Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May
Читать онлайн книгу.Aber wenn es nicht stimmt, wenn es nicht wahr ist, so zertrete ich Sie unter meinen Füßen, wie man den elendesten der Würmer zertritt!«
»Pah! Spielen Sie sich nicht größer auf, als Sie sind! Ich brauche nur die Hand auszustrecken, um Sie zu zermalmen! Anton, führe den Baron hinüber! Zeige ihm das Versteck! Adolf mag mitgehen. Wir haben Zeugen nöthig.«
Der Baron schritt voran, und die beiden Polizisten folgten ihm. Der Fürst blieb mit Ella allein. Sie blickte ihn nicht an. Woher wußte er Alles? Aber noch hatte sie die Hoffnung nicht verloren. Es war ja fast unmöglich, ihr Versteck zu wissen. Vielleicht fanden sie es nicht. Sie hatte auch den Stein, welchen sie mit zu dem Juden genommen hatte, nach ihrer Rückkehr wieder zu den anderen gethan.
Es vergingen einige lange, lange Minuten. Da endlich nahten sich Schritte, eilig, wie im Sturmeslauf. Die Thür wurde aufgerissen, und Helfenstein stürzte herein.
»Weib!« brüllte er. »Du hast gestohlen!«
Er hatte die Fäuste geballt; sein Athem ging kurz, er befand sich im Zustande der äußersten Wuth. Da stand sie langsam auf, stellte sich ihm Auge in Auge und sagte:
»Und Du? Was hast Du gethan?«
Das Auge des Fürsten war mit allergrößter Spannung auf die Beiden gerichtet. Würden sie einander verrathen? Nein, denn es trat eine Störung ein. Die Thür wurde geöffnet, und die beiden Polizisten kamen zurück, Jeder einen der gestohlenen Beutel tragend. Das störte die Krisis: Mann und Frau traten langsam von einander fort. An den Ersteren wendete sich nun der Fürst:
»Herr von Helfenstein, nehmen Sie Ihre Beleidigungen zurück?«
»Ja, ich muß!« knirschte dieser. »Nun bleibt mir nichts Anderes übrig, als mir eine Kugel durch den Kopf zu jagen!«
»Warum?«
»Das fragen Sie noch? Die Baronin von Helfenstein eine Diebin! Das darf ich nicht überleben! Man würde mit Fingern auf mich zeigen und mich mit Füßen treten!«
»Noch weiß Niemand davon!«
»Aber der Fürst von Befour wird Anzeige erstatten.«
»Ich sagte Ihnen ja, daß er noch gar nichts von dem Diebstahle ahnt. Er weiß noch gar nicht, daß die Edelsteine abhanden gekommen sind.«
»So werden Sie Strafantrag stellen!«
»Allerdings. Ich bin Ihnen eine räthselhafte Persönlichkeit. Ich will Ihnen sagen, daß ich Polizist bin. Ich habe ein Auge für Vieles, Vieles, was Andere nicht bemerken. Darum habe ich gestern den ›Hauptmann‹ betrogen; darum kannte ich die Diebin der Edelsteine, und darum entdeckte ich den Aufbewahrungsort der Letzteren. Ich bin unnachsichtlich gegen jede Uebertretung der Gesetze; aber ich habe mir von der Familie Helfenstein erzählen lassen und schenke den Angehörigen meine wärmste Theilnahme. Darum will ich Ihnen hier ein Fluchtpförtchen offen lassen.«
»Sprechen Sie; aber verlangen Sie nichts Unmögliches!«
»Was ich verlange, ist sehr naturgerecht. Wer stiehlt, ist entweder ein Dieb oder – geisteskrank. Einen Dieb oder eine Diebin lasse ich unnachsichtlich bestrafen; eine Geisteskranke aber kann geheilt werden. Ich gebe Ihnen von heute an fünf Tage Zeit. Befindet sich dann die Baronin von Helfenstein als geisteskrank in der Heilanstalt zu Rollenburg, so werde ich schweigen, und nicht einmal der Fürst von Befour soll von dem Diebstahl erfahren. Ist die Dame aber noch hier, so lasse ich sie arretiren und exemplarisch bestrafen. Dies ist mein einziges und letztes Wort in dieser Angelegenheit. Ihnen aber, Herr Baron, gebe ich den guten Rath, nicht so oft den Revolver einzustecken, besonders in der Nacht eines Einbruches; man könnte Sie sonst für einen Freund des geheimnißvollen ›Hauptmannes‹ halten oder gar für diesen selbst! Denken Sie über meine Worte nach, und seien Sie überzeugt, daß ich mir von meinen Bedingungen nicht ein Pünktchen abhandeln lassen werde. Wir werden uns nie sehen, als nur dann, wenn Sie mich zwingen, als Ihr Feind aufzutreten. Leben Sie wohl!«
Er ging, und seine beiden Begleiter folgten ihm.
