Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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in die dunklen Augen und sagte dann:

      »Fräulein, ich müßte Sie schildern. Sie haben der kalten, gefühllosen Meeresfee geglichen, bis ein Funken des Lichtes in Ihr Auge, in Ihr Herz gefallen ist. Hören Sie:

      Wo keiner Stimme Töne klangen

      Am Grunde der krystallnen See,

      Da liegt, vom Schlummer lind umfangen

      Im Zauberschloß die Meeresfee.

      Sie träumt von Liebe, träumt vom Leben,

      Das über ihrem Reiche rauscht,

      Dem, von Triton und Elf umgeben,

      Sie oft verborgen zugelauscht –«

      Er wollte fortfahren, aber sie faßte seinen Arm und sagte:

      »Halt! Sie sind Hadschi Omanah, ja, Sie sind es! Das ist seine Sprache; das ist sein Ausdruck und sein Reim. Herr, ich habe Sie schwer beleidigt, indem ich an Ihnen zweifelte; ich habe Sie um Verzeihung zu bitten!«

      »Ich verzeihe Ihnen gern,« sagte er einfach. »Es hat mich noch Niemand, der mich sah, für einen großen Geist gehalten; wie sollte ich da Ihnen zürnen! Also Sie haben meine Tropen- und Wüstenbilder gelesen?«

      »Hundertmal, nein, tausendmal! Aber nein, sprechen wir jetzt nicht von Ihnen, sondern von den Gründen, welche Sie veranlassen, uns diese Kette zu bringen. Wir werden natürlich diesen Pfand nicht annehmen, sondern Ihnen auch ohne dasselbe so viel bieten, wie Sie brauchen.«

      Das war ihrem Vater doch ein Wenig zu großmüthig. Er konnte sich mehr für Pfandscheine als für Gedichte begeistern.

      »Judith!« warnte er.

      »Ich danke Ihnen, Fräulein!« fiel Robert ein. »Ich kann Ihnen für ein Darlehen keine andere Garantie bieten, als diese Kette, und ohne Garantie werde ich keinen Pfennig nehmen.«

      »Hörst Du es, Rebeccaleben?« fragte der Alte. »Habe ich doch nie geglaubt, daß ein Dichter von Reimen und Versen auch kann haben einen Sinn für Ordnung im Handel und Wandel der Welt von die Geschäfte!«

      »Gut!« sagte Judith, »so wollen wir die Kette nehmen. Sagen Sie, wie viel Sie brauchen!«

      Jetzt wurde er verlegen. Zu extemporisiren hatte er sofort vermocht, aber eine exacte Summe anzugeben, das fiel ihm schwer.

      »Ich habe es mir wirklich noch nicht genau ausgerechnet,« sagte er.

      »Genügen fünfzig Thaler?«

      Es war zu verwundern, daß der gute Salomon Levi bei dieser Zahl nicht einen Angstschrei ausstieß oder vor Schreck einen Purzelbaum schlug. Selbst Robert machte eine Bewegung der Ueberraschung und sagte:

      »Das ist zu viel, Fräulein! Soviel brauche ich doch wohl nicht.«

      »Das ist mir gleich. Ich gebe Ihnen fünfzig Thaler auf diese Kette, nicht mehr und nicht weniger. Zahle es ihm aus, Vater! Oder soll ich es ihm aus meiner Kasse geben?«

      »Nein, nein! Wenn Du es würdest geben aus Deiner Casse, so würdest Du es geben ohne Procente und Gewinn. Und der Mann von das Geschäft muß essen und trinken selbst dann, wenn er leiht fünfzig Thaler einem Dichter, welcher macht Reime, von denen ein jeder ist werth neunzig Thaler und acht Silbergroschen.«

      Er holte das Geld herbei und zählte es vor Robert auf. Es ist nicht zu beschreiben, welche Wonne dieser fühlte, als er die blanken Geldstücke vor sich liegen sah! Jetzt wollte Salomon Levi den Schein ausstellen, aber Judith meinte in entschiedenem Tone:

      »Jetzt noch nicht! Mein Herr, wo wohnen Sie?«

      »Wasserstraße Elf.«

      »So nahe, so sehr nahe! Und ich wollte Sie im Oriente suchen. Die Ihrigen werden Sorge haben. Gehen Sie jetzt! Aber in einer Stunde geben Sie mir die Ehre, mit mir das Abendbrot zu nehmen. Darf ich rechnen, daß ich damit keine Fehlbitte thue? Dann kann ja auch das Schriftliche unseres Geschäftes abgemacht werden.«

      Er fühlte sich überwältigt von der Güte des schönen Mädchens. Er reichte ihr die Hand und versicherte ihr:

