Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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      »Muß ich auch,« lachte der Schmied.

      »Müssen? Wieso?«

      »Hm! Man hat es zuweilen nöthig, seinem äußeren Menschen einen anderen Anstrich zu geben.«

      »Wolf, Wolf! Wie es scheint, ist es wahr, was man von Ihnen munkelt!«

      »Was denn?«

      »Daß Sie Pascher sind!«

      »Na, Sie können mir nichts mehr schaden, und da will ich es ja gestehen. Ein Wenig herüber und hinüber mache ich, aber nicht von Bedeutung. Ihnen kommt dies heut zu statten. Wir haben es nämlich weg, uns zu verändern, so daß uns Niemand kennt. Das ist aber auch sehr nöthig, sonst stäken wir schon längst da, wohin man Sie heut bringen wollte. Aber hier sind wir nun fertig. Jetzt geht es nach Annendorf.«

      »Warum dorthin?«

      »Weil ich da einen Vetter habe, welcher mir Pferd und Wagen borgen wird. Wir fahren nach Hause. Vielleicht kommen wir auf diese Weise dort eher an als die Gensdarmerie.« –

      Es war gegen Mittag desselben Tages, da saß Alma von Helfenstein bei der Frau des Bahnhofsinspectors. Diese Dame hatte sich ihrer angenommen, als sie in Ohnmacht gefallen war, und ihr ein Zimmer angewiesen, in welchem sie sich ausruhen und erholen konnte.

      Sie fühlte sich zum Sterben matt. Die Nachricht von dem gräßlichen Tode ihres Bruders war fast ein Todesschlag für sie gewesen. Jetzt nun hatte sie das Bett verlassen, um zu sehen, ob es ihr möglich sei, ihre Schwäche zu beherrschen.

      Sie dachte nicht an die Zukunft; sie dachte nur an Vergangenes. Sie schloß der bürgerlichen, aber herzensguten und gebildeten Frau ihr Herz auf und erzählte ihr Alles, was in letzter Zeit auf sie hereingestürmt sei. So erfuhr die Inspectorin, daß sie sich die Schuld an dem Schicksale Brandt's beilegte. Sie versuchte, sie zu trösten und aufzurichten.

      Sie waren so mit diesem Thema beschäftigt, daß sie gar nicht bemerkten, daß der Inspector unter der Thür stand und die letzten Sätze ihres Gespräches gehört hatte. Er machte eine Bewegung der Ueberraschung, trat zurück, schloß die Thür und öffnete sie dann mit größerem Geräusch.

      Die beiden Damen wendeten sich zu ihm um. Seine Frau kannte seine Eigenthümlichkeiten sehr genau. Kaum hatte sie einen Blick auf ihn geworfen, so sagte sie:

      »Was ist geschehen? Du bist entweder erschrocken oder irgendwie ergriffen. Bringst Du eine Nachricht?«

      »Vielleicht!« antwortete er, Alma fixirend.

      »Sie betrifft mich?« fragte Diese sofort.

      »Ja, gnädiges Fräulein.«

      »So reden Sie, Herr Inspector!«

      Er wurde ein Wenig verlegen und sagte dann:

      »Wollen Sie mir sagen, ob Sie Herrn Brandt noch immer für schuldig halten?«

      »Ich habe an ihm schwer gefehlt und gesündigt; heute kann ich es beschwören, daß er unschuldig ist!«

      »Auch ich habe nicht an ihm gezweifelt. Sie müssen wissen, daß wir Freunde sind. Wir kannten uns, als ich noch in der Residenz angestellt war. Ihn betrifft die Nachricht, welche ich bringe.«

      »Ihn? Gott, ist es etwas Gutes oder Schlimmes?«

      »Zunächst muß ich bemerken, daß ich um die allerstrengste Verschwiegenheit bitte. Was ich Ihnen mittheile ist, streng genommen, eine Verletzung des Dienstgeheimnisses. Nämlich soeben ist eine Depesche angelangt, welche Brandt betrifft.«

      »Was ist's? Was ist's?« fragte Alma, aufspringend.

      »Geduld, gnädiges Fräulein! Die Majestät hat ihm die Todestrafe erlassen und – –«

      »Ich weiß das bereits!« fiel sie ungeduldig ein.

      »Und sie in lebenslängliches Zuchthaus verwandelt,« fuhr der Berichterstatter fort.

