Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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      »Ich nehme an, daß Sie mich kennen, mein Herr?«

      »Gewiß! Seine fürstliche Durchlaucht von Befour.«

      »Nun wohl. Robert Bertram steht, was Sie wohl noch nicht wissen, unter meinem ganz besondern persönlichen Schutze. Ich habe darum nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, mich mit seinen Angelegenheiten zu beschäftigen. Wieviel zahlen Sie ihm für die Gedichte?«

      »Zwanzig Gulden!« stieß der Mann hervor.

      »Ah! Zwanzig Gulden! Und das nennen Sie ein glänzendes Honorar! Die fünfte Auflage! So erhielt er hundert Gulden?«

      Es war dem Buchhändler ganz so zu Muthe, als ob er sich im Fegefeuer befinde. Es waren so viele Leute im Laden, welche mit größter Spannung der laut geführten Unterhaltung folgten. Aber konnte er diesem hochgestellten Manne die geforderte Auskunft verweigern?

      »Die erste Auflage wurde bezahlt,« antwortete er kleinlaut.

      »Warum die anderen nicht?«

      »Es gab nicht Gelegenheit dazu.«

      »Wohl weil der Verfasser gar nicht um die Erlaubniß zu den folgenden Auflagen gefragt wurde!«

      »Er hat das Honorar nie verlangt.«

      »Ein ehrlicher und pünktlicher Verleger zahlt trotzdem. Uebrigens lügen Sie! Ich selbst bin Zeuge gewesen, daß der berühmte Hadschi Omanah Sie aus Hunger um einen kleinen Vorschuß bat, doch vergebens; Sie wiesen ihn vor allen Leuten zur Thür hinaus, ihn, dem Sie, selbst wenn die weiteren Auflagen rechtlich waren, doch achtzig Gulden schuldeten. Sie schämen sich sogar, seinen wirklichen Namen zu nennen! Ich erkläre Ihnen, daß ich die Rechte des Dichters vertrete und verbiete Ihnen in Folge dessen, auch nur ein einziges Exemplar zu verkaufen, bis die Rechtsfrage des Verlages an Gerichtsstelle entschieden ist. Sie lassen den Dichter verhungern, während Sie seine Erzeugnisse in Saffian binden. Man wird untersuchen, auf wessen Kosten das Letztere geschehen ist. Kommen Sie, liebe Baronesse! Hier darf man nicht Bücher kaufen, da man befürchten muß, daß die Verfasser derselben verhungert sind.«

      Er gab Fanny den Arm und verließ mit ihr den Laden. Solche Worte waren hier noch nie gesprochen worden. Durch sie war, das sah der Buchhändler ein, seinem Geschäfte der Todesstoß versetzt worden; denn sie wurden jedenfalls von allen Anwesenden weiter getragen und hatten sich bereits morgen in der ganzen Residenz verbreitet.

      »War das nicht ein Wenig zu hart, Durchlaucht?« fragte Fanny, als sie miteinander in der Equipage saßen.

      »Nein,« antwortete der Fürst. »Denken Sie sich den reichen Mann, der dem Hungernden den wohlverdienten Lohn vorenthält und ihn außerdem durch die Thür wirft. Wie viele Thränen sind in der Wasserstraße geflossen; welcher Hunger und Kummer, welche Noth wurde erduldet, während die Gedichte des berühmten Elenden in den feinsten Salons prangten. Uebrigens halte ich diesen Zimmermann für einen Betrüger, welcher ohne Erlaubniß drucken ließ. In diesem Falle hat er keine Nachsicht zu erwarten.«

      Sie erreichten das Gerichtsgebäude und wurden sofort vom Assessor empfangen, bei welchem sich noch der Arzt befand. Der Erstere bedankte sich abermals für die Bereitwilligkeit, mit welcher die Baronesse seine Bitte erfüllt hatte und fügte hinzu:

      »Leider hat sich unsere Erwartung nicht bewährt. Kaum war sein Geist erwacht, so sank er wieder in Finsterniß.«

      »Vielleicht wäre es besser gewesen, ihn nicht zu unterbrechen,« bemerkte der Fürst. »Oder wäre es vielleicht gerathen, ihn in der Zelle zu besuchen? Vielleicht macht das Erscheinen des gnädigen Fräuleins dort einen glücklicheren Eindruck auf ihn.«

      »Wie meinen Sie, Doctor?« fragte der Assessor.

      »Hm! Ich möchte den Kranken nicht überanstrengen.«

      »Meinen Sie wirklich, daß von Ueberanstrengung hier eine Rede sein kann? Der Kranke muß und soll sich ja anstrengen, um sich selbst wiederzufinden,« sagte der Fürst.

