Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.gegen alle Sitte, ja gegen die wegen seiner Kinderlosigkeit gebotene und oft besprochene Pflicht, ein vornehmes schönes Mädchen heimzuführen, warum wollte er Nitetis vor seiner Abreise zu den Tapuren noch einmal sehen, warum erröthete er, als er diese Bitte aussprach, warum hatte ihm die Aegypterin, fast ohne gefragt zu sein, so hohes Lob gezollt?
Es ist gut, daß er fortgeht, denn er soll mir nicht auch die Liebe dieses Weibes rauben, dachte der König. Wäre er nicht mein Bruder, so wollte ich ihn dahin schicken, von wannen keine Wiederkehr ist!
Nach Mitternacht hob er das Gelage auf. Boges, der Eunuchenoberst, erschien, um ihn in das Weiberhaus zu führen, wohin er sich zu dieser Stunde, wenn seine Trunkenheit ihn nicht hinderte, zu begeben pflegte.
»Phädime erwartet Dich mit Ungeduld,« sagte der Verschnittene.
»Laß sie warten!« antwortete der König. »Hast Du für die Herstellung des Schlosses auf den hängenden Gärten gesorgt?«
»Man wird es morgen beziehen können.«
»Welche Gemächer sind der Aegypterin angewiesen worden?«
»Die frühere Wohnung der zweiten Gemahlin Deines Vaters Cyrus, der in den Tod gerufenen Amytis.«
»Es ist gut. Nitetis soll mit der höchsten Ehrfurcht behandelt werden; Du selbst hast ihr keine anderen Befehle, als diejenigen, welche ich Dir für sie auftrage, zu ertheilen.«
Boges verneigte sich.
»Habe Acht, daß niemand, selbst Krösus nicht, mit ihr rede, bevor mein . . . bevor ich Dir anders lautende Befehle gebe.«
»Krösus war heut Abend bei ihr.«
»Was wollte er von meiner Gattin?«
»Ich weiß nicht, denn ich verstehe kein Griechisch; doch hörte ich den Namen Bartja mehrmals wiederholen und glaube, daß die Aegypterin eine schlimme Nachricht erhalten hat. Sie sah sehr traurig aus, als ich mich, nachdem Krösus sie verlassen hatte, nach ihren Befehlen erkundigte.«
»Angramainjus verderbe Deine Zunge,« murmelte der König, dem Eunuchen den Rücken kehrend und den Fackelträgern und Auskleidern folgend, welche ihn in seine Gemächer begleiteten.
Um die Mittagszeit des folgenden Tages ritt Bartja mit seinen Freunden und einem großen Dienertrosse der tapurischen Grenze entgegen. Krösus begleitete die jungen Helden bis an die Thore von Babylon. Vor der letzten Umarmung flüsterte Bartja seinem greisen Freunde zu: »Sollte der Bote aus Aegypten auch für mich ein Schreiben in seinem Felleisen haben, so sende es mir nach.«
»Wirst Du die griechischen Schriftzüge lesen können?«
»Gyges und Eros werden mir helfen!«
»Nitetis, der ich von Deiner Abreise erzählt habe, läßt Dich grüßen und Dir sagen, Du möchtest nicht die ägyptischen Freunde vergessen.«
»Gewiß nicht!«
»So mögen die Götter Dich behüten, mein Sohn. Sei milde wie Dein Vater gegen die Aufrührer, welche sich nicht aus Uebermuth, sondern für den schönsten Besitz des Menschen, die Freiheit, erhoben haben. Bedenke auch, daß Wohlthaten zu erweisen besser ist als Blut zu vergießen, denn das Schwert tödtet, aber die Güte und Milde des Herrschers macht die Menschen glücklich. Beende den Krieg, so bald Du kannst, denn er verkehrt die Natur; im Frieden überleben ja die Söhne ihre Väter, im Kriege die Väter ihre Söhne. Lebt wohl, ihr jungen Helden, und seid siegreich!«
Zweites Kapitel
Kambyses hatte eine schlaflose Nacht. Das ihm neue Gefühl der Eifersucht steigerte sein Verlangen nach der Aegypterin, welche er noch nicht seine Gattin nennen durfte, denn das persische Gesetz schrieb vor, daß der König erst dann eine Fremde heimführen dürfe290, wenn sie sich mit den iranischen Gebräuchen vertraut gemacht und zu der Religion des Zoroaster bekannt habe294.
