Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.lange nicht gesehen, denn der König zeigte sich nach medischer Sitte nur selten in der Oeffentlichkeit. Unsichtbar wie die Gottheit sollte er regieren und sein Erscheinen unter dem Volke gleich einer Festfreude erwartet werden. So hatte sich denn auch heute ganz Babylon aufgemacht, um den gefürchteten Herrscher und den geliebten Heimkehrenden zu sehen und zu begrüßen. Alle Fenster waren von neugierigen Frauen besetzt, welche den Heranziehenden Blumen vor die Füße warfen und wohlriechende Essenzen auf sie hernieder gossen. Das ganze Pflaster war mit Myrthen und Palmenzweigen bestreut, grüne Bäume aller Arten standen vor den Thüren, Teppiche und Tücher hingen aus den Fenstern, Blumengewinde zogen sich von Haus zu Haus, Weihrauch und Sandeldüfte durchwehten die Luft, und in dichtem Gedränge standen zu beiden Seiten des Weges Tausende von gaffenden Babyloniern in weißen leinenen Hemden, bunten wollenen Röcken und kurzen Mäntelchen, lange Stäbe mit goldenen und silbernen Granatäpfeln, Vögeln oder Rosen in der Hand haltend278.
Sämmtliche Straßen, durch welche sich der Zug bewegte, waren breit und gerade; die von Backsteinen erbauten Häuser stattlich und hoch279. Sie alle überragte, überall sichtbar, der Riesentempel des Gottes Bel mit seiner ungeheuren Treppe, die sich außerhalb des runden, thurmartigen Baues, welcher aus Stockwerken bestand, von denen das höher gelegene immer kleiner war als dasjenige, auf dem es ruhte, in acht weit gedehnten Kreisen, gleich einer ungeheuren Schlange, bis an die Spitze, die das eigentliche Heiligthum trug, hinauf wand280.
Jetzt näherte sich der Zug der Burg des Königs281, deren Größenverhältnisse der Ungeheuerlichkeit der ganzen Anlage der Stadt entsprachen. Die Mauern, die den Palast umzogen, waren mit bunt glasirten Bildwerken überdeckt, welche seltsame Mischgestalten von Menschen, Vögeln, Säugethieren und Fischen, Jagden, Kriegsscenen und feierliche Aufzüge darstellten. Gegen Norden, dem Strome entlang, erhoben sich die hängenden Gärten282; nach Osten hin lag auf dem anderen Ufer des Euphrat die zweite kleinere Königsburg, welche mit der ersteren durch den Wunderbau einer festen Steinbrücke verbunden war.
Der Zug bewegte sich durch die ehernen Thore der drei den Palast umgebenden Mauern. Die Pferde der Nitetis standen still, Schemelträger halfen ihr aus dem Wagen. Sie befand sich in ihrer neuen Heimath und bald darauf in den ihr zur einstweiligen Wohnung angewiesenen Räumen des Weiberhauses.
Kambyses, Bartja und die uns bekannten Freunde standen noch, von hundert glänzenden Würdenträgern umgeben, in dem mit bunten Teppichen belegten Schloßhofe, als man laute Weiberstimmen vernahm und eine wunderschöne junge Perserin, in kostbaren Kleidern, reiche Perlenschnüre in den vollen blonden Haaren tragend, von mehreren älteren Frauen verfolgt, in den Hof und den Männern entgegen stürzte.
Kambyses stellte sich der Ungestümen lächelnd in den Weg; das Mädchen aber schlüpfte mit einer geschickten Wendung an ihm vorbei und hing einen Augenblick später, bald lachend, bald weinend an Bartja’s Halse.
Die verfolgenden Frauen warfen sich in ehrerbietiger Entfernung auf die Erde nieder; Kambyses aber rief, als das Mädchen den Heimgekehrten mit immer neuen Liebkosungen überhäufte: »Schäme Dich, Atossa! Bedenke, daß Du, seitdem Du die Ohrringe trägst283, aufgehört hast, ein Kind zu sein. Ich habe nichts dagegen, wenn Du Freude über die Heimkehr Deines Bruders empfindest, aber selbst in der Freude darf eine königliche Jungfrau der Schicklichkeit nicht vergessen. Mach’, daß Du zu der Mutter zurückkommst! Dort drüben seh’ ich Deine Wärterinnen. Geh’ und sage ihnen, ich wolle Dich an diesem Freudentage straflos lassen! Drängst Du Dich zum Zweitenmale in diese, jedem Unberufenen verschlossenen Räume, so lass’ ich Dich von Boges zwölf Tage lang einsperren. Merke Dir das, Du Wildfang, und sage der Mutter, ich würde sie gleich mit Bartja besuchen. Gib mir einen Kuß! Du willst nicht? Warte, Trotzkopf!«
Bei diesen Worten sprang der König auf das Mädchen zu, hielt ihre Hände mit seiner Linken so fest zusammen, daß sie laut aufschrie, bog mit der Rechten das reizende Köpfchen zurück und küßte die widerstrebende Schwester, welche nun weinend ihren Wärterinnen entgegen und in ihre Wohnung zurücklief.