      »Ich stimme bei,« sagte der Assessor. »Ist es den Herrschaften recht, so verfügen wir uns nach der Zelle!«

      Sie gingen, der Assessor, der Arzt, der Fürst und Fanny. Die Letztere fühlte ihr Herz erbeben, als sie durch den finstern Corridor schritten und der Blick nur auf Fenstergitter und eisenbeschlagene Thüren fiel. Eine dieser Thüren wurde geöffnet. Sie traten ein; Fanny wagte sich nur zögernd näher, und dennoch stieß sie einen Laut des Schmerzes aus, als sie die Zelle erblickte; ein Kübel, ein Wasserkrug, eine Holzbank – für einen besseren Strohsack hatte der menschenfreundliche Assessor Sorge getragen.

      Der Gefangene lag bleich und mit geschlossenen Augen am Boden. Sein Gesicht war vom Schmerz verzerrt.

      »Gott, mein Gott! Ist das möglich?« klagte Fanny. »Das ist Hadschi Omanah?«

      »Ist er es wirklich?« fragte der Assessor.

      »Ja,« antwortete der Fürst. »Ich komme von seinem Verleger, den ich Ihnen, als Richter, empfehlen werde. Dieser hochbegabte junge Mann ist schmählich hintergangen worden. Uebrigens haben wir eine Person entdeckt, welche versicherte, daß sie seine Unschuld zu beweisen vermöge.«

      Er erzählte das Zusammentreffen mit Judith, und der Assessor versicherte, daß er das Mädchen sofort citiren lassen werde.

      Unterdessen hatte Bertram sich unbeweglich still verhalten. Er schien gar nicht bemerkt zu haben, daß Jemand zugegen sei.

      »Bitte, gnädiges Fräulein,« sagte der Fürst; »wollen Sie ein Wort zu ihm sprechen?«

      Sie trat näher und kniete neben dem Gefangenen nieder.

      »Herr Bertram!«

      Er antwortete nicht. Sie wiederholte den Ruf, doch mit dem gleichen Mißerfolge. Jetzt versuchte sie es mit seinem Vornamen, den sie ja gehört hatte:

      »Robert!«

      Eigenthümlich! Sie, die schöne, reiche, viel bewunderte und hochgestellte Baronesse nannte einen des Einbruchs angeklagten, gefangenen Schneiderssohn, mit dem sie noch nie gesprochen hatte, beim Vornamen! Und doch kamen ihr diese zwei Silben ›Robert‹ so leicht, so ohne alle Anstrengung von den Lippen, als ob sie dieselben bereits tausend Male ausgesprochen habe. Und als auch dieser Ruf ohne Erfolg blieb, da gab ihr der weibliche Scharfsinn einen Gedanken ein:

      »Omanah! Hadschi Omanah!« sagte sie, sich noch weiter zu ihm niederbeugend.

      Die Anderen sahen in größter Spannung zu. Und wirklich, er öffnete langsam, langsam die Lider. Sein Blick fiel auf das herrliche, engelsgleiche Angesicht, welches so nahe an dem seinen war und dessen Wärme und Athem er verspüren konnte. Seine schmerzerfüllten Züge nahmen einen andern Ausdruck an; dann schloß er die Augen, als ob er an diese Wirklichkeit gar nicht glauben könne.

      »Hadschi Omanah! Hören Sie mich? Oeffnen Sie die Augen!« bat sie weiter.

      Er hörte es; seine Augen öffneten sich wieder. Ein unbeschreiblich seliges Lächeln ging über sein Gesicht. Er flüsterte:

      »Nacht, o Nacht, meine süße Nacht! Leïla, die herrliche Nacht des Südens!«

      Dann fielen die Lider müd wieder zu.

      »Und der soll Sie haben bestehlen wollen!« sagte der Fürst.

      »Niemals!« stimmte der Assessor bei, hingerissen von der Wirkung, welche der Anblick des schönen Mädchens auf den unschuldig Gefangenen gemacht hatte. »Er ist gekommen, um sie zu vertheidigen, nicht aber, um sie zu berauben!«

      Fanny hörte es. In ihre Augen traten Thränen.

      »Und nun liegt er hier, gefangen, krank und elend!« meinte sie. »Habe da nicht auch ich Schuld daran?«

      Sie dachte an seine Worte:

      »Du meine süße Himmelslust,

      O traure nicht, und laß das Weinen;

      Dir soll ja stets an treuer Brust

      Die Sonne meiner Liebe scheinen!«

      Sie


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