»Habt Ihr die Steine gezählt?« fragte er unterwegs.
»Ja. Es fehlt keiner.«
»Was sagte der Baron, als er sie in der Console entdeckte?«
»Er machte zunächst ein Gesicht, als ob er die Posaunen des jüngsten Gerichtes höre; dann wollte er sprechen, brachte aber vor Entsetzen kein einziges Wort hervor, und endlich rannte er fort, uns ganz allein zurücklassend. Ich möchte Zeuge der Scene sein, welche es jetzt, nach unserer Entfernung, zwischen ihm und seiner Frau Gemahlin giebt!«
Diese Antwort hatte Anton gegeben! Adolf fügte hinzu:
»Mir scheint es dringlicher, zu wissen, was man von ihm in Beziehung des geheimen Hauptmannes zu denken hat!«
»Ich denke, daß wir uns da geirrt haben. Ich glaube nicht, daß er mit dem Hauptmanne Etwas zu thun hat. Er ist während des Einbruches im Casino gewesen, während Du doch mit dem Hauptmanne gesprochen hast.«
»Hm! Ist es auch wirklich der Hauptmann gewesen, der sich für ihn ausgegeben hat? Ich glaube nicht, daß man darauf schwören kann. Die Einbrecher hatten auf so bedeutende Werthsachen gerechnet, daß sie überzeugt sein mußten, die That werde ein so außerordentliches Aufsehen erregen, daß man selbst so hochgestellte Personen nicht schonen werde, falls ein Verdacht auf eine solche fallen sollte. Da war für alle Fälle ein Alibi angenehm. Der Hauptmann gehört jedenfalls in die besseren Gesellschaftskreise; er wird ganz gewiß auf ein solches Alibi bedacht gewesen sein.«
Er hatte mit dieser Vermuthung das Richtige getroffen. Helfenstein war ja des Alibis wegen in das Casino gegangen. Er war dann mit der Ueberzeugung zurückgekehrt, daß der Streich gelungen und er dadurch ein steinreicher Mann geworden sei; der letzte Auftritt aber hatte ihn aus allen Himmeln gerissen. Er fühlte eine Hölle von Sorge, Angst, Wuth und Qual in seiner Brust.
Er hatte die drei Männer bis an die Treppe begleitet, um sich zu überzeugen, ob sie das Palais auch wirklich verlassen würden. Dann, wieder umkehrend, fühlte er nach dem kleinen Täschchen seiner Weste.
»Die Tinktur ist noch da,« murmelte er. »Der Rest von dem, was der Riese bekommen hat, wird hinreichen, auch bei dieser Diebin dieselbe Wirkung hervorzubringen.«
Er fand die Baronin ganz kraftlos noch in demselben Sessel sitzen, in welchem sie die Bedingungen des Fürsten angehört hatte. Sie war todtesbleich und hielt die Augen geschlossen. War sie etwa zu feig, als daß sie der ihr drohenden Gefahr mit offenem Auge hätte entgegenblicken können?
Der Baron zog die Portièren zu, damit das, was im Zimmer gesprochen wurde, nicht hinausdringen solle. Dann verschlang er die Arme über die Brust und schritt langsam im Zimmer auf und ab.
Er wußte kaum, wie er beginnen solle. Es wirbelte ihm im Kopfe, und vor dem Ohre war es ihm, als ob er das Summen von Millionen von Insecten vernehme. Er wollte nicht eher zu sprechen anfangen, als bis er sich über das zu Sagende klar geworden war.
Die Baronin behielt die angenommene Stellung bei. Vielleicht zog sie nur deshalb vor, die Augen nicht zu öffnen, weil sie entschlossen war, nicht das erste Wort zu sprechen, oder weil sie nicht durch ihre Blicke verrathen wollte, was jetzt in ihrem Inneren vorging.
Endlich blieb er vor ihr stehen, musterte mit einem stechenden, haßerfüllten Blicke ihre weich in den Sessel hingegossene Gestalt und stieß in tief grollendem Tone hervor:
»Frau Baronin!«
Sie antwortete nicht.
»Frau Baronin!« wiederholte er.
Da öffnete sie die Lider. Ihre langen, seidenen Wimpern hoben sich, und ihr Auge richtete sich mit einer unendlichen Gleichgiltigkeit auf ihn, mit einer Gleichgiltigkeit, welche nur das Product einer wahrhaft bewundernswerthen Verstellung und Selbstbeherrschung sein konnte. Dies erhöhte seinen Grimm.
»Diebin!« donnerte er sie an.
»Spitzbube!« antwortete sie gähnend, als ob sie sich im höchsten Grade gelangweilt fühle.
Er