Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.unsern Grenzstrom, überbrücken. Wir fürchteten nichts; darum ließ Tomyris ihm sagen, er möge sich die Mühe des Brückenschlagens ersparen, denn wir wären bereit, ihn entweder in unserem Lande ruhig zu erwarten und ihm den Uebergang über den Araxes frei zu lassen, oder ihm in sein eigenes Land entgegen zu ziehen.
»Cyrus entschied sich, wie Kriegsgefangene uns später mittheilten, auf den Rath des entthronten Königs von Lydien, Krösus, dafür, uns in unserem eigenen Gebiete aufzusuchen und durch List zu verderben. Er sandte uns nur einen kleinen Theil seines Heeres entgegen, ließ ihn von unsern Pfeilen und Lanzen aufreiben und gestattete, daß wir uns seines Lagers ohne einen Schwertstreich bemächtigten. Wir glaubten den Unüberwindlichen besiegt zu haben und schmausten von euren reichen Vorräthen. Als wir, vergiftet von jenem süßen Tranke, welchen wir noch niemals versucht hatten und den ihr ›Wein‹ benennt, in einen der Betäubung gleichen Schlummer versunken waren, überfiel uns euer Heer und mordete einen großen Theil unserer Krieger. Viele nahmt ihr gefangen, unter diesen den heldenmütigen Spargapises, den jungen Sohn unserer Königin.
»Als dieser erfuhr, daß seine Mutter bereit sei, Frieden mit euch zu machen, wenn ihr ihn freigeben wolltet, bat der edle junge Held, ihm seine Ketten abzunehmen. So geschah es. Als er den Gebrauch seiner Hände wieder erlangt hatte, ergriff er ein Schwert und durchbohrte seine Brust mit dem Rufe: ›Ich opfere mich für die Freiheit meines Volkes!‹
»Kaum erhielten wir die Nachricht von dem großmüthigen Tode des geliebten Jünglings, als wir alle Streitkräfte, welche eure Schwerter und Ketten verschont hatten, sammelten. Selbst die Knaben und Greise bewaffneten sich und zogen aus gegen Deinen Vater, um den edlen Spargapises zu rächen und sich, wie er, für die Freiheit der Massageten zu opfern. Es kam zum Treffen. Ihr wurdet geschlagen, Cyrus fiel, Tomyris fand seinen Leichnam in einer Lache von Menschenblut schwimmend und rief: ›Unersättlicher, jetzt, denke ich, wirst Du mit Blut gesättigt sein!‹ Die Schaar der Edlen, welche ihr die Unsterblichen nennt, drängte uns zurück und holte aus unsern dichtesten Reihen den Leichnam Deines Vaters. Du selbst hast an ihrer Spitze gestanden und wie ein Löwe gekämpft. Ich erkenne Dich wohl! Wisse, daß dieses Schwert an meiner Seite jene Wunde schlug, welche jetzt als purpurnes Ehrenzeichen Dein männliches Angesicht schmückt!«
Die lauschende Menge regte sich, zitternd für das Leben des kühnen Sprechers; Kambyses aber nickte ihm, statt zu zürnen, beifällig zu und sagte: »Auch ich erkenne Dich jetzt! Du rittest an jenem Tage ein brandrothes, mit goldenen Zierrathen bedecktes Roß. Wir Perser wissen die Tapferkeit zu ehren, das sollst auch Du erfahren! Meine Freunde, niemals sah ich ein schärferes Schwert, niemals einen unermüdlicheren Arm, wie den dieses Mannes; verneigt euch vor ihm, denn Heldengröße verdient die Ehrfurcht der Tapfern, zeige sie sich beim Freunde oder beim Feinde335. – Dir, Massaget, will ich rathen, bald nach Hause zu ziehen und zu rüsten, denn durch die Erinnerung an euren Muth und eure Kraft verdoppelt sich in mir die Sehnsucht, mit euch zu kämpfen. Starke Feinde, wie ihr seid, sind mir beim Mithra lieber als schwache Freunde! Ich will euch ohne Schaden in eure Heimath entlassen, aber bleibt nicht zu lange in meiner Nähe, sonst möchte im Gedanken an die Rache, welche ich der Seele meines Vaters schulde, mein Zorn erwachen und das Ende eures Lebens nahe sein!«
Um den bärtigen Mund des Kriegers zog ein bitteres Lächeln und er erwiederte dem Könige: »Wir Massageten glauben, daß die Seele Deines Vaters nur zu furchtbar gerochen ward. Statt seiner verblutete der einzige Sohn unserer Königin, der Stolz meines Volkes, welcher nicht unedler oder geringer war als Cyrus. Fünfzigtausend Leichen meiner Landsleute haben als Todtenopfer die harten Ufer des Araxes mit ihrem Blute erweicht, während auf eurer Seite nur dreißigtausend Menschen dem Tode verfielen. Wir kämpften eben so wacker wie ihr, eure Rüstungen aber sind fester als die unsern und widerstehen den Pfeilen, welche unsere Felle durchbohren. Endlich, als grausamste Rache, habt ihr unsere edle Königin Tomyris getödtet.«
»Tomyris lebt nicht mehr?!« rief Kambyses, den Redner unterbrechend. »Wir Perser sollten ein Weib gemordet haben? Was ist eurer Königin begegnet? Gib Antwort!«
