vor sich die Finsternis, als sie hinter ihm zusammenschlägt.“

      „Ich habe eigentlich ein bisschen Reue“, sagte ich zu meiner Frau, „dass ich dem Humbug des Mr. Nothomb meinen Segen gegeben habe!“

      „Wer weiss denn, ob es ein Humbug ist? Die Todesfälle stehen fest!“

      „Du bist auch schon angekränkelt, Wilburg!“ versetzte ich. „Du sagst auch: Was wäre das Leben ohne das Unerklärliche?“

      „Vielleicht . . . .“

      „Und jedenfalls muss, gerade vom Standpunkt der Wissenschaft, alles unterstützt werden, was den Laienplänen dieses Herrn Sanders dient“, schloss ich. „Und darum habe ich es getan. Gelänge es ihm durch ein Wunder des Himmels, den Pharao zu finden, so wäre der Gewinst für uns Fachleute unberechenbar!“

      Unser Berliner Faktotum Emil Krause trat ein. Aus einem der Nilhotels habe eine alte Dame geschickt, ob ich nicht wüsste, wo Fräulein Sabine Ritter sei.

      „Sabine Ritter?“ frug ich. „Wer ist das?“

      „Herr Doktor hätten vor drei oder vier Stunden hier auf der Strasse vor dem Haus mit ihr gesprochen!“

      „Sabine Ritter — das ist offenbar das grosse, hübsche, sonnenverbrannte Mädchen, dem du vorhin den Weg nach dem Karnaktempel gewiesen hast, du alter Schwerenöter!“ sagte meine Frau.

      „Die alte Dame ist etwas in Unruhe, indem es sachteken dunkel wird!“

      „Ja — bitte — ich lasse Mrs. Adams bestellen, das Fräulein fei vor die Stadt hinaus zu Fuss in der Hitze nach dem Karnaktempel abmarschiert!“ versetzte ich. „Hier vorbeigekommen ist sie seitdem nicht wieder. Also muss sie wohl noch draussen sein!“

      6

      Ein Briefumschlag und ein aufgefangener Brief Sabine Ritters

      An Herrn Josef Hilgenstock, Schraubenfabrik A.G. in Schöllnitz (Freistaat Sachsen)

      Lieber Freund!

      Ja! Ägypten! Da sind wir jetzt! Aus Indien gelandet, wie ich Ihnen schon von Alexandrien schrieb. Mrs. Adams und ich. In diesem Museum. Ägypten ist ein einziges grosses Museum. Nur Steine und Jahrtausende. Die Menschen wimmeln darin unglaublich überflüssig herum. Menschen haben am Nil nur einen Sinn, wenn sie Mumien sind.

      Der Tod ist hier der Sinn des Lebens, sagt Mrs. Adams. Das klingt unfreundlich. Ich lebe wahnsinnig gern. Ich passe gar nicht in so ein Totenland. Aber trotzdem: Alles in der Welt ist besser als ein Sonntagnachmittag in Schöllnitz!

      Und dort könnten wir beide jetzt so nett spazierengehen als . . . das ist es. Nett wäre das — das finden Sie! Wenn ich vernünftig wäre, wurde ich es auch finden. Denn ich habe Sie wirklich sehr gern. Aber da ist dann wieder der Freiheitsdrang, und ich war wieder einmal unvernünftig. Ich bin fort, ehe es bei uns zum Klappen gekommen ist, und fühle mich hier draussen wie ein Fisch im Wasser.

      Das heisst: nicht immer! Das will ich Ihnen gestehen! Manchmal habe ich Anwandlungen von einer ganz sonderbaren Wehmut. Dann wird mir ganz weich zu Sinn. In solch einer Stimmung habe ich dann eine Träumerei, eine Sehnsucht: Du könntest es ja so gut haben daheim — einen, der dich lieb hat — und überhaupt Familie — und bist auf Lebenszeit geborgen, und man ist in Deutschland, das ich doch so treulich liebe und nie mehr, als wenn ich recht weit weg bin — und dann stütze ich den Kopf in die Hand und frage mich: Was hast du denn eigentlich da draussen verloren, du tolle Liese? Und da kann es tatsächlich passieren, dass einem ohne Grund die Tränen kommen.

      Und


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