Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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den Kopf an den Stamm, als ob er seine starke, mächtige Gestalt stützen müsse. Das dauerte eine ziemliche Weile. Dann begann er abermals:

      »Was mögen sie machen? Werden sie an mich denken? Papa wird der Kleine sagen: aber Der, nach dem er sich sehnt, der liegt in Ketten. Der Fürst des Elendes hatte Recht, ganz Recht!«

      »Machst Du es anders?« fragte der Hauptmann jetzt.

      »Ja. Ich könnte!«

      »Wie denn?«

      »Durch die Flucht.«

      »Und Deine Frau, Dein Kind?«

      »Die nehme ich Beide mit.«

      »Schwatze keinen Blödsinn! Mit diesen Beiden hätten sie Dich bald wieder ergriffen.«

      »Ich würde sie und mich vertheidigen wie ein Löwe!«

      »Aber doch untergehen! Und was hätten sie dann davon? Nein! Hast Du die Deinigen wirklich so lieb, wie Du sagst, so ist das ein Grund mehr, mir zu gehorchen. Thust Du das, so bist Du in drei oder vier Wochen freigesprochen.«

      Der Riese richtete seine Gestalt freudig in die Höhe.

      »Ist das wahr?« fragte er.

      »Ich verspreche es Dir! Ich gebe Dir mein Ehrenwort!«

      »Das Urtheil wird lauten, daß ich unschuldig bin?«

      »Ja.«

      »Und ich kann dann zu meinem Weibe und meinem Kinde gehen?«

      »Ja. Du bist dann vollkommen und vollständig frei.«

      »Das klingt freilich gut, das klingt ganz so, wie ich es haben will!«

      »Und es wird auch so werden!«

      »Was habe ich da zu thun?«

      »Du steigst noch einmal ein.«

      »Gut, gut! Es handelt sich um die Freiheit und um Weib und Kind. Folge ich dem Fürsten, so komme ich in's Zuchthaus. Folge ich Ihnen, so werde ich frei. Da ist die Wahl nicht schwer.«

      »Du willigst also ein?«

      »Ja, ich will. Aber eine Bedingung stelle ich!«

      »Welche?«

      »Es darf kein Mord dabei sein!«

      »Es ist auch keiner dabei. Du sollst bei einer Dame einsteigen und ihren Schmuck holen.«

      »Darauf gehe ich ein. Wer ist sie?«

      »Die Tochter des Obersten von Hellenbach.«

      »Die? Ah, die kenne ich, und ihr Haus auch.«

      »Das ist gut.«

      »Wie aber komme ich hinein?«

      »Durch das Haus Nummer Elf in der Wasserstraße.«

      »Wie aber komme ich in dieses?«

      »Ich habe den Schlüssel. Hier ist er!«

      Er gab dem Riesen den Schlüssel. Dieser betrachtete ihn beim Scheine des Schnees und fragte:

      »Sapperment, das ist kein Nachschlüssel, sondern ein Original! Wie kommen Sie dazu?«

      Der Hauptmann hütete sich natürlich, zu sagen, daß er der Besitzer des Hauses sei. Er antwortete:

      »Das ist Nebensache! Du öffnest vorsichtig und kommst ohne Gefahr bis in den Hinterhof. Die Mauer stößt an Hellenbachs Garten.«

      »Ist sie hoch?«

      »Allerdings. Beinahe fünf Ellen.«

      »Wie komme ich da hinüber?«

      »Sehr einfach. Grad an dieser Mauer hängt eine Leiter. Sie ist wegen Feuersgefahr vorhanden. Sie ist zwar sehr lang, aber es hängt dabei noch eine viel kürzere, welche passen wird.«

      »Gut! Und nachher?«

      »In Hellenbachs Hofe angekommen, ist es das dritte Fenster der zweiten Etage, von links gerechnet, wo Du einsteigen mußt.«