»Tomyris starb vor zehn Monden aus Gram über den Tod ihres einzigen Sohnes, darum durft’ ich sagen, daß auch sie dem Kriege mit den Persern und der Seele Deines Vaters zum Opfer fiel.«
»Sie war ein großes Weib,« murmelte Kambyses. Dann fuhr er, seine Stimme erhebend, fort: »Wahrlich, ihr Massageten, ich beginne zu glauben, daß die Götter selbst es übernommen haben, meinen Vater an euch zu rächen. Aber so schwer eure Verluste auch erscheinen mögen: Spargapises, Tomyris und fünfzigtausend Massageten wiegen immer noch nicht die Seele eines Königs von Persien, am wenigsten aber die eines Cyrus auf!«
»Bei uns zu Lande,« antwortete der Bote, »ist im Tode Alles gleich, und die flüchtige Seele eines verstorbenen Königs nicht gewichtiger als die eines armen Knechtes. Dein Vater war ein großer Mann; aber das, was wir um seinetwillen erduldeten, ist ungeheuer. Wisse, König, daß ich Dir noch nicht alles Unglück mitgetheilt habe, welches seit jenem furchtbaren Kriege über unser Land gekommen ist. – Nach dem Tode der Tomyris ist Uneinigkeit unter den Massageten ausgebrochen. Zwei Männer glaubten gleiche Rechte auf den erledigten Thron zu haben. Die eine Hälfte des Volkes kämpfte für den ersten, die andere für den zweiten. Ein furchtbarer Bürgerkrieg, dem eine verheerende Pestilenz auf dem Fuße folgte, hat die Schaaren unserer Krieger gelichtet. Wir vermögen Deiner Macht, wenn Du uns bekriegen solltest, nicht zu widerstehen, und bieten Dir darum mit schweren Lasten reinen Goldes Frieden an.«
»So wollt ihr euch ohne Schwertstreich unterwerfen?« fragte Kambyses. »Die Zahl meines in der medischen Ebene versammelten Heeres kann euch beweisen, daß ich von eurem Heldenmuthe Größeres erwartet habe. Ohne Feinde können wir nicht kämpfen! Ich werde die Streiter entlassen und euch einen Statthalter senden. Seid mir willkommen als neue Unterthanen meines Reichs!«
Bei diesen Worten des Königs färbten sich die Wangen und die Stirn des massagetischen Helden mit flammender Röthe und er antwortete mit bebender Stimme: »Du irrst, o Herrscher, wenn Du denkst, daß wir die alte Tapferkeit verlernt oder Lust bekommen hätten, Knechte zu werden. Aber wir kennen Deine Macht und wissen, daß die kleine von Krieg und Pest verschonte Zahl unserer Landsleute Deinen unzählbaren wohlgerüsteten Heeren nicht widerstehen kann. Ehrlich und offen, nach Massageten Art, bekennen wir dieß; doch wir erklären zu gleicher Zeit, daß wir uns selbst zu regieren fortfahren und niemals ertragen werden, von einem persischen Satrapen Gesetze und Vorschriften zu empfangen. – Du siehst mich zürnend an; ich aber ertrage Deinen Blick und wiederhole meine Erklärung.«
»Und ich,« rief Kambyses, »sage Dir dieß. Ihr habt nur eine Wahl! Entweder unterwerft ihr euch meinem Scepter, schließt euch unter dem Namen der massagetischen Provinz dem persischen Reiche an, empfangt einen Satrapen, den Stellvertreter meiner eigenen Person, mit gebührender Ehrfurcht, oder ihr betrachtet euch als meine Feinde und bequemt euch, von meinen Heeren gezwungen, zu denselben Dingen, welche ich euch jetzt im Guten anbiete. Heute könnt ihr noch einen wohlgesinnten Herrn gewinnen; später werdet ihr einen Eroberer und Rächer in mir zu fürchten haben. Bedenkt dieß wohl, eh’ ihr antwortet!«
»Wir haben Alles vorher erwogen,« antwortete der Krieger, »und eingesehen, daß wir, die freien Söhne der Steppe, viel eher den Tod, als die Knechtschaft gewinnen mögen. Höre, was Dir der Rath unserer Greise durch meinen Mund verkünden läßt: ›Wir Massageten sind nicht durch unsere eigene Schuld, sondern wegen großer Heimsuchungen unseres Gottes, der Sonne, zu schwach geworden, euch Persern widerstehen zu können. Wir wissen, daß ihr gegen uns ein großes Heer gerüstet habt, und sind bereit, durch alljährlich zu zahlende Schätze den Frieden und die Freiheit von euch zu erkaufen. Wisset, daß wenn ihr trotzdem versuchen wolltet, uns durch Waffengewalt zu bezwingen, ihr euch selbst den größten Schaden zufügen würdet. Sobald sich ein Heer dem Araxes nähern sollte, werden wir Alle mit Weibern und Kindern aufbrechen und eine andere Heimath suchen, denn wir wohnen nicht, wie ihr, in festen Städten und Häusern, sondern sind gewöhnt, auf unsern Rossen umherzuschweifen und unter Zelten zu ruhen. Unser Gold werden wir mit uns nehmen und die versteckten Gruben verschütten und vernichten, in welchen ihr neue Schätze finden könntet. Wir kennen alle Orte, an denen edle Metalle schlummern, und sind bereit, euch solche in