Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie - Georg Ebers


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      Als Nitetis die Schwelle dieses Gemaches überschritten hatte, trat der König auf sie zu und führte sie seiner Mutter entgegen. – Die Tochter des Amasis sank vor der ehrwürdigen Greisin auf die Kniee nieder und küßte ihre Hand mit wahrer Herzlichkeit.

      »Sei uns willkommen!« rief die Blinde, ihre tastende Hand auf das Haupt der Jungfrau legend. »Ich habe viel Gutes von Dir vernommen und hoffe eine liebe Tochter an Dir zu gewinnen.«

      Nitetis küßte abermals die zarte Hand der Königin und erwiederte mit leiser Stimme: »Wie dank’ ich Dir für diese Worte! O gestatte mir, Dich, die Gattin des Cyrus, Mutter zu nennen. Meine Zunge, welche diesen süßen Namen auszusprechen gewohnt war, zittert vor Wonne, da sie jetzt, seit langen Wachen zum Erstenmal, wieder rufen darf: ›Meine Mutter!‹ Ach, ich will mich mit aller Kraft bestreben, würdig zu werden Deiner Güte, aber halte auch Du, was mir Dein liebes Angesicht zu versprechen scheint; steh’ mir in diesem fremden Lande mit Rath und Lehre zur Seite, laß mich zu Deinen Füßen eine Zuflucht finden, wenn die Sehnsucht mich übermannt und mein Herz zu schwach wird, seinen Gram oder seine Wonne allein zu tragen; sei mir, in diesem einen Worte ist alles gesagt, sei, o sei meine Mutter!«

      Die Blinde fühlte warme Tropfen auf ihre Hand herniederfallen. Freundlich berührte sie mit den Lippen die Stirn der Weinenden und sagte. »Ich fühle Dir nach, was Du empfindest! Mein Herz wie meine Gemächer werden stets für Dich geöffnet sein, und wie ich Dich von ganzer Seele ›Tochter‹, so nenne Du mich mit vollem Zutrauen Deine Mutter! In wenigen Monden wirst Du die Gattin meines Sohnes werden, und später gewähren Dir die Götter vielleicht ein Geschenk, welches Dir die Mutter entbehrlich machen wird, weil Du die Mutterschaft in Dir selbst empfindest.«

      »Dazu gebe Auramazda seinen Segen!« rief Kambyses. »Ich freue mich, Mutter, daß meine Gattin auch Deinem Herzen wohlgefällt, und weiß, daß es ihr bei uns behagen wird, sobald sie nur erst unsere persischen Sitten und Gebräuche kennt. Wenn sie aufmerkt, so wird sie mir in vier Monaten angetraut werden können!«

      »Aber das Gesetz,« wollte die Mutter erwiedern.

      »Ich befehle, in vier Monaten!« rief der König, »und möchte Denjenigen sehen, welcher Einsprache dagegen erheben dürfte! Lebt jetzt wohl, ihr Frauen! Hab’ Acht auf die Augen der Königin, Nebenchari, und wenn meine Gattin es gestattet, so magst Du, als ihr Landsmann, sie morgen besuchen. Lebt wohl! Bartja läßt grüßen. Er ist auf dem Wege zu den Tapuren.«

      Atossa wischte sich schweigend eine Thräne aus den Augen; Kassandane aber sagte: »Du hättest uns den Knaben einige Monde wenigstens lassen können. Dein Feldherr Megabyzus wird daß kleine Volk der Tapuren auch ohne ihn zu züchtigen wissen.«

      »Daran zweifle ich nicht,« antwortete der König; »Bartja sehnte sich aber selbst nach einer ersten Gelegenheit, sich im Kriege bewähren zu können; so schickte ich ihn denn in’s Feld.«

      »Würde er nicht gern bis zum großen Massagetenkriege, in welchem höherer Ruhm zu gewinnen sein wird, gewartet haben?« fragte die Blinde.

      »Und wenn er von einem tapurischen Pfeile getroffen wird,« rief Atossa, »dann hast Du ihn der heiligsten Pflicht eines Menschen beraubt, dann hast Du ihn verhindert, die Seele unseres Vaters zu rächen!«

      »Schweig,« herrschte Kambyses seine Schwester an, »damit ich Dich nicht lehre, was Weibern und Kindern ziemt. Das Glückskind Bartja wird am Leben bleiben und sich hoffentlich jene Liebe verdienen, welche man ihm jetzt viel zu freigebig als Almosen in den Schooß wirft.«