      »Ich werde kommen, Fräulein, ganz gewiß, denn es ist mir ein Herzensbedürfniß, Ihnen zu zeigen, wie wohl mir Ihre Güte gethan hat und wie dankbar ich Ihnen bin.«

      »Und dürfen wir unterdessen Ihren Namen wissen?«

      »Ich heiße Robert Bertram. Ich muß Ihnen den Namen sagen, denn mir Karten drucken zu lassen, bin ich zu arm gewesen.«

      Sie lächelte ihm verheißungsvoll entgegen und sagte:

      »Ein Dichter Ihrer Begabung kann unmöglich arm bleiben. Sie werden bald genug im Stande sein, sich Karten anfertigen zu lassen. Uebrigens besitzen Sie ja bereits die besten Empfehlungskarten, welche es nur geben kann. Ich meine nämlich Ihre ›Heimaths-, Tropen- und Wüstenbilder‹. Jede Familie, welche eins Ihrer Bücher besitzt, wird es sich zur Ehre rechnen, Sie unter Ihre Freunde zu zählen. Auch wir hoffen, dies thun zu dürfen. Darum bitte ich Sie, uns heute nicht lange warten zu lassen!«

      Sie reichte ihm ihre Hand entgegen, welche er im Gefühle innigster Dankbarkeit an seine Lippen drückte. In ihren dunklen Augen leuchtete es auf in der Vorahnung des Sieges und der Befriedigung, und ihr Blick hing noch an der Thür, als er bereits hinter derselben verschwunden war.

      Die alte Rebecca hatte ihn hinausgeführt. Als sie wieder hereintrat, schüttelte sie den Kopf und sagte zur Tochter:

      »Judithleben, was hast Du gemacht für einen Streich! Wie kannst Du reden und sprechen von Ehre, welche uns wird widerfahren, wenn er besucht unser Haus und unsere Zimmer! Wie kannst Du ihn nur einladen, damit er wegißt das Abendmahl, welches bestimmt ist, zu ernähren uns Drei!«

      Da aber geschah etwas, was die Alte nicht für möglich gehalten hatte: Salomon Levi vertheidigte seine Tochter. Er legte Rebecca die Hand auf die Achsel und sagte:

      »Weib, sage mir, ob Du weißt, was ein Dichter ist!«

      »Ob ich das weiß? Ein Dichter ist ein Mann, welcher macht Reime, um zu verkaufen das Stück zu vier Kreuzer; das macht fünfzig Reime auf einen Gulden. Oder er schreibt Liebesbriefe für Hausknechte und Dienstmädchen, das Stück zu sechs bis acht Kreuzer.«

      »Weib, was bist Du dumm! Ein Dichter ist ein Mann, welcher im Leben erhungert das Geld zu dem Denkmal, welches man ihm setzen wird nach seinem Tode, wo er nicht mehr braucht zu essen und zu trinken. Wer ihn unterstützt in seiner Armuth, dessen Name wird mit eingehauen in das Denkmal von Marmor und wird schimmern in goldenen Buchstaben, welche kosten herzustellen beinahe zwanzig Kreuzer das Stück.«

      Sie blickte ganz erstaunt zu ihm auf und fragte:

      »Salomonleben, ist's die Wahrheit, was Du redest?«

      »Die reine Wahrheit. Willst Du nicht haben, daß unser Name wird ausgehauen in Marmor aus Carara oder Namur?«

      »Das will ich, ja, das will ich!«

      »Und daß er soll glänzen in Gold zu solchem Preis das Stück?«

      »Auch das will ich, wenn Du mir kannst versichern, daß dabei stehen wird Rebecca, welches ist der Name, der mir gehört.«

      »Es werden ausgemeiselt sein die Namen Salomon Levi, Rebecca und Judith als Retter des großen Dichters Robert Bertram, welcher hat gemacht Reime über die Heimath und sogar über die Wüste. Und was wird uns kosten dieser Ruhm –?«

      »Geld, viel Geld!«

      »Nein, sehr wenig Geld. Judith wird ihm vorsetzen Brod, ein Stück Käse von Milch, welche ist gewesen abgerahmt, und einige Zehen Knoblauch, um zu begleiten mit Würze das Brod und den Käse. Was wird kosten die Geschichte? Einen Groschen fünf Pfennige oder neun Kreuzer.«

      »Aber er wird Dir wollen abborgen immer mehr Geld!«

      »Diese Kette ist werth sechzig Thaler. Habe ich ihm gegeben fünfzig, so habe ich noch immer gemacht ein gutes Geschäft. Und will er haben noch mehr Geld, so mag er bringen noch mehr


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