Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.Sieben Wochen später bewegte sich auf der großen Königsstraße256, welche aus dem Westen nach Babylon führte, ein langer Zug von Wagen und Reitern verschiedener Art der schon in weiter Ferne sichtbaren Riesenstadt entgegen.
Unter dem von hölzernen Säulen getragenen Dache eines über und über vergoldeten, vierräderigen, mit Goldbrocat gepolsterten Fuhrwerks, dessen Seiten durch Gardinen verschlossen werden konnten, der sogenannten Harmamaxa257, saß Nitetis, die ägyptische Königstochter.
Zur Seite ihres Wagens ritten ihre Begleiter, die uns bekannten persischen Edlen und der entthronte König von Lydien mit seinem Sohne.
Fünfzig andere Fuhrwerke und sechshundert Saumthiere folgten ihnen, während eine Abtheilung persischer Soldaten auf prächtigen Pferden dem Zuge voraufritt.
Die Straße führte dem Euphrat entlang durch üppige Waizen-, Gersten- und Sesamfelder258, welche zweihundert-, ja manchmal dreihundertfältige Frucht trugen. Schlanke Dattelpalmen mit schweren Fruchtbüscheln standen überall auf den Aeckern, die nach allen Seiten hin von wohlgehaltenen Wassergräben und Kanälen durchschnitten wurden259. – Trotz der Winterzeit schien die Sonne warm und hell vom wolkenlosen Himmel. Der gewaltige Strom wimmelte von größeren und kleineren Kähnen, welche die Erzeugnisse des armenischen Hochlandes der mesopotamischen Ebene zuführten und die meisten Waaren, welche von Griechenland und Kleinasien kamen, von Thapsakus260 aus nach Babylon beförderte. Pumpwerke und Wasserräder gossen erfrischendes Naß auf die Aecker und Pflanzungen an den Ufern, welche mit zahlreichen Dörfern geschmückt waren. Alles ließ erkennen, daß man sich dem Mittelpunkte eines alten, sorglich verwalteten Culturstaates näherte.
Bei einem langen, mit schwarzem Erdpech261 überzogenen Backsteinhause, an dessen Seiten sich eine Platanenpflanzung erhob, hielt der Wagen und das Gefolge der Nitetis. Krösus ließ sich von seinem Rosse heben, näherte sich dem Fuhrwerke, welches die ägyptische Königstochter trug, und rief ihr zu: »Hier wären wir bei dem letzten Stationshause angelangt! Dort drüben, der hohe Thurm, welcher sich am Horizont abzeichnet, ist der berühmte Tempel der Bel, neben euren Pyramiden eines der ungeheuersten Werke von Menschenhand. Bevor die Sonne untergeht, werden wir bei den ehernen Pforten von Babylon eintreffen. Gestatte mir, daß ich Dich aus dem Wagen hebe und Deine Dienerinnen zu Dir in’s Haus sende. Du mußt Dich heute nach persischer Fürstinnen Art kleiden lassen, damit Du den Augen des Kambyses wohlgefallest. In wenigen Stunden wirst Du vor Deinem Gatten stehen. Wie bleich Du bist! Sorge dafür, daß Dir Deine Frauen mit täuschender Schminke freudige Erregung auf die Wangen malen. Der erste ist oft der entscheidende Eindruck. Diese alte Erfahrung gilt bei Niemanden mehr, wie bei Deinem künftigen Gatten. Wenn Du ihm, woran ich nicht zweifle, bei der ersten Begegnung wohlgefällst, so kannst Du sein Herz für immer gewonnen haben; solltest Du ihm heute mißfallen, so wird er Dich, nach seiner schroffen Art, kaum wieder eines freundlichen Blickes würdigen. Muth, meine Tochter, Muth! vor allen Dingen beherzige wohl jene Lehren, welche ich Dir gegeben habe!«
Nitetis trocknete eine Thräne und erwiederte: »Wie soll ich Dir für all’ Deine Güte danken, Krösus, mein zweiter Vater, mein Beschützer und Rathgeber! O, verlaß mich auch später nicht! Bleibe, wie auf dieser langen Reise über gefahrvolle Gebirgspässe, mein Wegweiser und Beschützer, wenn die Bahn meines armen Lebens über Gram und Sorge führt. Dank, mein Vater, tausend Dank!«
Bei diesen Worten schlang die Jungfrau ihre vollen Arme um den Hals des Greises und küßte seinen Mund, gleich einer zärtlichen Tochter.
