Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie - Georg Ebers


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und die Harmonieen, welche ihm das Höchste sind, entströmen. Xenophanes von Kolophon307 endlich spottet der vielgestaltigen Götter des Homer und setzt eine einzige Gottheit auf den Thron: Die rastlos zeugende Naturkraft, deren Wesen der Gedanke, die Vernunft und die Ewigkeit ist. Aus ihr ist Alles entstanden, sie ist die Kraft, welche sich ewig gleich bleibt, während sich der Stoff des Geschaffenen in stetem Wechsel ergänzt und erneut. Das heiße Sehnen nach einem höheren Wesen über uns, auf welches wir uns stützen können, wenn unsere eigenen Kräfte nicht ausreichen, den wunderbaren Trieb in unserer Brust, einen verschwiegenen Vertrauten für alle Leiden und Wonnen unseres Herzens zu haben, die Dankbarkeit, welche wir beim Anblicke dieser schönen Welt und der Glücksgüter, welche uns so reichlich zu Theil werden, empfinden, nennen wir Frömmigkeit. Erhalte Dir dieses Gefühl, aber bedenke wohl, daß nicht die ägyptischen, nicht die griechischen und nicht die persischen Götter abgesondert von einander die Welt. regieren, sondern daß sie alle Eins sind und eine untheilbare Gottheit, so verschieden man sie auch nennen und darstellen mag, die Geschicke aller Völker und Menschen leitet308

      Die Perserinnen hörten dem Greise staunend zu. Ihre ungeübte Fassungskraft vermochte nicht dem Gedankengange des Krösus zu folgen; Nitetis aber hatte ihn wohl verstanden und rief: »Ladice, meine Mutter; die Schülerin des Pythagoras, hat mich Aehnliches gelehrt; die ägyptischen Priester aber nennen diese Ansichten frevelhaft und ihre Erfinder Götterverächter. Darum hab’ ich mich bestrebt, solche Gedanken in meinem Herzen zu unterdrücken. Jetzt will ich mich nicht länger dagegen sträuben. Was der fromme und weise Krösus glaubt, kann ja nichts Gottloses sein! Oropastes mag kommen! Ich bin bereit, seine Lehren zu hören und mir unsern Ammon, den Gott von Theben, in Auramazda, Isis oder Hathor in Anahita zu übersetzen. Andächtig werde ich aufblicken zu der Gottheit, die die ganze Welt umfaßt, die es auch hier grünen und blühen läßt und die Erquickung und Trost auch in die Herzen der Perser senkt, die sich betend an sie wenden.«

      Krösus lächelte. Er hatte geglaubt, Nitetis würde schwerer von den Göttern ihrer Heimath lassen, denn er kannte den unbeugsam am Hergebrachten und Anerzogenen hängenden Sinn der Aegypter; aber er hatte vergessen, daß die Mutter dieser Jungfrau eine Hellenin und daß die Lehre des Pythagoras den Töchtern des Amasis nicht fremd geblieben war. Endlich kannte er nicht den heißen Herzenswunsch dieses Mädchens, das Wohlgefallen ihres stolzen Gebieters zu erringen. Amasis selbst würde, obgleich er den samischen Weisen hoch verehrte, obgleich er manchem hellenischen Einflusse nachgab und mit Recht ein freidenkender Aegypter genannt werden konnte, eher sein Leben mit dem Tode, als seine vielgestaltigen Götter mit dem Begriffe »Gottheit« vertauscht haben.

      »Du bist eine gelehrige Schülerin,« sagte Krösus, seine Hand auf das Haupt seines Schützlings legend. »Zum Lohne dafür soll Dir gestattet sein, alle Morgen und Nachmittage, bis zum Sonnenuntergang, entweder Kassandane zu besuchen oder Atossa auf den hängenden Gärten zu empfangen.«

      Diese Freudenbotschaft wurde mit hellem Jubel von der jungen Perserin, mit einem dankbaren Blicke von der Ägypterin beantwortet.

      »Endlich,« fuhr Krösus fort, »habe ich euch Bälle und Reifenspiele aus Sais mitgebracht, damit ihr euch nach ägyptischer Weise ergötzen könnt.«

      »Sei unbesorgt,« lachte Krösus. »Die Bälle, welche wir meinen, sind gar fein und zierlich aus einer aufgeblasenen Fischhaut oder aus Leder verfertigt. Ein zweijähriges Kind kann sie werfen, während ihr schon Mühe haben würdet, eine jener Holzkugeln, mit denen die persischen Knaben und Jünglinge spielen, aufzuheben. Bist Du mit mir zufrieden, Nitetis?«

      »Wie soll ich Dir danken, mein Vater?«

      »Höre nur nochmals die Einteilung Deiner Tage: Am Morgen wird Kassandane besucht, mit Atossa geplaudert und auf die Lehren der hohen Mutter gelauscht.«

      Die Blinde nickte zustimmend mit dem Haupte.

