Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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wehe, so daß sie im mitleidigsten Tone fragte:

      »Ich suche Frau Bormann. Sind Sie es?«

      »Ja,« antwortete die Gefragte, welche sich beim Anblick der vornehmen Dame verlegen erhoben hatte.

      »Ich höre, daß Sie Plätterin sind?«

      »Ja, mein Fräulein. Ich plätte für die Leute. Waschen, was ich ja gern thäte, kann ich nicht, da ich in meiner Wohnung hier keinen Platz dazu habe, und zu den Herrschaften gehen, um dort zu waschen, kann ich wegen des Kindes nicht.«

      »Haben Sie gegenwärtig sehr viel zu thun?«

      »Mein Gott, ich bin ganz und gar ohne alle Beschäftigung. Ich bin zu Vielen, Vielen gegangen, mir Arbeit zu erbitten; aber sobald ich meinen Namen nannte, da – da – – da – – –!«

      Ein erneuter Thränenstrom machte es ihr unmöglich, den Satz zu vollenden.

      »Arme, gute Frau! Was können denn Sie dafür!«

      Es war das erste Mal, daß man im Tone des Mitgefühles zu ihr sprach. Das that ihr so wohl, so unendlich wohl. Sie hätte aus Dankbarkeit vor Fanny niederknieen mögen.

      »Wie –« fragte sie weinend. »Sie wissen – –?«

      »Ja, ich weiß es,« antwortete Fanny, sich auf dem Stuhle niederlassend, den die Frau ihr hingeschoben hatte.

      »Und dennoch kommen Sie zu mir!«

      »Warum sollte ich nicht? Sie sind unglücklich und ohne Schuld. Aber, Sie haben's eiskalt! Es brennt kein Feuer im Ofen!«

      »Ich habe weder Kohlen noch Holz, nicht einmal Licht für den heutigen Abend.«

      Fanny erblickte die harte Brotrinde, mit welcher der Kleine sich vergeblich abmühte.

      »Mein Gott! Ist das eine geeignete Nahrung für so ein Kind?« rief sie aus.

      »Ich habe nichts Anderes. Ich hungere seit vorgestern!«

      »Da muß schnell geholfen werden! Haben Sie denn Niemand gesagt, welche Noth Sie leiden?«

      »O, sehr Vielen, mein Fräulein; aber ich fand statt Glauben nur Zweifel, anstatt Vertrauen Mißtrauen und anstatt Hilfe nur Grobheiten und Vorwürfe. Niemand wollte der Frau des berüchtigten Verbrechers ein Wäschestück zum Plätten anvertrauen.«

      »Das ist schlimm, sehr schlimm! Aber, wie gesagt, es muß geholfen werden. Ich werde Ihnen Arbeit geben.«

      Diese Worte machten einen außerordentlichen Eindruck auf die Frau. Ihr Gesicht leuchtete im Entzücken auf.

      »Ist das wahr, Fräulein?« fragte sie schnell. »Ist das wahr? Wollen Sie das wirklich thun?«

      »Ja, gewiß! Damit Sie überzeugt sind, werde ich Ihnen hier diese zehn Gulden auf Abschlag geben, liebe Frau.«

      Sie entnahm ihrer Börse die angegebene Summe und hielt sie ihr hin. Die Frau des Verbrechers zögerte, die Summe anzunehmen. Sie drückte ihr Kind inbrünstig an sich und sagte:

      »Hörst Du es? Arbeit soll ich haben! Sogar Geld bietet man mir an! Ich kann Milch kaufen für Dich, auch Holz und Kohlen, damit Du nicht länger frierst. Gott, welch ein Glück! Aber annehmen darf ich das Geld doch nicht. Es ist zuviel, um es abarbeiten zu können!«

      »Nun, so nehmen Sie es als ein Geschenk von mir!«

      »Als Geschenk? Höre ich recht?«

      »Ja, liebe Frau. Sie können es in Gottes Namen annehmen. Ich thue mir keinen Schaden; ich bin reich!«

      Sie schob der Frau das Geld in die Hand. Die brach in ein lautes Weinen aus, dieses Mal vor Freude und sagte schluchzend:

      »Gott wird es Ihnen vergelten, mein Fräulein! Dieses Geld errettet mich und mein Kind vom Hunger und von der Kälte; aber noch viel werthvoller ist mir doch Ihr Versprechen, daß Sie mir Arbeit geben wollen.«

      »Gewiß sollen Sie die haben! Kommen Sie morgen zu mir; ich werde Ihnen so viel geben, daß Sie sehr fleißig sein können.«

      »Dann darf ich wohl um Ihre Adresse bitten?«

      »Ah, ja, ich habe Ihnen meinen Namen noch gar nicht genannt. Ich bin die Tochter des Obersten von Hellenbach.«

      Die Frau erschrak; sie wurde todesbleich; fast hätte sie ihr Kind vom Arme fallen lassen.