      »Er wird sich lieber tödten, als in's Zuchthaus gehen.«

      »Das sagte man sich auch. Daher hat man ihn heute früh mit dem ersten Zuge in das Coupee gebracht, ohne ihm von der Begnadigung ein Wort zu sagen!«

      »Er wird sich tödten!«

      »Nein, mein Fräulein, er wird sich nicht tödten!« lächelte der Inspector. »Denn als der erste Zug in Felsenberg anlangte und der Schaffner das Coupee öffnete, da – –«

      »Gott, mein Gott, was werde ich hören!« unterbrach sie ihn angstvoll.

      »Nichts Schlimmes!« beruhigte er sie. »Also, als der Schaffner das Coupee öffnete, da lag in demselben – – der Amtswachtmeister, welcher ihn transportirt hatte, mit angelegten Handschellen, gefesselt und geknebelt.«

      »Jesus Christus! Und der Gefangene?«

      »War verschwunden.«

      »Gott sei tausend Dank!« rief Alma, die Hände jubelnd zusammenschlagend. »Er ist frei! Er ist entkommen! Er ist kein Zuchthäusler! Meine Last wird leichter, denn er wird nun Mittel und Wege finden, seine Unschuld zu beweisen und den wirklichen Thäter zu entdecken«

      »Ich hoffe das auch,« meinte der Inspector ernst. »Für den Augenblick aber befindet er sich in großer Gefahr. Man sucht ihn bereits im ganzen Lande; man wird die Grenze eng besetzen, und das Telegramm, von welchem ich sprach, und welches ich hier in der Hand habe, ist nicht an mich, sondern an den Gensdarmeriewachtmeister gerichtet. Es enthält den Befehl – –«

      Er stockte.

      »Welchen Befehl?« fragte Alma, schnell auf ihn zutretend.

      »Comtesse!« sagte er. »Mein Dienstgeheimniß!«

      »O bitte, bitte!« flehte sie. »Sie sind ja auch sein Freund!«

      Er zauderte noch, als er aber auch in den Augen seines Weibes eine stille Bitte las, sagte er:

      »Nun wohl, ich will es wagen! Er ist ja unschuldig, und Ihr werdet mich nicht verrathen. Die Gensdarmerie erhält den Befehl, schleunigst das Forsthaus zu Helfenstein zu besetzen, da man meint, daß er zunächst seine Eltern besuchen wird.«

      »Mein Gott, mein Gott!« rief Alma. »Man muß den Förster warnen!«

      »Ich darf das nicht thun.«

      »So thue ich es!«

      »Sie sind zu schwach! Sie können unmöglich gehen!«

      »So fahre ich! Uebrigens bin ich stark, so stark wie ein Riese, wenn es sich darum handelt, ihn zu retten! Wann bekommt der Gensdarmeriewachtmeister das Telegramm?«

      »Sofort!«

      »Wird er zu Hause sein?«

      »Vielleicht, vielleicht auch nicht.«

      »Welch ein Unglück! Könnte das Telegramm nicht erst in einer Viertelstunde expedirt werden?«

      Er sann einen Augenblick nach und sagte dann:

      »Das ist unmöglich! Das ist zuviel verlangt, gnädige Baronesse! Wer auch soll den Förster warnen? Ich? Das wäre Wahnsinn. Ein Dritter? Man darf sich Niemand anvertrauen!«

      »Ich doch, ich selbst!«

      »Das wäre das Einzige. Aber Ihre Schwäche!«

      »Ich bin stark, ich bin gesund! Nur einen Wagen, einen Wagen her, Herr Inspector!«

      »Unten hält ein Lohnkutscher, welcher auf die Passagiere des nächsten Zuges wartet. Sie dürfen ihm aber nicht sagen, daß Sie nach Helfenstein und dem dortigen Forsthause wollen. Sie müssen sich erst unterwegs darauf besinnen.«

      »Sie sind ein kluger und vorsichtiger Mann. Ich werde Ihnen gehorchen. Aber die Depesche!«

      »Hm!« lächelte der herzensgute Mann. »Ich finde, daß ich da einen fatalen orthographischen Schnitzer gemacht habe. Ich habe mich in der Eile verschrieben, gerade wie ein Schulknabe. Ich sehe, daß ich die Depesche noch einmal abschreiben


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