Der Fluch des Pharao. Rudolf Stratz

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Der Fluch des Pharao - Rudolf Stratz


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Unsichtbaren sehen. Die Ameisen in dem Ameisenhaufen, über dem ich stehe, sehen mich nicht, weil ich für sie zu gross bin. Aber ich sehe sie. Es ist vieles für die Menschen zu gross.

      Ich habe mich eben darüber längere Zeit mit meinem seligen Mann unterhalten. Die Klopftöne kommen hier in dem Hotel recht gut und rein.

      Als ich hörte, dass Sie in Karnak seien, wusste ich schon, dass Sie da draussen bleiben würden, Kind! Bleiben Sie nur! Rings um uns ist die uns verschlossene erweiterte Welt. Tausend Augen, die wir nicht schauen, beobachten aus anderen Dimensionen unser Tun und Treiben und betrachten augenblicklich euern Totentanz im Tempel und werden schon das Weitere veranlassen.

      Nicht gegen Sie! Sie sind durch mich zu der wirklichen Welt bekehrt, die über die dritte Dimension hinausgeht! Also machen Sie mit reinem Herzen das Fest der Frevler mit, in dem festen Glauben, dass das ist, was nicht ist. Dann kann selbst Ägypten Ihnen nichts anhaben!

      Aber eines müssen Sie mir versprechen: Sie sind Gast des Herrn Konrad Sanders. Zeigen Sie dieser modernen Hyäne der Grüfte diesen Brief — das heisst das, was ich, eine alte Frau von siebzig Jahren, nur schnell aus dem Stegreif, aus dem Gedächtnis, wie es mir gerade einfällt, als letzte Warnung einer besorgten Geisterfreundin, um ein neues Unglück wie das des Tutanchamen zu verhüten, hier für ihn anfüge:

      Dass von den sechzehn Mitgliedern der Expedition Carnavon, die in diese Königsgruft eindrangen, jetzt nach einer kurzen Reihe von Jahren nur noch zwei am Leben sind, das ist eine Tatsache, die jedem Skeptiker bekannt sein muss. Denn sie ist oft genug durch die Presse aller Länder gegangen.

      Aber die in Stein gehauene tote Viper, die sich im Innersten des Tutanchamen-Grabs an der linken Seitenwand des letzten Durchgangs um einen erwürgten Menschenvogel — die Hieroglyphe „Seele“ — windet, weist noch auf viele andere Opfer menschlichen Vorwitzes hin.

      Der südafrikanische Millionär und Seefahrer Woolf Joel erlag, kurz nachdem er im Grab des Tutanchamen gewesen, einer Gehirnlähmung. Die Gräfin Waddington machte freiwillig ihrem Leben ein Ende. Ebenso Lord Westbury. In den letzten Zeilen, die er vorher niederschrieb, war zu lesen: „Ich kann das Furchtbare nicht mehr aushalten! Ich muss Schluss machen!“

      Von sieben französischen Zeitungsmännern, die Berichte über das Grab schrieben, starben sechs im gleichen Jahr.

      Oh mein Herr Sanders! Wollen Sie wirklich das Grab des Pharao Scheschonk erbrechen und ihn womöglich nach Europa verschiffen, wo schon sein Inneres ruht? Denken Sie, was sich jetzt eben auf dem Dampfer „Northumberland“ auf der Fahrt von Port Said nach London ereignet hat! Eine Mumie fuhr als Frachtgut mit, ein junger Ägypter als Passagier in der Ersten Klasse. Bei der Ankunft im Hafen waren beide, der Mensch und die Mumie, spurlos verschwunden und sind nie wieder zum Vorschein gekommen. Der Geist der Mumie, vor dem tausend Jahre wie ein Tag sind, hat seine irdischen Überreste wieder heimgeholt. Oh denken Sie an das, was Sie nicht wissen — eine alte Theosophin ruft es Ihnen zu und betet für Sie zu den Mächten, an die Sie nicht glauben, dass Sie den Pharao nicht in seiner Ruhe reizen mögen! Treulich Ihre Jane Adams.

      11

      Aus dem Bericht des Grossjournalisten Arthur Nothomb an den von ihm bedienten Teil der Weltpresse

      Die Posaunen schreien. Die Jahrtausende werden wach. Die einst Gewesenen kehren zurück. Was tot ist, lebt, was lebt, verkörpert die Toten. Wie buntes Ameisengewühl flutet es, harft und flötet, singt mit heller Stimme und Priesterbässen zwischen den vierzig Fuss im Umfang klafternden Säulen, auf denen in vielfacher Lebensgrösse Isis und Osiris, Horis und Hathor und er selber, der gewaltige Ummon-Râ, hoch über den Menschlein ihren ewigen Weg schreiten.

      Feierlich ragen vor seinem Tempel die Obelisken zu der goldfunkelnden Sternendecke des nachtblauen Nilhimmels. Wie die Schatten von Kirchtürmen sitzen da draussen als Wächter der Ewigkeit, aus Rosengranit gemeisselt, die Kolosse der Pharaonen, neben ihnen, als schmächtige Steinpuppe ihnen kaum bis zu den Knien reichend, eines jeden Schwester und Frau in der gleichen Königinnengestalt.

