Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

Читать онлайн книгу.

Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


Скачать книгу
ich hoffen, Sie bald einmal bei mir zu sehen?«

      »Ihr Wunsch ist mir Gebot, meine Gnädige!«

      »So bitte ich, mir unseren jungen Freund mitzubringen. Ich möchte nicht, daß wir uns heute zum ersten und auch zugleich zum letzten Male gesehen haben!«

      Als sie dann bei sich eingetreten war und die Equipage sich wieder in Bewegung setzte, fragte der Fürst:

      »Bitte, lieber Herr Bertram, haben Sie vielleicht in letzter Zeit über Ihre Zukunft nachgedacht?«

      »Sogar sehr eifrig.«

      »Was haben Sie beschlossen?«

      »Es war mir unmöglich, zu einem Entschlusse zu gelangen. Ich mußte Gott walten lassen. Und siehe, er hat geholfen!«

      »Wieso?«

      »Das Honorar, welches ich heute durch Ihre freundliche Vermittlung erhielt, macht mir vielleicht die Erfüllung meines Herzenswunsches möglich: Ich will studiren!«

      »Recht so! Das ist brav. Ich habe es erwartet.«

      »Ich sage mir zwar, daß die Summe, welche ich jetzt besitze, durch die Verpflichtungen meinen Geschwistern gegenüber sehr vermindert werden wird; aber der zweite Band, welcher bald erscheinen kann, wird das wohl einigermaßen ausgleichen.«

      »Ach! Sie wollen einen Theil des Geldes an Ihre Geschwister wenden?«

      »Ganz gewiß, Durchlaucht!«

      »Es sind Stiefgeschwister, gehen Ihnen also eigentlich gar nichts an. Sogar der Ausdruck Stiefgeschwister ist falsch, da Sie ja doch nur Pflegekind waren.«

      »Desto größer ist meine Schuld. Mein Pflegevater hat mich nie fühlen lassen, daß ich aus dem Waisenhause stamme. Jetzt befinden sich die Kleinen dort, wie ich höre, und ich muß meine Pflicht erfüllen.«

      »Brav! Wir werden sehen!«

      Der Kutscher hatte jetzt in die Siegesstraße eingelenkt und hielt vor dem kleinen Hause, in welchem jetzt der alte Förster Brandt wohnte.

      »Hier sind wir am Ziele,« sagte der Fürst, indem er aus dem Wagen sprang.

      Bertram folgte ihm, und der Kutscher fuhr fort. Er wußte bereits, daß er jetzt nicht mehr gebraucht wurde. Der Fürst klopfte an die Thür, und der alte Brandt öffnete. Als er die Beiden erblickte, sagte er:

      »Ah, Durchlaucht! Bringen Sie ihn? Bitte, näher zu treten!«

      Er führte sie in das Zimmer. Dort trat ihnen die Försterin entgegen und reichte Bertram die Hand.

      »Willkommen, Herr!« sagte sie mit gewinnender Freundlichkeit. »Hat Ihnen Durchlaucht bereits gesagt, weshalb wir Sie hier erwarten?«

      »Nein,« antwortete er, ganz wohlthuend von diesen alten Leuten angemuthet.

      »Nun, ich denke, daß Sie jetzt keine Wohnung haben?«

      »Leider allerdings noch nicht.«

      »Nun, da wollte ich Sie fragen, ob Sie mit uns fürlieb nehmen würden. Sie werden übrigens bereits erwartet.«

      »Von wem?« fragte er, erstaunt und zugleich beglückt von diesem Entgegenkommen.

      »Von wem? Vermuthen Sie das nicht? Nun, Sie sollen es gleich sehen. Kommen Sie!«

      Sie öffnete die Thür des Nebenzimmers. Ein heller Lichtschein strahlte ihnen entgegen. Ein Weihnachtsbaum brannte, und bei demselben standen, bereits mit zahlreichen Geschenken versehen – seine kleinen Geschwister.

      »Robert, Robert, lieber Robert!« jauchzten sie, als sie ihn erblickten.

      Sie sprangen ihm entgegen und streckten die Arme und die Händchen nach ihm aus. Er hatte sie seit jenem unglücklichen Abende des Einbruches nicht wieder gesehen. Er kniete sich zu ihnen nieder, zog sie an sich und schluchzte laut vor Freude und vor – Schmerz. Er dachte des Pflegevaters; er dachte – – doch nein, er hatte keine Zeit, sich diesen trüben Gedanken weiter hinzugeben, denn die Kleinen brachten ihm alle ihre Geschenke, die er betrachten und über welche er sich mit freuen mußte.