      »Von Hellenbach?« fragte sie. »Ist das wahr? Ist es möglich?«

      »Ja. Mein Name ist Fanny von Hellenbach.«

      »Herr Jesus! Wissen Sie denn auch, bei wem Sie sich jetzt befinden, mein gnädiges Fräulein?«

      »Gewiß,« lächelte Fanny; »bei Frau Bormann.«

      »Aber bei der Frau des – des – – des – – –!«

      »Nun – des?«

      »Des Mannes, der bei Ihnen ein – ein – – eingebrochen ist!«

      Es kostete der braven Frau Mühe, dieses schreckliche Wort auszusprechen. Fanny antwortete in beruhigendem Tone:

      »Das also meinen Sie? Lassen Sie sich das nicht anfechten. Ich habe gehört, daß Sie brav und ehrlich sind. Ihr Unglück ist so groß, daß ich Ihnen gern helfen will. Von mir haben Sie keine Unfreundlichkeit zu befürchten.«

      »Von Ihnen nicht!« sagte die Frau. »Alle, Alle, denen wir nichts gethan hatten, haben mich von sich gestoßen und Sie, an der mein Mann sich so schwer verging, Sie kommen zu mir, um mir zu helfen! Mein gnädiges Fräulein, Sie sind ein Engel.«

      »O, nichts weniger als das. Ich bin ein Menschenkind, gerade so wie Sie, und gerade darum fühle ich mit Ihnen. Sie müssen sich sehr unglücklich mit Ihrem Manne befunden haben.«

      »Sehr, ach so sehr!« meinte die Frau. »Wir sahen uns, und ich liebte ihn, denn er ließ mir nicht ahnen, was er war. Und dann war es zu spät. Zwar liebte er mich auch, aber nach seiner Weise. Ich habe niemals Etwas über ihn vermocht. Ich mußte schweigen und konnte nur heimlich weinen. Es giebt nur ein einzig Wesen, welches Einfluß auf ihn hat, nämlich sein Kind, der Knabe hier. An diesem hängt er mit ganzer Seele. O, mein Fräulein, wie oft habe ich im Stillen gejammert, geseufzt und geklagt; wie oft habe ich gedacht, daß es für mich am Besten wäre, ich ginge zum Fluß und stürzte mich in das Wasser; wenn aber dann der Mann kam, den ich fürchtete, obgleich ich ihn noch immer heimlich liebte, wenn er dann den Knaben auf den Arm nahm und aus seinen Augen die Zärtlichkeit des Vaters leuchtete, dann war es mir, als ob es meine Pflicht sei, ihm zu verzeihen und seiner Sünden nicht zu gedenken. Das Lallen des Knaben hat ihn oft erfreut und ihn abgehalten, Etwas zu thun, was er sich bereits vorgenommen hatte!«

      »Sie glauben wirklich an diesen Einfluß des unschuldigen Kindes auf seinen Vater?«

      »Ganz gewiß!«

      »O, dann wäre es vielleicht möglich, das Schicksal Ihres Mannes zu mildern und zugleich einen Andern zu retten, welcher ohne Schuld in den Fesseln schmachtet!«

      »Sein Schicksal mildern?« fragte die Frau, der nur der erste Theil des Satzes aufgefallen war.

      »Ja. Wenn er bei seiner jetzigen Aussage verbleibt, wird die Strafe, welche ihn trifft, eine sehr harte sein. Ein offenes Geständniß würde einen guten Eindruck auf die Richter machen, so daß sie wohl zum niedrigsten Strafmaß greifen würden. Er aber bleibt verschlossen und verstockt. Er zeigt sich hart und gefühlslos. Das ist um so schrecklicher, als er einen armen, unschuldigen Menschen in das Verderben bringen will.«

      »Wer ist dieser?«

      »Robert Bertram, sein Mitgefangener.«

      »Der soll unschuldig sein?«

      »Ganz sicher ist er es.«

      »Aber, wie ich hörte, ist er doch mit meinem Manne bei Ihnen eingestiegen und auch mit ihm ergriffen worden!«

      »Mit Ihrem Manne ist er nicht eingestiegen, sondern später. Er


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