Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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Leben der Freien und dem nagenden Kummer des kranken Gefangenen in der Zelle, Parallelen und Bilder erschütternden Inhaltes. Der Todtkranke fühlt sein Ende nahen; er vernimmt bereits von weitem das Brausen der Ewigkeit. Da wird es ihm angst und bange; er gedenkt an seine Sünden und an die Gerechtigkeit Gottes. Welche Hilfe giebt es da? Keine andere als:

      »Betend faltet er die Hände,

      Hebt das Auge himmelan:

      Vater, gieb ein selig' Ende,

      Daß ich ruhig sterben kann!

      Blicke auf Dein Kind hernieder,

      Das sich sehnt nach Deinem Licht.

      Der Verlor'ne naht sich wieder

      Geh' mit ihm nicht in's Gericht!«

      Wie Robert so dastand und ihm die Worte aus dem Munde strömten, war er nicht nur ein Dichter von Gottes Gnaden, sondern ein Redner, welcher seine Bilder mit erschütternder Tragik zeichnete. Aller Augen hingen an ihm und alle Ohren lauschten, damit keins seiner Worte verloren gehen möge. Es war eine Declamation, wie sie noch von Keinem jemals gehört worden war. Und weiter, weiter! Der Sterbende hat um Gnade und Erbarmen gefleht. Er kann nicht weiter. Die Kräfte verlassen ihn. Aber er lauscht, ob sich nicht aus dem Dunkel der Zelle ein Zeichen der Erhörung lösen wolle. Und es wird ihm dieses Zeichen, denn:

      »Da ertönt vom nahen Dome

      Feierlich der Glocken Klang,

      Und im majestät'schen Strome

      Schwingt sich auf der Chorgesang:

      Herr, nun lässest Du in Frieden

      Deinen Diener schlafen gehn,

      Denn sein Auge hat hienieden

      Deinen Heiland noch gesehen!«

      Diese Worte des greisen, frommen Simeon klingen, im Chore gesungen, aus dem nahen Dome in die dunkle Zelle hinauf. Sie dringen in das Ohr und das Herz des Sterbenden und machen, daß die Angst vor dem Tode und die Furcht vor der Ewigkeit verschwinden und die Seele, mit Gott versöhnt, sich losringt aus den Banden des schwachen, sündhaften Leides. Der Tod ist nicht das Ende des Lebens, nicht das Aufhören des Bestehenden, sondern er ist eine Neugeburt für eine andere, bessere und höhere Lebensform; er ist der Uebertritt in ein Dasein, von welchem Christus so schön sagt:

      »In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen, und ich gehe hin, Euch die Stätte zu bereiten!«

      Die Zuhörer waren tief ergriffen von der Gewaltigkeit dieser Schilderung. Das war ganz der zauberische Bilderreichthum des Dichters der »Heimaths-, Tropen- und Wüstenbilder«. Sie glaubten nun die Aufgabe beendet. Der Gefangene hatte ja mit seinem Gewissen, mit seinem Gotte abgeschlossen und war ruhig und selig durch das Thor der Ewigkeit getreten. Aber nein. Die Logik der Aufgabe erforderte, daß die Sühne auch von den irdischen Vertretern des Gottesgedankens anerkannt und legitimirt werde. Darum fuhr Bertram fort:

      »Schritte nahen, und die Zelle

      Wird erhellt von Kerzenschein;

      Ueber die gefei'te Schwelle

      Tritt der Diener Gottes ein.«

      Dieser sieht, daß der Kranke gestorben ist. Die Leiche knieet mit gefalteten Händen, in betender Stellung unter dem vergitterten Fenster, durch welches die brechenden Augen mit dem letzten ersterbenden Blicke das Leuchten der Weihnachtssterne erfaßt haben, jener Sterne, welche im Klange der Sphärenmusik das große Evangelium verkünden: »Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!« Er steht ergriffen bei der Leiche, hinter ihm der Schließer, welcher die Zelle des Todes geöffnet hat. Die Stellung des Verstorbenen sagt ihm, daß derselbe seine Rechnung nicht nur mit dem Leben, sondern auch mit dem Tode abgeschlossen habe, und sein priesterliches Gewissen drängt ihn, dem Entschlafenen noch in den Tod die Vergebung seiner Sünden nachzurufen. Darum schloß Robert Bertram seine Improvisation:

      »Und der Priester legt die Hände

      Segnend auf des Toten Haupt:

      Selig ist, wer bis ans Ende

      An die ewige Liebe glaubt!