      »Der zweiten –! Alle Teufel! Wie komme ich da hinauf?«

      »Sehr einfach. Auch auf einer Leiter!«

      »Wo finde ich die?«

      »Ich habe sie mit.«

      »Wo?«

      »Hier. Dort zwischen den Bäumen liegt sie.«

      »Und die soll ich von hier nach der Wasserstraße schleppen?«

      »Ja.«

      »Durch einen Hausflur, zwei Höfe und einen Garten?«

      »Ja.«

      »Nehmen Sie es mir nicht übel! Aber, sind Sie etwa verrückt, Herr?«

      »Nein. Ich traue Dir aber viel zu; denn ich weiß, daß Dir Keiner gleichkommt.«

      »Das ist aber Unmögliches verlangt!«

      »Pah! Es ist nicht so schwer. Komm und sieh Dir die Leiter an!«

      Er zog ihn ein Stück weiter fort bis zu einem Baume, an welchem ein hier nicht deutlich zu erkennender Gegenstand lehnte. Der Riese betastete ihn.

      »Ah, von Eisen,« sagte er.

      »Ja. Nur fünfzehn Pfund schwer.«

      »Und das soll zwei Stock hoch reichen?«

      »Ganz sicher. Es ist meine eigene Erfindung. Leider kann ich auf so eine Diebesleiter kein Patent nehmen.«

      »Sie ist zusammengelegt und trägt sich wie ein Feldstuhl.«

      »Ich werde Dir nachher zeigen, wie sie geöffnet wird. Vorher aber muß ich Dich noch weiter instruiren. Hier in dieser Mappe sind zwei Pflaster.«

      »Um das Fenster einzudrücken?«

      »Ja. Das muß aber mit solcher Vorsicht geschehen, daß sie nicht davon erwacht.«

      »Werde ich sehen können, ob sie schläft?«

      »Ja; sie brennt Nachtlicht. In der Mappe sind zugleich Knebel und Stricke. Du bindest und knebelst sie, läßt ihr aber die Augen offen, damit sie Dich deutlich sehen kann. Darauf kommt Alles an. Am Spiegel steht das Schmucktischchen. Der Schlüssel dazu wird anstecken. Steckt er aber nicht an, so liegt er am Fuße des Consolührchens.«

      »Woher Sie doch nur stets Alles so genau wissen!«

      »Das ist meine Specialität! Wenn Du dann die Pretiosen genommen hast, kehrst Du ganz einfach an demselben Wege zurück, den Du vorher genommen hast.«

      »Ich bin ganz allein?«

      »Ganz. Bis zu dem Hause an der Wasserstraße gehe ich mit. Dort werde ich warten. In einer Viertelstunde kannst Du fertig sein. Hier ist für den Nothfall ein Revolver!«

      »Gut! Heute heißt es: Entweder frei werden oder zu Grunde gehen!«

      »Du wirst frei sein. Morgen wird es heißen, daß der Riese Bormann bei Hellenbachs eingebrochen ist. Du bist aber gefangen. Es muß Einen geben, der Dir ähnlich ist wie ein Ei dem andern, nur daß er ein Maal hat. Der Jude Salomon Levi wird beschwören, daß Derjenige, welcher bei ihm gewesen ist ein Maal gehabt hat – Du bist gerettet.«

      »Aber das Maal –?«

      »Das mache ich Dir jetzt. Komm ein Wenig mehr in das Lichte!«

      Nach kurzer Zeit, während welcher er ihm auch den Gebrauch der Leiter gezeigt hatte, waren sie zum Aufbruche bereit. Der Riese nahm die sämmtlichen Gegenstände an sich, und es gelang ihnen, völlig unbeachtet bis in die Wasserstraße zu kommen.

      Hier blieb der Hauptmann zurück. Bormann öffnete die Hausthür von Nummer Elf und zog den Schlüssel wieder ab. Er gelangte glücklich in den Hof und auf die von dem Hauptmanne angegebene Weise bis an die hintere Front des Hellenbach'schen Palastes. Ja, dort oben am dritten


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