Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.die Geschichte ihrer Liebe.
Rhodopis erbleichte.
»Verlaß uns!« herrschte sie der Sklavin zu. Dann stellte sie sich vor ihre Enkelin, legte die Hände auf ihre Schultern und sprach: »Sieh mir in die Augen, Sappho! Kannst Du mich noch ansehen, eben so heiter, eben so kindlich rein, als vor der Ankunft jenes Persers?«
Das Mädchen schaute lächelnd und freudig zu der Großmutter empor; da zog sie Rhodopis an ihre Brust, küßte sie und sprach: »Seit Du die Kinderschuhe ausgezogen hast, war ich bestrebt, Dich zu einer würdigen Jungfrau zu machen und Dich vor der Liebe zu bewahren. Ich wollte Dir bald einen passenden Gatten erwählen und Dich ihm nach hellenischer Sitte247 zum Weibe geben; aber die Götter haben es anders gewollt. Eros spottet aller Schranken, welche Menschenhände ihm entgegenzustellen vermögen; das heiße äolische248 Blut in Deinen Adern hat Liebe gefordert, das stürmische Herz Deiner lesbischen Ahnen klopft auch in Deiner Brust. Das Geschehene ist nicht zu ändern. Bewahre denn die Freudenstunden dieser Deiner reinen ersten Liebe wie ein kostbares Eigenthum in dem Hause Deiner Erinnerung, denn die Gegenwart eines jeden Menschen wird früher oder später so arm und öde, daß er solcher Erinnerungsschätze bedarf, um nicht zu verschmachten. Gedenke des schönen Knaben in der Stille, sage ihm Lebewohl, wenn er in seine Heimath zurückkehrt, aber hüte Dich auf ein Wiedersehen zu hoffen. Der Sinn der Perser ist leicht und wankelmüthig; alles Neue reizt ihn, alles Fremde nimmt er auf mit offenen Armen249. Dein anmuthiges Wesen hat dem Königssohne wohl gefallen. Jetzt glüht er für Dich, aber er ist jung und schön, von allen Seiten umworben und ein Perser. Gib Du ihn auf, damit er Dich nicht aufgebe!«
»Wie sollt’ ich, Großmutter! Hab’ ich ihm nicht Treue für die Ewigkeit geschworen?«
»Ihr Kinder spielt mit dieser Ewigkeit, als sei sie ein Augenblick! Was Deinen Schwur betrifft, so tadle ich ihn; aber ich freue mich, daß Du an ihm festhältst, denn ich verabscheue jenes frevelnde Sprichwort, welches lehrt, Zeus höre nicht die Schwüre der Liebenden. Warum sollte die Gottheit den in Beziehung auf das Heiligste im Menschen geleisteten Eid geringer achten, als eine Betheuerung, welche kleinliche Fragen des Mein und Dein betrifft? Halte denn, was Du versprochen, vergiß niemals Deiner Liebe, gewöhne Dich aber an den Gedanken, der Person des Geliebten entsagen zu müssen.«
»Niemals, Großmutter! Wäre denn Bartja mein Freund geworden, wenn ich ihm nicht vertrauen könnte? Gerade, weil er ein Perser ist, der die Wahrhaftigkeit seine schönste Tugend nennt, darf ich zuversichtlich hoffen, daß er seines Schwures gedenken und mich, trotz der Unsitte der Asiaten, zu seinem einzigen Weibe machen werde.«
»Und wenn er seines Schwures vergißt, so wirst Du Deine Jugend elend vertrauern und mit vergiftetem Herzen . . .«
»O gute, liebe Großmutter, höre auf, so schreckliche Dinge zu reden! Wenn Du ihn kennen würdest, wie ich ihn kenne, so müßtest Du mit mir jauchzen und mir zugeben, daß wohl der Nil versiegen und die Pyramiden einstürzen mögen, mein Bartja aber mich nicht betrügen kann!«
Das Mädchen sprach diese Worte mit so freudiger Zuversicht, mit so überzeugender Gewißheit, und ihre dunklen, von Thränen erfüllten Augen glänzten dabei so warm und selig, daß auch das Antlitz der Greisin wieder freundlich wurde.
