Der Fluch des Pharao. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.wenn ich hier noch lange herumtrödelte. Dabei war mir gar nicht nach Fieber zumute. Das war das Komische bei der Sache.
Ich raffte verstohlen den Brief und den Umschlag vom Boden und steckte sie in die Tasche. Gott sei Dank — es hatte niemand etwas von der Bewegung bemerkt. Dann schlug ich mir mit der flachen Hand vor den Kopf. Ich war auch zu dumm. Ich sagte mir: Wie sollten denn diese Gestalten etwas von dir bemerken? Du bist wirklich vorhanden, aber die doch nicht! Die existieren doch nur in deiner Einbildung. In Wirklichkeit ist der Tempel ja ganz leer. Geh du nur dreist und gottesfürchtig mittendurch nach dem Ausgang zu. Du wirft schon sehen, wie die Gesellschaft Platz macht! Oder sich überhaupt in Wohlgefallen auflöst, wenn du sie nur fest anschaust und keine Bange zeigst!
Der Gedanke gab mir Mut, und ich tat’s. Der Schrecken, den ich kriegte, sowie ich zum Vorschein kam! Die Geschöpfe mit Tierköpfen stürzten nur so auf mich zu. Es war ein allgemeines Halloh! Ein Gewinke nach den Gestalten innen im Tempel, doch schnell zu kommen und mich zu besichtigen! Im Augenblick bildete sich um mich ein ganzer Kranz von Tierschädeln und neugierigen braunen Gesichtern. Ich biss die Zähne zusammen. Durch den Spuk musste ich durch!
Auf der Säule waren noch die Bilder der drei Katzenund Löwen- und Kuhgöttinnen. Aber darunter, in der Halle, standen sie auch. Sie waren doppelt da. Die Katze hatte ein langes blaues Gewand, die Löwin ein grünes mit einer Sonnenscheibe auf der Brust, die Kuh trug eine Schlange zwischen den Hörnern. Sie sahen mich, sie bewegten sich, sie schrien, als ich mir Bahn brechen wollte, wieder in dem schrecklichen, ganz unwahrscheinlichen Englisch, das mir als Fiebersymptom auf die Nerven ging: „O haltet die Lady!“ Daraufhin sprang der Krokodilgott mir in den Weg und breitete die Arme aus und fletschte seinen vergnügten langen Rachen voll spitzer Zähne, und der Gott mit dem Falkenhaupt stand dahinter und winkte mir einladend, doch im Tempel zu bleiben und zu tun, als ob ich zu Hause wäre.
Mir war das nachgerade zuviel. Ich setzte mich kummervoll auf den Boden und stemmte trotzig das Kinn in die Hand und sah vor mir hinunter gerade auf die Steinplatte, um die Gespensterwirtschaft um mich herum nicht mehr zu sehen. Da fühlte ich mich an der Schulter berührt. Ich schaute nicht auf. Ich sagte nur matt vor mich hin:
„Ich hab’ genug . . .“
Da klopfte mir zum zweitenmal jemand auf die Schulter. Ich zuckte. Ich murmelte plötzlich:
„Ach — tut mir doch nichts!“
Die Antwort war oben ein kräftiges Lachen. Nun schaute ich doch zweifelvoll wieder hinauf in die Höhe. Da stand über mir allerdings wieder so ein alter Ägypter in einem blau und weiss gewürfelten Schürzrock und ebensolchem Kopftuch und purpurnen Sandalen an den blossen Beinen. Aber er hatte ein freundliches und menschliches, echt deutsches Gesicht, mit einem rötlichen, schon etwas angegrauten Vollbart, und ich erkannte den deutschen Gelehrten, den ich mittags vor seinem Hause nach dem Weg nach Karnak gefragt hatte.
Er redete mich auf deutsch an! Gottlob! Da fiel mir ein Stein vom Herzen. Wenn schon gegeistert werden sollte, dann wenigstens auf gut deutsch! Dann war es sicherlich nicht so bös gemeint!
8
Bericht des Ägyptologen Dr. Philipp Bechtold
„Wie die Blätter im Herbst, so sind die Geschlechter der Menschen.“ Ich habe in einer meiner Schriften die Generationen des Menschengeschlechts mit den Schauspielern eines Stadttheaters verglichen, die an dem einen Abend in Ritterrüstung und Sturzhelm, am andern als Dandies und Mondänen im Salon, am dritten als Räuber und Dirnen agieren, und schliesslich steckt in all den wechselnden Hüllen immer der gleiche arme Komödiant mit all seiner Sorge und Not. Rastlos dreht sich das Rad des Seins und kommt doch nicht vom Fleck, wenn man nicht den tieferen Sinn des Seins erkennt — das, was das Rad bewegt.
Mag man es den Weltwillen nennen, im ewigen Wechsel zwischen Tod und Leben, oder die rastlose Neugeburt der Platonischen Ideen oder die tiefe Sehnsucht nach dem Nichtsein des Nirwana, das wir uns doch gar nicht vorzustellen vermögen — der Dichter lehrt uns, dass alle Dinge dieser Welt nur ein Gleichnis sind. Eine Gleichung mit der Grossen Unbekannten.
