Der Fluch des Pharao. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.Schützling scheint sich doch die ganze Zeit so gut als Nilkönigin zu amüsieren! Warum macht sie jetzt ein so besorgtes Gesicht? Sie spricht fortwährend eindringlich auf ihren Pharao ein!“
„Ich beobachte es auch!“ erwiderte der deutsche Gentleman. „Er lacht dazu! Er scheint es nicht ernst zu nehmen, was sie ihm sagt!“
„Sie wird immer ängstlicher. Es ist, als ob sie Herrn Sanders vor etwas warnt!“
„Sie zeigt ihm bittend ein Blatt Papier — einen Brief oder derlei . . .“
„Er wirft einen Blick hinein und schüttelt nur belustigt den Kopf!“
„Er winkt jemandem!“ sprach Dr. Bechtold. „Es gilt Ihnen, Mr. Nothomb!“
So war es. Die Sänfte mit dem Königspaar hatte sich schon in Bewegung gesetzt. Aber jetzt stoppte sie in der Halle mitten in dem Gewühl der Tier- und Menschenköpfe, der Straussenfedern und farbigen Nackentücher und spitzen Priestertiaren. Herr Sanders rief mir von seinem Hochthron mit einem knabenhaften Lachen in seinen grossen blauen Augen zu:
„Etwas für Sie, alter Nothomb! Etwas Gruseliges, wie es Ihre Presse liebt!“
„Oh — geben Sie!“ bat ich im Eifer meines Berufes.
„Die Königin Nofretete hat mir soeben einen Handzettel der Mrs. Jane Adams an mich gegeben. Sie hätte es schon früher tun sollen. Sie hat sich, wie sie sagt, in der Verwirrung nicht gleich dazu entschliessen können!“
„Oh — und was steht darin?“
„Lesen Sie selbst! Nichts weiter als ein neuer Streckenrapport von Opfern des Tutanchamen! Mein Gott: was interessiert das mich?“
„Das sagt Herr Sanders, der selbst ein Pharaonengrab öffnen will!“ sprach erregt von oben Fräulein Ritter. Auf ihrem dunkelhäutigen, bräunlichen Gesicht stand ernstliche Sorge um den Gemahl auf Zeit an ihrer Seite geschrieben. Ihre Stimme war beklommen. „Ich versuche die ganze Zeit, Herrn Sanders von seinem Vorhaben abzureden, damit ihm nichts passiert?“
„Nofretete kennt mich noch nicht! Ich bin kein Mann, der über Strohhalme strauchelt!“ sagte Herr Sanders gleichmütig, aber doch mit einem langen und warmen Blick auf seine Königin, und sie, wahrlich jetzt nicht die längst tote und ferne Pharaonin, sondern eine höchst lebendige, höchst stürmisch empfindende Frau unserer Tage, in unterdrückter, aber doch merklicher Unruhe:
„Ich kenne doch Mrs. Adams! Sie warnt nicht umsonst! Sie weiss mehr als wir!“ Die Königin Nofretete beugte sich bang zu mir herab, den sie gar nicht kannte. „Oh — helfen Sie mir doch, Sir!“
Ich zuckte diplomatisch unter meinem Hieroglyphenmantel die Schultern. Solch eine Schlagzeile aus der vierten Dimension, dank einer so prominenten Geisterseherin wie Mrs. Adams, war ein gutes Ding für die Presse dreier Erdteile. Ich hörte schon im Geist das Geschrei der Strassenaraber auf dem Strand Londons und auf dem Broadway.
„Ich bin eine lichtempfindliche Platte!“ versetzte ich lächelnd, während ringsum das Volk der Pharaonen offenen Mundes und gespannten Blicks zuhörte. „Ich bin eine Schallmembran. Ich bin seit zwanzig Jahren ein Registrierapparat für alles, was mir das Schicksal täglich in kleiner Münze von Begebenheiten einwirft. Wenn Mr. Sanders es für weise findet, den Pharao Scheschonk mit einem Schlag auf die Schulter und einem,Halloh — alter Junge!‘ aus seiner Siesta aufzuerwecken — ich pachte eigens ein Kabel, um dies Interview als erster rund um den Äquator zu starten!“
„Ich werde eine Audienz bei dem Pharao Scheschonk erzwingen!“ rief Konrad Sanders. Er stand hochaufgereckt, eine königliche Erscheinung, in seiner Sänfte, während die Lady zu seiner Linken seufzend die Achseln zuckte und sich kummervoll zurücklehnte. Er lachte unternehmend und schwenkte den Brief der guten alten Theosophin so geringschätzig durch die Luft, als sei es eine Hotelrechnung, und warf ihn mir zu.