Dem Gesetze nach hätte Nitetis eines vollen Jahres bedurft, ehe sie das Weib eines persischen Fürsten werden durfte; was war aber dem Kambyses das Gesetz? Er erblickte die Verkörperung desselben in seiner eignen Person, und meinte, für Nitetis würden drei Monate genügen, um alle Lehren der Magier verstehen und ihre Hochzeit mit ihm feiern zu können.
Seine andern Weiber erschienen ihm heute hassenswerth, ja sogar Ekel erregend. Schon in seiner frühesten Jugend hatte man sein Haus mit Frauen angefüllt. Schöne Mädchen aus allen Theilen Asiens, schwarzäugige Armenierinnen, blendend weiße Jungfrauen vom Kaukasus, zarte Dirnen vom Ufer der Ganga, üppige Babylonierinnen, goldhaarige Perserinnen und die weichlichen Töchter der medischen Ebene gehörten ihm; ja mehrere Kinder der edelsten Achämeniden hatten dem Königssohne als rechte Gattinnen die Hand gereicht.
Phädime, die Tochter des edlen Otanes, die Nichte seiner Mutter Kassandane, war bis dahin sein Lieblingsweib, oder vielmehr die Einzige gewesen, von der man denken konnte, sie stände seinem Herzen näher als eine erkaufte Sklavin. Aber auch diese schien dem Ueberdrusse und der Uebersättigung des Königs, zumal wenn er an Nitetis gedachte, gemein und verächtlich.
Die Aegypterin schien ihm aus edleren, würdigeren Stoffen gebildet zu sein, wie jene Alle. Diese waren schmeichlerische Dirnen, Nitetis eine Königin. Im Staube lagen die Andern zu seinen Füßen; dachte er an Nitetis, so sah er sie aufrecht stehend, eben so hoch, eben so stolz, wie sich selber. Sie sollte von jetzt an nicht nur Phädimes Stelle einnehmen; er wollte sie vielmehr so hoch erheben, wie einst sein Vater Cyrus seine Gattin Kassandane.
Sie allein konnte ihm mit Kenntnissen und Rath zur Seite stehen, während die Uebrigen, unwissend wie die Kinder, nur für Putz und Schmuck, für kleinliche Ränke und nichtige Tändeleien lebten. Die Aegypterin mußte ihn lieben, denn er war ihre Stütze, ihr Herr, ihr Vater und ihr Bruder in dem ihr fremden Lande.
»Sie muß,« sagte er sich, und sein Wille schien dem Tyrannen so gültig wie die schon vollbrachte That. »Bartja soll sich hüten,« murmelte er vor sich hin; »er wird erfahren, was den erwartet, welcher meine Wege zu kreuzen wagt!«
Auch Nitetis hatte eine unruhige Nacht.
In dem an ihre Gemächer grenzenden Versammlungssaale der Weiber sang, tobte und lärmte man bis gegen Mitternacht. Oftmals erkannte sie die kreischende Stimme des Boges, der mit seinen Untergebenen scherzte und lachte. Als es endlich in den weiten Hallen des Palastes ruhig war, mußte sie an die ferne Heimath und die arme Tachot denken, welche sich nach ihr und dem schönen Bartja sehnte, der, wie ihr Krösus erzählt hatte, morgen in den Krieg, vielleicht in den Tod ziehen sollte. Dann schlief sie, von der Ermüdung der Reise überwältigt und von ihrem Gatten träumend, ein. Sie sah ihn auf seinem schwarzen Hengste reitend. Das wüthende Thier scheute vor der am Wege liegenden Leiche des Bartja, warf den König ab und schleifte ihn in den Nil, welcher plötzlich mit blutrothen Wellen zu fließen begann. In ihrer Angst schrie sie nach Hülfe; ihr Ruf hallte von den Pyramiden wieder und wurde immer lauten und furchtbarer, bis sie von dem schrecklichen Echo erwachte.
Aber, was war das? Der klagende und schmetternde Ton, welchen sie im Traum vernommen, schlug auch jetzt an ihr wachendes Ohr.
Sie riß die Laden einer Fensteröffnung auf und schaute in’s Freie. Ein großer, prächtiger Garten mit Springquellen und langen Baumreihen breitete sich, von frischem Thaue benetzt, vor ihren Blicken aus295. Kein Laut, außer jenem seltsamen Tone, ließ sich vernehmen; aber auch dieser verhallte endlich im Morgenwinde. Nach kurzer Zeit hörte sie aus der Ferne Geschrei und Toben, dann erwachte das Treiben in der Riesenstadt, und bald vernahm sie nur noch ein dumpfes, den Wogen des Meeres ähnliches Brausen.
Die kühle Morgenluft hatte sie so vollkommen erweckt, daß sie sich nicht von Neuem niederlegen wollte.