Als sie den Hof des dunklen Hauses betrat, kam ihr ein Mann, dem eine Schaar von asiatischen Dienerinnen folgte, entgegen. Ersterer, der Oberste der Eunuchen262, einer der vornehmsten persischen Hofbeamten, war groß und wohlbeleibt. Sein bartloses Angesicht lächelte süßlich, in seinen Ohren schwenkten sich kostbare Gehänge, seine Arme und Beine, sein Hals und seine weibisch langen Gewänder waren mit goldenen Ketten und Ringen überdeckt und seine steifen gebrannten Locken, welche eine purpurne Binde umwand, strömten durchdringend scharfe Wohlgerüche aus.
Ehrerbietig verneigte sich Boges (so hieß der Eunuch) vor der Ägypterin und sprach, seine fleischige mit Ringen überladene Hand vor den Mund haltend: »Kambyses, der Herrscher der Welt, sendet mich Dir entgegen, o Königin, damit ich Dein Herz mit dem Thau seiner Grüße erfrische. Er schickt Dir ferner durch mich, seinen ärmsten Knecht, die Gewänder der Perserinnen, damit Du, wie es der Gattin des größesten aller Herrscher ziemt, in medischen Kleidern der Pforte der Achämeniden nahen mögest. Diese Weiber, Deine Dienerinnen, warten Deiner Befehle. Aus einem ägyptischen Smaragd werden sie Dich in einen persischen Diamanten verwandeln.« – Boges trat zurück und gestattete mit einem herablassenden Winke dem Wirth der Herberge, der Fürstin, als sein Gastgeschenk, einen höchst geschmackvoll geordneten Korb voller Früchte zu überreichen263.
Nitetis dankte beiden Männern mit freundlichen Worten, trat in das Haus, legte unter Thränen den Schmuck ihrer Heimath ab, und ließ die volle Flechte an ihrer linken Seite, das Zeichen ägyptischer Fürstentöchter264, auflösen, um sich nach medischer Weise von fremden Händen ankleiden zu lassen.
Ihre Begleiter befahlen unterdessen, eine Mahlzeit aufzutragen. Hurtige Diener holten Stühle, Tische und goldenes Geräth von den Wagen, die Köche tummelten sich, und Einer war dem Andern so schnell und willig zur Hand, daß gar bald eine köstlich geschmückte Tafel, auf welcher nicht einmal die Blumen fehlten, wie durch Zauberei, die hungrigen Reisenden erwarten konnte.
In gleicher Ueppigkeit war auf der ganzen weiten Fahrt gelebt worden, denn auf den den fürstlichen Wanderern folgenden Saumrossen fand sich jede nur denkbare Bequemlichkeit, vom wasserdichten, golddurchwirkten Zelte an bis zum silbernen Fußschemel; und in den die Reisenden begleitenden Wagen saßen, neben Bäckern, Köchen, Schenken und Vorschneidern, Salbenreiber, Kranzwinder und Haarkräusler.
Außerdem befand sich an der Landstraße nach jeder vierten Meile ein gut eingerichtetes Fremdenhaus. Hier wurden die unterwegs gefallenen Pferde ersetzt, hier gewährten schattige Baumpflanzungen gastlich Zuflucht vor der Hitze des Mittags, und auf dem Gebirge fand man in diesen Herbergen an warmen Herden Schutz vor Schnee und Kälte.
Die persischen Fremdenhäuser, welche unseren Poststationen ähnlich waren, dankten ihre Entstehung und Verschönerung dem großen Cyrus, welcher durch wohlgehaltene Straßen die ungeheuren Entfernungen seines Weltreiches abzukürzen suchte. – Derselbe hatte auch einen regelmäßigen Postbotendienst eingerichtet. Auf jeder Station fanden die Felleisenreiter einen zur Abreise fertigen Ersatzmann auf frischem Pferde, welcher, nachdem er die zu befördernden Briefe erhalten hatte, in Windeseile fortsprengte, um bei der nächsten Herberge sein Felleisen einem neuen bereitstehenden Boten zuzuwerfen. Diese Couriere hießen Angaren und wurden für die schnellsten Reiter auf der Welt gehalten265.
Als die Schmausenden, zu denen sich auch Boges, der Eunuch, gesellt hatte, von der Tafel aufstanden, öffnete sich von neuem die Thür des Stationshauses. Ein gedehntes »Ah!« ließ sich hören, denn vor den Persern stand Nitetis in der kostbaren medischen Hoftracht, von dem Bewußtsein ihrer siegreichen Schönheit stolz erhoben und dennoch mädchenhaft erröthend über das Staunen ihrer Freunde.
Unwillkürlich fielen die Diener, nach asiatischer