      »Und von wem habt Ihr das Alles?« fragte er.

      »Vom Vater!« antwortete das Eine.

      »Von der Mutter!« sagte das Andere.

      »Vom Vater und von der Mutter?« sagte er erstaunt.

      »Ja, vom neuen Vater und der neuen Mutter hier!«

      Dabei zeigten sie jubelnd auf die braven Förstersleute, welche mit inniger Rührung an diesem Wiedersehen theilnahmen. Er blickte Beide an und fragte dann:

      »Verstehe ich recht? Sie haben – –«

      »Die Kinder angenommen? Ja,« nickte der alte Brandt. »Sind Sie damit zufrieden, junger Herr?«

      »Angenommen, wirklich angenommen? Sie brauchen nicht wieder in das Waisenhaus zurück?«

      »O, nein! Sie wohnen bei uns schon seit Sie sich im Krankenhause befunden haben.«

      »Herrgott, welch' eine Ueberraschung! Welch' eine Freude! Und das habe ich doch nur Ihnen, Durchl – –«

      Er hielt inne. Er hatte sich umgedreht, um seine Worte an den Fürsten zu richten; dieser aber war verschwunden.

      »Ah! Er ist in das vordere Zimmer zurückgekehrt!« sagte er. »Ich muß sogleich zu ihm, um –«

      »Halt, Herr Bertram!« meinte der Förster, indem er ihn beim Arme ergriff. »Sie finden ihn nicht. Er ist jedenfalls fort.«

      »Fort? Warum?«

      »Er ist kein Freund von großen Danksagungen.«

      »Aber – hm,« meinte er, doch einigermaßen verlegen. »Ich bin mir doch noch ganz im Unklaren über mich selbst!«

      »Sie werden gleich in's Klare kommen. Wollen Sie so gut sein und mir folgen?«

      Er griff zum Lichte und führte ihn durch das vordere Zimmer und dann die Treppe empor. Dort war an einer Thür ein Porzellanschild angebracht.

      »Bitte, lesen Sie!« sagte der Alte.

      »Robert Bertram!« las er. »Das soll heißen –?«

      »Das soll heißen, daß Sie hier in diesen zwei Giebelzimmerchen wohnen werden. Treten Sie ein!«

      Er öffnete die Thür. Robert stand in einem allerliebsten Zimmer, an welches ein Schlafcabinet stieß. Es gab da einen Schreibtisch, eine Bibliothek auf Regalen. Es sah ganz so aus, als ob man sich in der Wohnung eines fleißigen Studenten befinde. Er betrachtete Alles und fragte dann:

      »Das wurde veranstaltet vom Fürsten von Befour?«

      »Ja.«

      »Welch ein Mann! Wie dankbar muß ich ihm sein! Aber, Eins liegt mir am Herzen: Ich habe eine Schwester. Wissen Sie, wo sich dieselbe befindet?«

      »Ja. Sie sollte heute hier mit zugegen sein; aber das war unmöglich, da sie verreist ist.«

      »Verreist? Wo wohnt sie eigentlich?«

      »In der Ufergasse. Sie hat eine Stellung bei einer Dame, welche Groh heißt und Rentière ist.«

      »Ist die Stellung eine gute?«

      »Jedenfalls. Die Dame ist als hochachtbar und sogar als fromm bekannt. Sie ist Mitbegründerin der Gesellschaft der ›Brüder und Schwestern der Seligkeit‹, eine Gesellschaft, welche für die Zwecke der Wohlthätigkeit und inneren Mission arbeitet. Also dürfen Sie um Ihre Schwester nicht bange sein. Meine Frau ging nach der Ufergasse, um sie für heute Abend einzuladen, hörte aber, daß Madame Groh für einige Zeit verreist ist.« –

      Der Fürst hatte sich heimlich entfernt, um sich den Danksagungen des jungen Mannes zu entziehen; er ging durch den Garten nach seinem Palais, verließ dasselbe aber bereits nach kurzer Zeit verkleidet wieder. Er begab sich nach der Mauerstraße, zog dort einen Schlüssel hervor, öffnete


Скачать книгу