Als Atossa verschwuren war, sagte Bartja: »Du hast die arme Kleine zu hart angefaßt, Kambyses; sie schrie vor Schmerz!«
Des Königs Angesicht verfinsterte sich; er hielt aber die barsche Antwort, welche auf seinen Lippen schwebte, zurück und sagte, sich dem Hause zuwendend: »Komm jetzt zur Mutter; sie hat mich gebeten, Dich zu ihr zu führen, sobald Du anlangen solltest. Die Weiber können Dich wie gewöhnlich nicht erwarten! Nitetis sagte mir, Du habest auch die Aegypterinnen mit Deinen blenden Locken und rosigen Wangen bezaubert. Bete bei Zeiten zu Mithra284, daß er Dir ewige Jugend verleihe und Dich vor den Runzeln des Alters bewahre!«
»Willst Du mit diesen Worten sagen,« fragte Bartja, »daß ich keine Tugend besäße, welche auch dem Alter zur Zierde gereicht?«
»Ich erkläre niemanden meine Worte. Komm!«
»Ich aber werde Dich um eine Gelegenheit bitten, Dir zu beweisen, daß ich keinem Perser an männlichen Tugenden nachstehe.«
»Das Jubelgeschrei der Babylonier konnte Dir sagen, daß Du nicht der Thaten bedarfst, um Anerkennung zu finden.«
»Kambyses!«
»Komm jetzt! Der Krieg mit den Massageten steht vor der Thür. Da wirst Du Gelegenheit haben, zu zeigen, was Du kannst und bist!«
Wenige Minuten später lag Bartja in den Armen seiner blinden Mutter, welche klopfenden Herzens dem sehnsüchtig erwarteten Lieblinge entgegenharrte. Jetzt, da sie endlich seine Stimme vernahm und mit ihren Händen das theure Haupt befühlte, vergaß sie alles Andere und beachtete, indem sie sich des Heimgekehrten freute, selbst nicht ihren erstgeborenen Sohn, den allgewaltigen König, welcher bitter lächelnd zusah, wie sich ein voller Strom von Mutterliebe auf seinen jüngeren Bruder schrankenlos ergoß.
Von der ersten Kindheit des Kambyses an hatte man jeden seiner Wünsche erfüllt, jeder Wink seiner Augen war gleich einem Befehle gewesen; darum konnte er keinen Widerspruch ertragen und überließ sich seinem jäh aufbrausenden Zorne, wenn einer seiner Unterthanen, und er kannte keine andern Menschen als solche, sich ihm zu widersprechen erkühnte. Cyrus, sein Vater, der mächtige Eroberer der halben Welt, dessen großer Geist das kleine Volk der Perser auf den Gipfel irdischer Größe gehoben und es verstanden hatte, sich die Ehrfurcht zahlloser unterjochter Stämme zu erwerben, dieser Cyrus verstand es nicht, in dem kleinen Kreise seiner Familie jenes Erziehungswerk auszuüben, welches ihm großen Staaten gegenüber so wunderbar gelungen285 war. – Er sah schon in dem Knaben Kambyses den zukünftigen König, befahl seinen Unterthanen, dem Kinde blindlings zu gehorchen, und vergaß, daß, wer befehlen will, zuerst das Dienen erlernen müsse.
Die Gattin seines Herzens und seiner Jugend, Kassandane, hatte ihm erst Kambyses, dann drei Töchter und endlich nach fünfzehn Jahren Bartja geschenkt. Der erstgeborne Sohn hatte sich längst den elterlichen Liebkosungen entzogen, als der jüngere Knabe zur Welt kam, um alle Sorgfalt und alle Pflege des zarten Kindesalters für sich allein in Anspruch zu nehmen. Der wunderholde, warmherzige, sich anschmiegende Nachkömmling ward der Augapfel beider Eltern; ihm schenkten sie die warme Gabe der Liebe, während sich Kambyses nur sorgsamer Rücksichten von Vater und Mutter zu erfreuen hatte. Der Erbe des Thrones zeichnete sich in manchem Kriege durch Muth und Tapferkeit aus; aber sein befehlshaberisches, stolzes Wesen erwarb ihm zitternde Knechte, während der leutselige, gemüthsvolle Bartja seine Genossen zu gleicher Zeit liebe Freunde nennen durfte. Das Volk endlich fürchtete Kambyses, und zitterte, wenn er nahte, trotz der reichen Geschenke, welche er verschwenderisch auszustreuen gewohnt war, während es den freundlichen Bartja liebte, in dem