      Selig, wer aus Herzensgrunde

      Nach der Lebensquelle strebt

      Und noch in der letzten Stunde

      Seinen Blick zum Himmel hebt!

      Suchtest Du, schon im Verscheiden,

      Droben den Versöhnungsstern,

      Wird er Dich zur Wahrheit leiten

      Und zur Herrlichkeit des Herrn!

      Darum gilt auch Dir die Freude,

      Die uns widerfahren ist;

      Denn geboren wurde heute

      Auch Dein Heiland, Jesus Christ!«

      Nach einer höflichen Verbeugung wendete Bertram sich zur Seite. Er selbst war von seiner Improvisation so ergriffen, daß er unwillkürlich verzichtete, auf seinen Sitz zurückzukehren. Er trat vielmehr an das Fenster und lehnte seine heiße Stirn an die kalten Scheiben, um sie an denselben zu kühlen.

      Der Eindruck seiner Declamation war ein so gewaltiger, daß den Zuhörern am Schlusse derselben zunächst die Stimme versagte. Dann aber brach der Beifall um so stürmischer los. Sie alle erhoben sich und drängten sich herbei, um ihm ihre Bewunderung zu zollen.

      Nur Zwei hielten sich zurück – Fanny von Hellenbach und der Baron Franz von Helfenstein. Dieser Letztere wartete, bis sich die Anderen ausgesprochen hatten, und fragte dann im anmaßenden Tone eines Examinatoren:

      »Herr Bertram, wollen Sie mir wohl sagen, ob Sie dieses Gedicht nicht vielleicht vorher bereits in irgend einer Sammlung gefunden und dann auswendig gelernt haben? Es scheint mir geradezu unmöglich zu sein, daß Sie es erst in diesem Augenblicke verfertigt haben!«

      Einige Augenblicke lang herrschte tiefe Stille. Das war eine gradezu beabsichtigte Beleidigung, welche um so auffälliger und verwerflicher war, als sie gegen einen jungen Menschen, der bereits so unschuldig gelitten hatte, geschleudert wurde, und zwar hier an dieser Stelle, in Gegenwart von Herrschaften, welche sich nur zu dem Zwecke versammelt hatten, die Ehre des jungen Mannes zu restituiren.

      Der Oberst von Hellenbach war als Wirth von dieser Beleidigung mit betroffen. Er sagte sich, daß der Baron bereits zweimal von Bertram zurechtgewiesen worden sei; er sah die Zeichen der Indignation auf allen Gesichtern, und er hielt es für seine Pflicht, sich des Beleidigten anzunehmen, hatte aber nicht Zeit, ein einziges Wort zu sagen, denn Bertram übernahm es selbst, sich zu vertheidigen. Und zwar geschah dies in einer Weise, als ob er während der kurzen Zeit seines Lebens sich nur in aristokratischen Kreisen bewegt habe. Kaum nämlich hatte der Baron ausgesprochen, so trat er mit raschen Schritten vom Fenster herbei, stellte sich in verächtlicher Haltung vor ihn hin und sagte:

      »Helfenstein, Sie sind ein gemeiner Mensch, ein Lump, mit dem man eigentlich gar nicht sprechen sollte!«

      Er nannte ihn also nur Helfenstein. Er ließ sowohl das ›Herr‹ als auch das ›Von‹ weg. Die Anwesenden waren frappirt. Sie schwiegen. Sie blickten stumm auf den jungen Menschen, welcher so stolz, hochaufgerichtet und furchtlos vor dem Aristokraten stand. Dieser Letztere war einen Augenblick lang wie vom Donner gerührt, dann aber sprang er auf.

      »Mensch!« rief er. »Flegel! Was wagst Du da!«

      »Pah! Ich wage gar nichts!« antwortete Bertram. »Ich wage so wenig, daß ich Ihnen sogar eine Ohrfeige geben würde, wenn ich nicht befürchtete, durch diese Berührung mit Ihnen meine Hand zu beschmutzen, und wenn mich nicht die Hochachtung, welche ich für diese Herrschaften empfinde, davon abhielt!«

      Da stieß der Baron einen heiseren Schrei aus. Er erhob den Arm zum Schlage. Bertram trat schnell zurück, um diesem Hiebe auszuweichen. Fanny war blitzschnell herbei gesprungen, um ihn zu beschützen. Die Hand des Barons fuhr herab, und der Schlag traf das Mädchen, welches mit einem Schrei des Schmerzes zusammenbrach.

      Im


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