Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

Читать онлайн книгу.

Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


Скачать книгу
sagte er. »Ich nehme Ihre Bürgschaft an. Der Hauptmann kennt also das Gift, ob aber auch das Gegengift?«

      »Das Letztere nicht. Wir haben gar nicht davon gesprochen.«

      »Das ist mir desto lieber. Sind Sie zufrieden, wenn ich Ihnen für beide Mittel hundert Gulden bezahle?«

      Die Augen des Apothekers leuchteten gierig auf.

      »Hundert Gulden? Ist das Ihr Ernst?« fragte er.

      »Ja.«

      »Ich bin zufrieden!«

      »Hier, nehmen Sie! Aber nun auch her mit dem Zeuge!«

      Er zog aus der Brieftasche einen Hundertguldenschein hervor und gab ihn dem Alten. Dieser steckte ihn in die Tasche und sagte dann:

      »Kommen Sie nach vorn. Sie sollen die Medizinen haben. Ich habe glücklicherweise mehr angefertigt, als ich brauchte.«

      Sie traten in den vorderen Raum. Dort zog der Apotheker einen Stein aus der Mauer. Es entstand eine Oeffnung, aus welcher er ein Kästchen nahm, welches mit kleinen Phiolen gefüllt war. Von den Letzteren las er zwei aus und sagte:

      »Hier das weiße Fläschchen enthält das Gift und das grüne das Gegengift. Es ist genug in Beiden, um das Experiment zwanzigmal vorzunehmen.«

      Der Fürst steckte die beiden Phiolen ein und wendete sich zum Gehen.

      »So wären wir also fertig,« sagte er. »Wenn Sie mir treu dienen, werden Sie mit mir zufrieden sein. Ertappe ich Sie aber bei einer Untreue, so ist es aus mit Ihnen. Ah, was ist in diesen großen Fässern? Wein vielleicht?«

      »Nein, aber etwas ebenso Probates, nämlich alter, guter, ächter Franzbranntwein.«

      »Hm! Nicht übel, wenn er wirklich ächt ist. Haben Sie Gläser?«

      »Hier stehen zwei. Wollen Sie einen Schluck?«

      »Dazu gehört eigentlich eine Cigarre.«

      Der Alte lachte selbstbewußt auf.

      »Ich denke, Sie rauchen nicht!« sagte er.

      »Äußerst selten; aber zum Branntwein muß ich Tabak riechen.«

      »Soll ich eine Cigarre holen?«

      »Meinetwegen!«

      »Ich komme gleich zurück!«

      Er stieg die Treppe empor. Schnell zog der Fürst die weiße Phiole hervor und ließ aus derselben einen Tropfen in das eine Branntweinglas fallen. Er hatte die Phiole kaum wieder eingesteckt, so kehrte der Alte bereits zurück. Er brachte auch für sich eine Cigarre mit.

      Die beiden Männer brannten an, und dann griff der Fürst nach dem zweiten Glase.

      »Hier, schenken Sie ein!« sagte er.

      Die Gläser waren nicht groß. Der Alte füllte beide. Der Fürst nippte nur, der Alte aber trank sein Glas, in welchem sich der Tropfen befunden hatte, aus.

      »Ah, da fällt mir noch ein!« sagte der Fürst. »In was muß das Gift eingenommen werden? In Wasser?«

      »Es ist jedes Mittel recht: Wasser, Thee, Chocolade, Wein, sogar auch Branntwein.«

      »Haben Sie noch mehr von dem Gegengifte?«

      »Keinen Tropfen.«

      »Und es ist wahr, was Sie sagten: Der Kranke sieht und hört Alles, was mit und um ihn vorgeht?«

      »Alles. Er hört, sieht und fühlt Alles. Es scheint nur so, als ob er sich in Lethargie befinde.«

      »Dann ist das Mittel Goldes werth! Geben Sie noch ein Gläschen!«

      Er trank aus, trotzdem ihm vor dem Zeuge ekelte, und ließ wieder füllen. Sie saßen bei einander und unterhielten sich. Die Antworten des Alten wurden immer einsylbiger; seine Augen schienen sich zu vergrößern. Plötzlich sprach sich in seinen Zügen eine ganz entsetzliche Angst aus.

      »Herr,« stammelte er. »Sie haben – haben – –«

      »Was?« lachte der Fürst.

