Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.Schwester die Gesundheit zurückgeben sollte.
»Aber weder Aerzte, noch Beschwörungen, noch Amulete wollten der Armen helfen. Neithotep verhehlte mir endlich nicht mehr, daß Tachots Sterne wenig Hoffnung verhießen. Der heilige Stier von Memphis starb in jenen Tagen; die Priester fanden kein Herz in seinen Eingeweiden und verkündeten Unheil, welches über Aegypten kommen werde. Bis heute ist noch kein neuer Apis gefunden worden. Man glaubt, daß die Götter dem Reiche Deines Vaters zürnen, und das Orakel von Buto hat verkündet, die Unsterblichen würden erst dann Aegypten mit neuer Huld beglücken, wenn alle den fremden Göttern auf der schwarzen Erde347 erbauten Tempel vernichtet und Diejenigen, welche den falschen Gottheiten opfern, aus Aegypten verbannt worden wären.
»Die Unglückszeichen haben nicht gelogen. Tachot wurde von einem furchtbaren Fieber ergriffen. Neun Tage lang schwebte sie zwischen Tod und Leben, und sie ist heute noch so schwach, daß sie getragen werden muß und weder Hand noch Fuß zu rühren vermag.
»Während der Fahrt nach Bubastis hatten sich, wie dies in Aegypten nicht selten geschieht348, die Augen des Amasis entzündet. Statt ihnen Ruhe zu gönnen, arbeitete er nach wie vor, von Sonnenaufgang bis zur Mittagszeit. Während der schlimmen Fiebertage Deiner Schwester wich er, trotz unserer Mahnungen, nicht von ihrem Lager. Laß mich kurz sein, meine Tochter! Das Augenübel wurde immer heftiger, und an demselben Tage, welcher uns die Nachricht brachte, Du wärest wohlbehalten zu Babylon eingetroffen, war Amasis erblindet.
»Aus dem rüstigen, frohen Manne ist seit jener Zeit ein hinsiechender, düsterer Greis geworden. – Der Tod des Apis, die schlimmen Konstellationen und Orakelsprüche beängstigen sein Herz. Die Nacht, in welcher er lebt, umflort seine Heiterkeit. Das Bewußtsein, nicht ohne Stütze fortschreiten zu können, beraubt ihn seines sichern Willens. Der kühne, selbstständige Herrscher ist im Begriff zum willenlosen Werkzeuge der Priester zu werden.
»Stundenlang verweilt er jetzt im Tempel der Neith, um zu beten und zu opfern. Dort läßt er auch eine Schaar von Werkleuten an einer Todtenwohnung für seine eigene Mumie arbeiten, während eine gleiche Anzahl von Maurern das von den Hellenen begonnene Heiligthum des Apollo zu Memphis der Erde gleich machen muß. Sein eigenes und Tachot’s Unglück nennt er eine gerechte Strafe der Unsterblichen.
»Seine Besuche am Lager der Kranken gereichen dieser zu geringem Troste; denn statt der Armen freundlich zuzureden, bemüht er sich ihr zu beweisen, daß auch sie die Strafe der Unsterblichen verdient habe. Er versucht das arme Kind mit der ganzen Kraft seiner siegenden Beredsamkeit dahin zu bringen, der Erde ganz und gar zu vergessen und durch fortwährende Gebete und Opfer die Gnade des Osiris und der Richter in der Unterwelt zu gewinnen. So foltert er die Seele unserer theuren Kranken, welche so gerne leben möchte. Vielleicht bin ich als Königin von Aegypten zu sehr Griechin geblieben; aber der Tod ist so lang und das Leben so kurz, daß ich die Weisen unweise nenne, welche durch ewiges Gedenken an den finsteren Hades diesem die Herrschaft über das halbe Leben schenken.