Sappho schlang nun noch einmal ihre Arme um den Hals der Großmutter, erzählte ihr jedes Wort, welches der Geliebte zu ihr gesprochen hatte, und endete ihre lange Rede mit dem Ausrufe: »O Großmutter, ich bin so glücklich, so glücklich! Und wenn Du nun gar mit uns nach Persien kommst, dann hab’ ich nichts mehr von den Unsterblichen zu erbitten.«
»Nur zu bald werden sich Deine Arme wieder nach ihnen ausstrecken,« seufzte Rhodopis. »Nur mit neidischem Blick betrachten sie das Glück der Sterblichen und wägen uns das Schlimme mit verschwenderischen, das Gute mit kargen Händen zu. Geh jetzt in’s Bett, mein Kind, und bete mit mir, daß dies Alles ein glückliches Ende nehmen möge. Einem Kinde habe ich meinen Morgengruß gebracht, einer Jungfrau sage ich gute Nacht; mögest Du mir als Gattin eben so freudig Deinen Mund zum Kusse bieten, als eben jetzt. – Morgen will ich euretwegen mit Krösus reden. Von seinen Ausspruche wird es abhängen, ob ich Dir gestatten kann, die Rückkehr des Persers zu erwarten, oder ob ich Dich beschwören muß, den Königssohn zu vergessen, um bald die Hausfrau eines Hellenen meiner Wahl zu werden. Schlafe wohl, mein Liebling, schlummre ruhig; Deine alte Großmutter wacht für Dich!«
Sappho entschlief von seligen Träumen eingewiegt; Rhodopis aber schaute mit offenen Augen bald lächelnd, bald bedenklich die Stirn runzelnd, in die aufgehende Sonne und den lichten Tag.
Am folgenden Morgen ließ Rhodopis Krösus ersuchen, ihr eine Stunde zu schenken.
Sie erzählte dem Greise ohne Umschweif, was sie von Sappho erfahren hatte, und schloß ihre Rede mit den Worten: »Ich weiß nicht, welche Ansprüche die Perser an die Gattin eines Fürsten machen; kann Dir aber sagen, daß mir Sappho des ersten aller Könige würdig zu sein scheint. Sie stammt von einem edlen freien Vater, und ich habe gehört, daß nach euren Gesetzen ganz allein der Vater die Herkunft des Kindes bestimmt. Auch in Aegypten genießen die Nachkommen der Sklavin gleiche Rechte mit denen der Fürstentochter, wenn beide demselben Erzeuger250 ihr Dasein verdanken.«
»Ich habe Dir schweigend zugehört,« antworte Krösus, »und muß Dir sagen, daß ich ebensowenig wie Du in diesem Augenblicke weiß, ob ich mich freuen darf, oder ob ich diese Liebe beklagen soll. – Kambyses und Kassandane, die Mutter Bartja’s und des Königs, wünschten schon vor unserer Abreise den Prinzen zu verheirathen. Der König selbst erfreut sich bis heute keiner Nachkommen. Sollte er kinderlos bleiben, so beruht die einzige Hoffnung auf die Fortpflanzung des Geschlechts seines Vaters Cyrus auf Bartja, denn der große Gründer der persischen Macht rühmte sich nur zweier Söhne, des Kambyses und des Freundes Deiner Enkelin. – Dieser Letztere ist der Stolz aller Perser, der Liebling des ganzen Hofes und Landes, die Hoffnung aller Würdenträger und Unterthanen. Er ist eben so schön als edel, eben so tugendhaft als liebenswerth. – Wohl verlangt man von den Königssöhnen, daß sie sich mit Weibern aus ihrem, dem Geschlechte der Achämeniden, vermählen, aber die Perser haben eine unbegrenzte Vorliebe für alles Fremde und würden, von der Schönheit Deiner Enkelin entzückt, von Bartja’s Liebe zu ihr nachsichtig gemacht, gar bald den Verstoß gegen die alte Sitte vergeben, zumal jedwede That, welche der König gut heißt, keinen Einwand der Unterthanen zuläßt. Auch liefert die iranische Geschichte Beispiele genug, daß selbst Sklavinnen Könige zeugten251. Die Mutter des Herrschers, welche in beinah’ eben so hohem Ansehen steht, als dieser selbst, wird dem Glücke ihres jüngsten und Lieblingssohnes nichts in den Weg legen. Wenn sie sieht, daß Bartja nicht von Sappho ablassen will, wenn sie bemerkt, daß das lachende Antlitz des angebeteten Ebenbildes ihres großen verstorbenen Gatten sich verfinstert, dann würde sie ihm, um ihn wieder fröhlich zu machen, selbst nicht verweigern, eine Scythin heimzuführen. Auch Kambyses wird, wenn die Mutter zur rechten Stunde in ihn dringt, seine Einwilligung nicht versagen.«
»Nun so wären ja alle Schwierigkeiten beseitigt,« rief Rhodopis voller Freude.
»Nicht die Vermählung, sondern die Zeit nach derselben macht mir Sorge.«
»Meinst Du, daß Bartja –«
»Von seiner Seite fürchte ich nichts. Er hat ein reines Herz und ist der Liebe so lange fremd geblieben, daß er, nun sie ihn einmal überwältigt hat, warm und dauernd lieben wird.«
»Aber –«
»Aber Du mußt bedenken, daß, wenn auch alle Männer die anmuthige Gattin ihres Lieblings jubelnd empfangen sollten, tausend Weiber in den Frauengemächern persischer Großen müßig verweilen, welche sich’s zum Geschäfte machen werden, der jungen Emporgekommenen mit Ränken und Schlichen aller Art zu schaden, deren höchste Freude es sein wird, das unerfahrene