      »Gegen Mittag komm’ ich zu Dir und unterrichte Dich, so manchmal von Ägypten und den Deinen redend, – Du hast doch nichts dagegen? – im Persischen.«

      Nitetis lächelte.

      »Einen Tag um den andern wird Dir Oropastes aufwarten, um Dich in die Religion der Perser einzuweihen.«

      »Ich werde mir alle Mühe geben, ihn schnell zu verstehen.«

      »Nachmittags wirst Du mit Atossa zusammen sein, so lange Du willst. Bist Du damit zufrieden?«

      »O Krösus!« rief das Mädchen und küßte die Hand des Greises.

      Drittes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Am folgenden Tage bezog Nitetis das Landhaus bei den hängenden Gärten und lebte dort einförmig, aber vergnügt und arbeitsam, nach der Vorschrift des Krösus. Alle Tage wurde sie in einer festverschlossenen Sänfte zu Kassandane und Atossa getragen.

      Die blinde Königin ward ihr bald zu einer liebenden und geliebten Mutter, und die lebenslustige, unbändige Tochter des Cyrus ersetzte der Aegypterin beinah’ ihre am fernen Nil zurückgebliebene Schwester Tachot. – Nitetis konnte sich keine bessere Gefährtin wünschen, als das übermüthige Kind, welches mit Scherz und Frohsinn zu verhindern wußte, daß sich Heimweh oder Unzufriedenheit in dem Herzen ihrer Freundin einnisteten. Der Ernst der Einen hellte sich durch die Heiterkeit der Anderen auf, und der Uebermuth der Perserin wurde durch das gleichmäßige edle und selbstbewußte Wesen der Aegypterin zu gemessener Fröhlichkeit.

      Krösus und Kassandane waren gleich zufrieden mit ihrer neuen Tochter und Schülerin. Oropastes, der Magier, lobte dem Kambyses täglich die Fähigkeiten und den Fleiß der Jungfrau; Nitetis erlernte die persische Sprache ungewöhnlich schnell und gut; der König ging nur zu seiner Mutter, wenn er die Ägypterin dort zu finden vermuthete, und beschenkte sie alle Tage mit köstlichen Schmucksachen und Kleidern. Die größte Gunst erzeigte er ihr dadurch, daß er sie niemals in ihrem Landhause bei den hängenden Gärten besuchte. Durch diese Handlungsweise bewies er, daß er gesonnen sei, Nitetis unter die geringe Zahl seiner angetrauten, rechtmäßigen Gemahlinnen aufzunehmen, eine Gunst, der sich manche Fürstentochter, welche in seinem Harem lebte, nicht rühmen konnte.

      Das schöne, ernste Mädchen übte auf den unbändigen, gewaltigen Mann einen seltsamen Zauber. Ihre bloße Gegenwart schien zu genügen, seinen starren Sinn zu schmelzen. Stundenlang sah er dem Reifenspiele zu und verwendete keinen Blick von den zierlichen Bewegungen der Aegypterin. Einmal, als ein Ball in’s Wasser geflogen war, sprang er ihm in seinen schweren, kostbaren Gewändern nach und rettete ihn. Nitetis schrie laut auf, als der König sich zu dieser unerwarteten ritterlichen That anschickte; Kambyses aber überreichte ihr lächelnd das triefende Spielzeug und sagte: »Nimm Dich in Acht, sonst muß ich Dich öfter erschrecken!« In demselben Augenblicke nahm er eine goldene mit Edelsteinen besetzte Kette von seinem Halse und schenkte sie dem erröthenden Mädchen, welches ihm mit einem Blicke dankte, der vollkommen aussprach, was ihr Herz für den künftigen Gatten empfand.

      Krösus, Kassandane und Atossa merkten sehr bald, daß Nitetis den König liebe. Aus ihrer Scheu vor dem übermächtigen, stolzen Manne war in der That eine glühende Leidenschaft erwachsen. Sie glaubte, seines Anblicks beraubt, sterben zu müssen. Sein Wesen erschien ihr so glänzend und allmächtig wie das der Gottheit, der Wunsch, ihn zu besitzen, übermüthig und frevelhaft, aber seine Befriedigung dennoch schöner als selbst die Rückkehr in die Heimath, als eine Wiedervereinigung mit Denen, welche sie bisher ausschließlich geliebt hatte.

      Sie war sich dieser Leidenschaft kaum selbst bewußt und versuchte den Gedanken festzuhalten, daß sie ihn nur fürchte und eh’ er komme, vor Angst und nicht vor Sehnsucht bebe. Krösus hatte sie bald durchschaut und ließ seinen Liebling hoch erröthen, als


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