„Eine Walfischtonne für Sie, Nothomb, und Ihre Blätter! Spielen Sie vorläufig damit! Veröffentlichen Sie die Totenliste des Tutanchamen! Betonen Sie, nichts sei irriger, als in ihr eine schwarze Vorbedeutung für mein Unternehmen zu sehen! Geben Sie allen Ihren Lesern zu verstehen, ich wüsste nicht, ob es einen Fluch des Pharao gibt oder nicht! Aber wenn es einen gibt . . .“ Hier richtete sich dieser unerschrockene Sportsmann in seiner ganzen so wohlgebildeten, herrlich sich unter dem Schlachtgewand des Pharao abzeichnenden Gestalt über der Götter-, Mensch- und Tierwelt empor, die gläubig unten seine Sänfte umringte: „. . . wenn der König Scheschonk sich wehren sollte, so werde ich der Stärkere sein, so wahr das zwanzigste Jahrhundert stärker ist als irgendein altes Jahrtausend am Nil!“
Er blickte durch den Säulenwald kriegerisch in der Richtung nach Westen, wo, eine Viertelstunde entfernt, der Nil durch die Nacht strömte und irgendwo drüben im Tal des Todes noch unentdeckt und ungestört der Pharao Scheschonk seinen ewigen Schlaf schlief. Ein harter Siegeswille strahlte über seinem klassisch geformten Antlitz. Seine Stimme klang wie eine Attackenfanfare durch die heiligen Hallen. Er breitete die Arme aus und rief lachend in die dunkle Weite, dass es dumpf von den Mauermassen der Pylonen widerhallte:
„Scheschonk! Ich komme!“
„Nein! Scheschonk kommt!“
Ich habe selten einen so gellenden Angstschrei einer weiblichen Stimme gehört wie diesen. Die Löwengöttin hatte ihn ausgestossen und strebte im gleichen Augenblick nach Deckung hinter dem nächsten dicken Hohenpriester. Aber auch der wich mit aufgerissenen Augen zurück. Der Widdergott liess sein Sandwich fallen und suchte sein Heil zwischen den aufkreischenden und zurückflatternden Tempelmädchen. Selbst Mrs. Sanders, die kleine, füllige Nilpferdgöttin, wies verblüfft mit zitterndem Zeigefinger nach vorn. Neben ihr hob der Schakal Anubis seinen Arm und rief mit unsicherer Stimme nach der Polizei.
Und doch wäre es gerade seines, des Totengottes, Amtes gewesen, sich mit dem dunklen Gast zu befassen, der da plötzlich, unbemerkt aus der Nacht aufgetaucht, einsam vor den beiden leeren Königsthronen stand, durch eine breite, kahle, mondbeschienene Tempelfläche von den unwillkürlich zurückgewichenen phantastischen Gruppen der Pharaogäste getrennt. Denn es schien wirklich beinahe etwas an dem, was eine angstvolle Frauenstimme durch die Stille schrie:
„Die Mumie des Scheschonk ist gekommen!“
Im hellen, bläulichen Licht stand da oben die gebeugte Gestalt eines kleinen, ältlichen, schwärzlichen Mannes. Er hatte eine dunkle Kappe auf dem Kopf und war so eng in einen dunklen Fellachenmantel gehüllt, dass man aus der Entfernung in der Dämmerung und in der Erregtheit bei einigem guten Willen sich einbilden konnte, Mumienbinden umwickelten seinen Leib. Sein bartloses Antlitz mit den dünnen Lippen und halbgeschlossenen Lidspalten war dunkel-lederbraun, wie von der Tropensonne ausgedörrt. Die Backenknochen sprangen wie bei einer Totenmaske unter der Gesichtshaut vor. Man konnte, wenn man wollte, auch in der grossen gebogenen Nase, dem eingefallenen Mund eine Ähnlichkeit mit einer Mumie finden.
Derjenige, der festen Schrittes, mit verbindlicher Bestimmtheit auf den kleinen schwarzen Schatten da oben zutrat, das war Herr Sanders selber, immer das Vorbild eines Gentleman in allen Lebenslagen.
„Darf ich fragen, was Sie zu uns führt, Sir?“ frug er mit dem liebenswürdigen Lächeln eines höflichen Hausherrn.
„Ich könnte fragen, was Sie zu mir führt“, sprach es mit einer leisen und tonlosen Stimme, aber in gutem Englisch aus dem schmalen Mumienmund. „Denn ich bin hier zu Hause!“
„Nun: dies Fest gebe ich!“
„Sie haben dazu alles geladen, was je im Niltal war. Da bin ich auch gekommen!“
„Von wo?“
„Da, wo Sie hinwollen und nicht hinsollen!“ Es klang blechern, leidenschaftslos-eintönig. „Stören Sie den König Scheschonk nicht! Lassen Sie mir meine Grabesruhe!“
„Sprechen Sie, Sir, in Scheschonks Namen?!“
„Ich war es. Ich bin es! Raubt meine Mumie nicht! Bringt mich nicht in das helle Tageslicht. Wickelt mich nicht aus! Tut mir nicht weh! Ich räche mich!“
Der unbekannte