      »Sie haben – mir mein – mein eigenes Gift gegeben!«

      »Allerdings! Sagten Sie nicht, daß Sie selbst die Garantie der Ächtheit übernehmen wollten?«

      »Das ist – ist – ist – –!«

      Das Uebrige ging in ein unverständiges Gurgeln über; dann sank er von seinem Sitze und lag lang ausgestreckt auf der Erde. Der Fürst bückte sich zu ihm nieder, leuchtete ihm mit der Laterne in das Gesicht und sagte:

      »So, Bursche, prüfe ich meine Leute! Du siehst mich, und Du hörst auch, was ich sage. Ich habe Dir einen Tropfen gegeben. Die Wirkung ist exact; ich bin befriedigt. Aber das Gegengift! Ob es auch so unfehlbar wirkt? Ich werde morgen wiederkommen und Dir einen Tropfen geben. Wirkt es nicht, so hast Du mich getäuscht, natürlich zu Deinem eigenen Schaden. Das Geld nehme ich einstweilen wieder zu mir. Ist das Gegengift gut, so bekommst Du es zurück.«

      Er zog ihm den Hundertguldenschein wieder aus der Tasche und verließ dann den Keller. Die von innen verriegelte Hausthür war leicht zu öffnen. Er entfernte sich, ohne von den Töchtern des Alten angehalten zu werden.

      Diese wurden neugierig, als ihr Vater nach längerer Zeit sich nicht sehen ließ. Eine von ihnen begab sich in den Keller und rief durch ihr Klagegeschrei die Anderen herbei. Alle glaubten, daß der Schlag ihren Vater getroffen habe. Sie brachten ihn aus dem Keller fort und in das Bett. Dann schickten sie nach einem Arzte, welcher aber, als er den Apotheker untersuchte, aus der Krankheit nicht klug werden konnte.

      So verging der Tag und die Nacht. Am frühen Morgen des nächsten Tages kam ein alter Mann, welcher sich einige Cigarren kaufte. Er hörte, daß der Apotheker erkrankt sei, und bat, ihn sehen zu dürfen. Als er vor dem Bette stand, zog er eine kleine, grüne Phiole aus der Tasche, öffnete dem Kranken den Mund und ließ ihm einen Tropfen des Inhaltes hineinfallen. Bereits nach einer Viertelstunde begann der Kranke, sich leise zu bewegen. Noch waren nicht zwanzig Minuten vergangen, so öffnete er den Mund, um zu sprechen. Es gelang ihm nicht; er brachte es nur zu einem halb verständlichen Lallen; aber der Fremde schien dennoch befriedigt zu sein, denn zur großen Verwunderung der Mädchen griff er in die Tasche und legte eine Hundertguldennote hin. Dann sagte er:

      »Sagen Sie Ihrem Vater, daß diese Arznei probat ist. Er wird mich wiedersehen. Adieu!«

      Robert Bertram lag im Krankenhause, behandelt von den besten Ärzten der Residenz. Täglich kam der Fürst von Befour, um nach ihm zu sehen. Und zuweilen, wenn der müde Patient die Augen für einen Moment aufschlug, sah er ein wunderschönes Mädchengesicht über sich gebeugt.

      »Nacht! O Nacht! Meine Nacht!« flüsterte er dann.

      So vergingen einige Wochen, und das Weihnachtsfest war nahe herangekommen. Robert befand sich längst auf dem Wege der Besserung. Er fühlte sich sogar stark genug, das Krankenhaus zu verlassen, aber die Ärzte versagten ihm die Erlaubniß dazu.

      Er hatte seine volle Geistesfrische zurück erhalten, und auch der Körper war stark, stärker noch als früher. Zuweilen fragte er die Wärterin nach den Geschwistern; er wurde mit der Auskunft, daß er sich ja nicht sorgen solle, beruhigt.

      So war endlich der Weihnachtsheiligeabend da. Am Vormittage desselben kam der Fürst zu Robert und fragte, wie gewöhnlich, nach seinen Wünschen.

      »Fort von hier! Weiter nichts!« lächelte Robert.

      »Wissen Sie denn bereits, wohin?«

      »Gott wird mir schon meinen Weg zeigen!«

      »Und Sie fühlen sich wirklich kräftig genug, es wieder mit dem Leben aufzunehmen?«

      »Vollständig! Sehen Sie hier diese Papiere, Durchlaucht! Seit einer Woche arbeite ich wieder. Es sind Gedichte.«

      »Unsers Hadschi Omanah!«

      »Ja, der


Скачать книгу