      »Wie magst Du also reden? Schmückt Deinen Bruder nicht jede Tugend des Mannes? Ist es seine Schuld, daß er noch keine Gelegenheit hatte, sich gleich Dir im Kampfe hervorzuthun?« fragte Kassandane. »Du bist der König, dessen Befehl ich achte; meinen Sohn möchte ich aber tadeln, weil er seine blinde Mutter, ich weiß nicht aus welchem Grunde, der schönsten Freude ihres Alters beraubt. Bartja wäre gern bis zum Massagetenkriege bei uns geblieben; doch Deinem Eigenwillen gefiel es anders . . .«

      »Und was ich will ist gut!« unterbrach Kambyses, dessen Wangen blaß geworden waren, seine Mutter. »Ich will von dieser Angelegenheit nie wieder reden hören!«

      Mit diesen Worten verließ er jählings das Zimmer und begab sich, von seinem großen Gefolge, welches ihn, wohin er auch gehen mochte, nicht verließ, begleitet, in den Empfangssaal.

      Schon vor einer Stunde hatte Kambyses das Gemach seiner Mutter verlassen, und noch immer saß Nitetis neben der lieblichen Atossa zu Füßen der Greisin.

      Die Perserinnen lauschten den Erzählungen der neuen Freundin und wurden nicht müde, sich nach den Merkwürdigkeiten Aegyptens zu erkundigen.

      »O wie gern möcht’ ich Deine Heimath besuchen!« rief Atossa. »Euer Aegypten muß ganz, ganz anders sein, als Persien und Alles, was ich bisher gesehen habe. Die fruchtbaren Ufer des ungeheuren Stromes, der noch größer ist als unser Euphrat, die Götterhäuser mit den vielen bunten Säulen, die künstlichen Berge der Pyramiden, in denen uralte Könige begraben liegen, das Alles muß einen köstlichen Anblick gewähren! Am schönsten aber denke ich mir eure Gastmähler, bei denen Männer und Frauen mit einander verkehren, wie sie wollen. Wir Perserinnen dürfen auch am Neujahrs- und am Geburtstagsfeste des Königs in Gesellschaft der Männer schmausen, aber das Reden ist uns dann verboten, ja es wäre sogar unschicklich, wenn wir die Augen aufschlagen wollten. Wie anders ist es bei euch! Beim Mithra, Mutter, ich möchte eine Aegypterin werden, denn wir Armen sind ja nichts als elende Sklavinnen, und ich fühle doch, daß auch ich ein Kind des großen Cyrus und nicht schlechter bin wie ein Mann. Rede ich nicht die Wahrheit, kann ich nicht befehlen und gehorchen, sehne ich mich nicht nach Ruhm, könnt’ ich nicht reiten, den Bogen spannen, fechten und schwimmen lernen, wenn man mich nur üben und kräftigen wollte?«

      Das Mädchen war mit flammenden Augen von ihrem Sitze aufgesprungen und schwang ihre Spindel, ohne zu beachten, daß der Flachs sich verwirrte und der Faden riß.

      »Bedenke, was sich ziemt,« mahnte Kassandane. »Das Weib soll sich in Demuth ihrem stilleren Geschicke unterwerfen und nicht nach den Thaten des Mannes streben.«

      »Aber es gibt doch Weiber, welche gleich den Männern leben,« rief Atossa. »Am Thermodon in Themiscyra und am Irisstrom zu Komana wohnen jene Amazonen, die große Kriege geführt haben und noch heut im Waffenschmucke der Männer einhergehen.«

      »Von wem weißt Du das?«

      »Meine Wärterin, die alte Stephanion ans Sinope, welche der Vater als Kriegsgefangene nach Pasargadae brachte, hat es mir erzählt.«

      »Aber dann sind sie ja Lügner!« rief das enttäuschte Kind.

      »Freilich,« erwiederte Nitetis, »ist den Hellenen die Wahrheit nicht so heilig, als euch; solche Mähren zu erfinden und staunenden Hörern in schönen, nach fein ersonnenen Maßen geordneten Worten vorzusingen, nennen sie aber nicht ›Lügen‹, sondern ›Dichten‹.«

      »Gerade wie bei uns,« sagte Kassandane. »Haben doch die Sänger, welche den Ruhm meines Gatten preisen, die Jugendgeschichte des Cyrus ganz wunderbar verkehrt und ausgeschmückt, ohne doch Lügner genannt zu werden. Aber sage mir, meine Tochter, ist es wahr, daß diese Hellenen schöner sind als die anderen Menschen, und alle Künste besser verstehen, als selbst die Aegypter?«

      »Darüber wage ich nicht zu urtheilen. Unsere Kunstwerke sind so verschieden von denen der Hellenen! Wenn ich in unsere ungeheuren Tempel ging, um zu


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