      Näher und näher die gellen Stösse der Posaunen. Ihre ehernen Stimmen brechen sich fern an den götterbunten Wänden der heiligen Riesenhalle. Näher und näher die silbernen Hymnen der Tempelmädchen, näher und näher der dumpfe Donner der Lanzenschäfte an den Schilden. Der purpurne Glast des Fackelgeflackers kämpft blutig mit dem bläulichen Spinnweb des Mondscheins. Die „Throne der Welt“ scheinen zu beben. Der Pharao Amenophis IV., der grosse Ketzerkönig, der Sohn der Sonne, naht.

      „Gebet Ehre Ammon, dem Herrn von Theben, welcher gegeben hat seinem Sohn, dem Pharao, den Sieg! Sein Vater Ammon machte stark seine Hände. Er spricht zu seinen Kriegern:,Euch seien alle Dinge der elenden Feinde, so wahr mich liebt der Sonnengott Râ!‘“

      Buntfarbige Negersklaven tanzen brüllend als Läufer voraus. In feierlicher Rangordnung schreiten dahinter in Hieroglyphengewändern aus weissem Leinen und umgeworfenem Pantherfell die Hohenpriester, von den Reinigern der Seele zu den Göttlichen Vätern bis hinauf zu den Propheten. Die Standarte der Sphinx schaukelt über den Kriegshauben der Leibwachen. Ein Gewoge brauner Gestalten in braunen Hüftschürzen, in denen blank, ohne Scheide, die Kriegsmesser stecken, trägt auf hohen Stangen die heiligen, siegbringenden Goldstatuen von Ibis, Katze, Falke und Krokodil. Gefangene in kanariengelben Hemden trotten gedrückt mit ihnen. Das Menschenbrausen steigert sich zum Sturm. Da wandeln schon in taghellem Fackelglanz gemessenen Schritts die beiden Träger des rechten und des linken Königswedels, und dahinter erscheint, unter den Fanfaren und dem heiteren Händeklatschen aus der Halle und unter den lachenden Zurufen der Ladies, er selber, der Pharao.

      Wahrlich — die Ladies hatten Grund, begeistert zu sein. Ich habe Herrn Konrad Sanders in den letzten Jahren wiederholt zufällig irgendwo auf der Welt getroffen — im Astor-Haus in Schanghai, im Hawai-Hotel in Honolulu, am Ufer des Guadalquivir auf dem Paseo de las Delicias, dem Abendkorso der schönen Welt von Sevilla. Ich hatte immer von ihm das Bild eines Mannes, von dem die Damen der Alten und der Neuen Welt träumen. Aber die Verwandlung in den Pharao selber setzte erst die Erscheinung dieses vorbildlichen und liebenswürdigen Gentleman in das rechte Licht.

      Er stand aufrecht in einem zweiräderigen, blau-gelben Kampfwagen und lenkte mit an den Hüften befestigten Zügeln das Paar milchweisser Rosse mit blau-gelben Straussenfedern an den Köpfen und Mähnen. Alles getreulich nach den viertausendjährigen Bildern an den Tempelwänden. Er trug ein schneeweisses Streitgewand mit rot-blauem Pfeilköcher, in der Rechten den Ebenholzbogen, in der Linken die Geissel. Blau-goldener Kettchenputz glitzerte ihm am Hals und an den blossen Armen. Sein Haupt krönte die weissgesternte, blaue, hochgespitzte

      Tiara. Oben auf ihr einten sich die Sonnenscheibe und die Kobraschlange als Zeichen seiner Macht über Leben und Tod.

      War das ein Pharao? War das ein Apollo unserer Tage? Der antike Mensch in nordischer Wiedergeburt? Es war erstaunlich, wie sich in ihm die Jahrtausende mischten. Die Züge dieses Gentleman hatten in ihrer klassischen Formung etwas Zeitloses. Auf ihnen verschmolz die Erinnerung an den Geist ferner Zeiten und Erdteile — Asien — Ägypten — mit dem Urbild nordischer Herrenrasse. Diese schmalen, bartlosen Lippen, dieses dunkelblonde Haar, diese grossen hellblauen Augen weisen gebieterisch auf das Europa nördlich der Alpen, vielleicht schon nahe der See, obwohl Herr Konrad Sanders, soweit mir bekannt, aus gutbürgerlichen Verhältnissen im Innern Deutschlands stammt.

      Mrs. Meg Sanders’ Gatte ist von mehr als mittelgrosser, schlanker, tadellos ebenmässiger Gestalt. Jede seiner Bewegungen zeigt den geschulten Sportsmann. Man sah es, als der kommende Entdecker des Scherchonk-Grabes — ein Pharao, der nach dem andern fahndet! — elastisch von dem Wagen sprang, um die Stufen zu seinem löwenfüssigen, mit elfenbeinernen Lotosblumen besäten Königsfessel aus vergoldetem Zedernholz emporzusteigen.

      Da waren eigentlich zwei Sessel. Neben seinem goldenen Thron noch ein kleinerer und etwas weniger hoher. Dieser Ehrenplatz der Königin war leer, und er wurde leer bleiben. Denn Mrs. Meg Sanders, diese so allgemein beliebte Gastgeberin und für die smarte Welt diesseits und jenseits des Grossen Teichs massgebende Meisterin in gesellschaftlichen Spitzenleistungen, diese prächtige Lady zog es zu allgemeinem Bedauern vor, sich als ein allerdings höchst


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