Wenn sie Weltbilder dieser Zeitlichkeit oder nur der farbige Abglanz der uns verschlossenen Wirklichkeit sind — warum soll man mit diesem Goldschaum und Silberflitter nicht spielen, wie Kinder zu Weihnachten mit Äpfeln und Nüssen? Wir brauchen ja das äussere Gesicht des Lebens nicht so ernst zu nehmen, weil wir wissen, dass es nur eine Larve ist. Larven auch in dieser mitternächtigen Fastnacht im Tempel von Karnak.
Das sagte ich auch meiner Frau, als sie entrüstet die Einladungskarte zu diesem Abendfest aus der Hand legte.
„Erstens kennen wir diesen Herrn Sanders überhaupt nicht persönlich . . .“
„Das stört ihn nicht! Er stöbert die Leute auf und verschlingt sie, wie er sie findet! Es muss ein hartes Los sein, so in allen Erdteilen chronisch am Menschenhunger zu leiden.“
„. . . . und zweitens ist es eine Blasphemie, in dem Tempel von Karnak einen alltäglichen Kostümball zu veranstalten!“
„Es soll ihn — oder vielmehr seine Frau auch Mühe genug gekostet haben, die Erlaubnis zu erlangen!“
„Na jedenfalls: ich glänze durch Abwesenheit!“
„Ich weiss nicht, ob man so etwas nicht der Kuriosität halber einmal mitnehmen soll!“ sprach ich. „Stelle dir einmal vor: Ein einziges Mal in unserem Leben verwandelt sich das Vorstellungsbild, das wir von dem alten Ägypten mit einer ständigen unbefriedigten Sehnsucht mit uns tragen, in mondbeglänzte Wirklichkeit. Auf viele Stunden in der Runde öffnen sich drüben überm Nil die Gräber. Die Pharaonen treten aus ihren Grüften, die Grossen, die schlanken braunen Prinzessinnen aus ihren Gärgen — die Priester, die Hexenmeister ihrer Zeit, schreiten undurchdringlich, gemessen, in paarweisen Zügen, die Helden fahren auf Sichelwagen, das Volk drängt sich — dies ewige Volk am Nil. Mrs. Meg Sanders soll es sich Unsummen haben kosten lassen, um alles so stilecht wie möglich zu gestalten. Es wird ein Eindruck, den man nicht wieder vergisst!“
„Wenn man es so auffasst . . .“ sprach meine Frau Wilburg. Darauf ich:
„Sei kein Philister, teures Weib! Rüste für uns ein paar Fähnchen bunten Stoff. Wir wollen heut abend bei dem Fest nichts mit den Königen zu tun haben. Wir wollen uns bescheiden im Hintergrund unter die Kärrner mengen!“
Und so geschah es, dass wir an dem Fest im Karnaktempel teilnahmen und zum Glück auch gerade in der Nähe standen, als der verirrte Fremdling aus dem zwanzigsten Jahrhundert, das Fräulein Sabine Ritter, verstört den Ausgang suchte.
Eigentlich hatte ich Mühe, ein Lachen zu unterdrücken, als ich da unter mir das Fräulein von heute mittag auf dem Boden sitzen sah, gar nicht mehr so unternehmungslustig wie damals, sondern mit offenem Mund und grossen braunen Augen und einem blassen und völlig verdatterten, aber immer noch sehr hübschen Gesicht.
„Na — Sie einzige Zivilistin — was machen Sie denn da?“ frug ich munter. Und sie tonlos aus der Tiefe:
„Können Sie mir einen Arzt empfehlen?“
„Warum denn? So einem Springinsfeld wie Sie?“
Ich hob sie auf und stellte sie in ihrer ganzen schlanken und sehr wohlproportionierten Länge auf die Beine. Sie starrte immer noch fassungslos auf mich und ebenso auf meine Frau, die in einem nilgrünen, mit goldener Schärpe gegürteten Gewand herangetreten war, und reichte ihr mechanisch die Hand. Dann strich sie sich mit dieser Hand über die Augen, wie um uns zu verscheuchen, und frug, als wir blieben, mit erstickter Stimme:
„Wer seid ihr denn eigentlich?“
„Augenblicklich der selige Ramose, Vorsteher Thebens zur Zeit des grossen Pharao Amenophis des Vierten, des Ketzerkönigs und Sonnengotts!“ sprach ich wohlgelaunt. „Ich bewohne mit meiner lieben Frau hier, der Hofdame Teje, eine prachtvoll erhaltene Säulenkatakombe drüben in der Ebene überm Nil. Wir sind da abgebildet, wie wir Hand in Hand in das Totenreich hinabsteigen. Aber heute, wo das ganze alte Ägypten aus seinen Grüften aufersteht, haben wir altes Jubelpaar uns auch mal wieder auf den Weg gemacht!“
Das