»Abermals bin ich unterbrochen worden. Imhotep, der große Arzt, war angekommen, um nach dem Befinden unserer Kranken zu sehen. Er gibt wenig Hoffnung, ja er scheint sich zu wundern, daß dieser zarte Körper den harten Angriffen des Todes so lange Zeit zu widerstehen vermag. ›Sie wäre längst nicht mehr,‹ sagte er gestern, ›wenn sie nicht der feste Wille fort zu leben und eine nimmer rastende Sehnsucht aufrecht erhielte. Sie könnte, wenn sie die Lust leben zu wollen aufgäbe, sich sterben lassen, wie wir uns in den Schlaf hinüber träumen. Sollte ihr Wunsch befriedigt werden, so kann sie vielleicht (aber das ist unwahrscheinlich) ihr Dasein noch Jahre lang fristen; bleibt ihre Hoffnung nur noch kurze Zeit unerfüllt, so wird sie von derselben Sehnsucht, welche sie jetzt nicht sterben läßt, aufgerieben und getödtet werden.‹ Ahnst Du, wonach sie sich sehnt? Unsere Tachot hat sich von dem Bruder Deines Gatten bezaubern lassen. Damit will ich nicht sagen, daß, wie Ameneman der Priester glaubt, magische Mittel von dem Jünglinge angewendet worden sind, um sie für sich erglühen zu lassen, denn es bedarf noch weniger als so großer Schönheit und so anmuthigen Wesens wie Bartja besitzt, um das Herz einer unschuldigen Jungfrau, eines halben Kindes zu bestricken. Aber ihre Leidenschaft ist doch so heiß, die Veränderung ihres Wesens so groß, daß ich selbst in mancher Stunde an übernatürliche Einflüsse geglaubt habe. Kurz vor Deiner Abreise bemerkte ich schon, daß Deine Schwester dem Perser zugethan sei. Ihre ersten Thränen glaubten wir noch Deiner Abreise zuschreiben zu müssen; als sie aber in jenes stumme Träumen versank, bemerkte Ibykus, welcher damals noch an unserem Hofe verweilte, die Jungfrau sei von einer tiefen Leidenschaft ergriffen.
»Als sie einst träumend vor der Spindel saß, sang er ihr in meiner Gegenwart das Liebesliedchen der Sappho in’s Ohr:
›O süße Mutter,
Ich kann nicht spinnen,
Ich kann nicht sitzen
Im Stübchen innen
Im engen Haus;
Es stockt das Mädchen,
Es reißt das Fädchen.
O süße Mutter,
Ich muß hinaus349!‹
»Sie erbleichte bei diesen Worten und fragte: ›Hast Du selbst dies Liedchen erdacht, Ibykus?‹
»›Nein,‹ antwortete jener, ›die Lesbierin Sappho sang es vor fünfzig Jahren.‹
»›Vor fünfzig Jahren,‹ wiederholte Tachot gedankenvoll.
»›Die Liebe bleibt sich immer gleich,‹ unterbrach sie der Dichter; ›wie Sappho vor fünfzig Jahren liebte, so hat man vor Aeonen geliebt, so wird man nach Jahrtausenden lieben.‹
»Die Kranke lächelte zustimmend und wiederholte von nun an, leise summend, gar oft jenes Liedlein, wenn sie müßig vor der Spindel saß.
»Trotz alledem vermieden wir mit Fleiß jede Frage, welche sie an den Geliebten erinnern konnte. Als sie aber in Fieberschauern darnieder lag, wurden ihre glühenden Lippen nicht müde, Bartja’s Namen auszurufen. Nachdem sie wieder ihrer Gedanken mächtig geworden war, erzählten wir ihr von jenen Phantasieen.
»Da schüttete sie mir ihre ganze Seele aus und sagte mit feierlicher Stimme, gleich einer Prophetin gen Himmel starrend: ›Ich weiß, daß ich nicht sterben werde, eh’ ich ihn wiedergesehen habe.‹
»Neulich hatten wir sie in den Tempel tragen lassen, weil sie Sehnsucht empfand, in den heiligen Hallen zu beten. Als die Andacht beendet war und wir an den im Vorhofe spielenden Kindern vorbei kamen, bemerkte sie ein kleines Mädchen, welches ihren Freundinnen mit großem Eifer etwas erzählte. Da befahl sie den Trägern, die Sänfte hinzusetzen und das Kind herbeizurufen.
»›Was sagtest Du?‹ fragte sie die Kleine.
»›Ich erzählte den Andern etwas von meiner ältesten Schwester.‹
»›Darf ich es auch hören?‹ fragte Tachot, so freundlich bittend, daß die Kleine ohne alle Scheu anhob: ›Batau, der Bräutigam meiner Schwester, ist gestern ganz unerwartet aus Theben heimgekehrt. Als der Isisstern350 aufging, trat er plötzlich auf unser Dach, wo Kerimama gerade mit dem Vater das Brettspiel spielte. Er brachte ihr einen schönen goldenen Brautkranz mit.‹
»Tachot küßte die Kleine und schenkte ihr ihren kostbaren Fächer. Als wir wieder zu Hause waren, lächelte sie mir schalkhaft zu und sagte: ›Du weißt ja, liebes Mütterchen, daß die Worte der Kinder im Vorhofe des Tempels für Orakelsprüche gehalten werden351. Wenn die Kleine nicht gelogen hat, so muß er kommen! Hast Du nicht gehört, daß er auch den Hochzeitskranz mitbringen wird? O, Mutter, ich weiß es sicher, weiß es ganz genau, daß ich ihn wiedersehen werde!‹
»Als ich Tachot gestern fragte, ob sie etwas