Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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sich über sie und küßte sie auf die Stirn.

      »Ganz recht,« stimmte sie bei. »Sie erfassen die Regeln der guten Gesellschaft mit einer rapiden Schnelligkeit!«

      »Diese Anerkennung macht mich so glücklich, daß ich den Muth finde, sofort zur nächsten Stufe weiter zu gehen.«

      »Welche wäre das?«

      »Das, was man ›Jemandem gut sein‹ nennt!«

      »Ah, das ist interessant!«

      »Wie bezeichnet man dies mit einem Kusse?«

      »Diese Antwort möchte ich Sie selbst errathen lassen.«

      »Gut! Ich rathe! Aber erlauben Sie, daß ich die Antwort nicht in Worten, sondern gleich im Beispiel gebe.«

      Er küßte sie auf den Mund, den sie ihm willig und ohne sich zu zieren entgegen hielt.

      »Nun sind wir wohl am Schlusse der gesellschaftlichen Gefühlserweisungen angekommen?« meinte sie dann.

      »Ich glaube nicht. Wir haben noch die letzte und höchste Stufe zu erklimmen. Es handelt sich um die Liebe!«

      »Ah! Ist Ihnen dieselbe bekannt, Durchlaucht?«

      »Bis vor zwei Minuten noch nicht. Jetzt aber muß ich Sie wirklich fragen, in welcher Weise ich im gegenwärtigen Falle der Dame zu beweisen hätte, daß ich sie liebe!«

      Sie lag im Nachtkleide auf dem Ruhebette, über welches eine rothseidene Decke gebreitet war. Bisher hatte er von ihr nur die Hand gesehen, welche sie unter der Decke hervor ihm gereicht hatte, und den Kopf, dessen Haare in ein Netz gebracht waren, durch dessen Maschen einige Strähnen sich durchgestohlen hatten. Jetzt aber war es, als ob die Decke ihr zu schwer werde. Sie zog die Arme unter derselben hervor und man konnte nun die immer noch prächtige Büste und den üppigen Bau der Arme bewundern.

      »Hierauf kann ich Ihnen nur antworten,« sagte sie, »daß Sie wirklich ein Schüler sind.«

      »Ah! Wirklich?«

      »Ja. Wenn Sie die Dame wirklich liebten, würden Sie gar nicht fragen. Die wahre Liebe lehrt ohne Worte, wie sie sich zu bethätigen hat, Durchlaucht!«

      »Dann ist meine Liebe allerdings eine wahre, denn ich fühle nicht das mindeste Verlangen, sie durch Worte zu beweisen.«

      Er nahm ihren Kopf in seinen Arm, drückte sie an sich und gab ihr Kuß um Kuß auf Stirn, Mund, Wangen, Hals und Arme. Sie schlang die Letzteren dann um ihn und fragte mit jener leisen Stimme, welche die hingebende Liebe in Anwendung zu bringen pflegt:

      »So lieben Sie mich also wirklich, wirklich?«

      »Ja, wirklich,« antwortete er: »wenn nämlich Ihre Erklärung vorhin die richtige gewesen ist.«

      »Es war die richtige. Aber erlauben Sie, daß ich der Zofe klingle, um Toilette zu machen!«

      Sie setzte sich empor und langte zur Glocke. Doch ehe sie dieselbe noch in Bewegung gesetzt hatte, klopfte es an die Thür; das Mädchen steckte den Kopf herein und sagte:

      »Frau Regierungsrath von Krausberg läßt fragen.«

      »Ah! Wie unangenehm!«

      Aber schnell hatte sich der Fürst erhoben und sagte:

      »Meine Zeit ist abgelaufen, Frau Baronin. Darf ich in der Ueberzeugung gehen daß die gestrige Plaisir Sie befriedigt hat?«

      »Ich danke, ich kam doch etwas angegriffen nach Hause, weshalb Sie mich heute noch ruhend fanden. Werde ich bald die Ehre haben, Sie wieder begrüßen zu können?«

      »Der Schüler wird baldigst gezwungen sein, sich Rath zu holen.«

      Er küßte ihr die Hand und ging. Das Mädchen erhielt den Befehl, die Räthin einzulassen. Jetzt befand sich die Baronin für einige Augenblicke allein. Sie klatschte triumphirend die Hände zusammen und sagte:

      »Gewonnen! Gewonnen! Er liebt mich! Er soll sich vor meinen Wagen spannen und mich im Triumph durch alle Salons ziehen! Die Anderen, diese Hoch-und Edelgeborenen sollen bersten vor Neid!«

      Und er, als er langsam die Treppe hinabschritt, stieß ein kurzes Lachen aus und flüsterte vor sich hin:

      »Eine frühere Zofe geküßt! Fi donc! Verzeihe mir, mein Sonnenstrahl, denn nur mit Widerstreben spiele ich den Hausfreund – den Anbeter. Es ist aber leider der einzige Weg, welcher zur Entlarvung des Doppelmörders führt. Ihr Mann, dieser Baron ist der ›Hauptmann‹; das ist sicher. Sie soll ihn mir an das Messer liefern!«

      Der Baron war, als er seine Wohnung wieder aufgesucht hatte, in ein Cabinet gegangen, welches selbst sein Kammerdiener nicht betreten durfte. Dort gab es eine außerordentliche Auswahl der verschiedensten Kleidungsstücke und Toilettemittel. Als er wieder heraustrat, hatte er sich als Engländer verkleidet. Eine Brille ließ die Blessur seines Auges nicht erkennen.

      Er stieg eine schmale Seitentreppe hinab, durchschritt einen ziemlich finsteren Corridor und trat dann durch eine Pforte, welche er wieder verschloß, hinaus in das Freie. Kein Mensch hätte in dem hageren Englishman den Baron von Helfenstein erkannt.

      Langsamen Schrittes spazierte er durch mehrere Gassen, bis er die Wasserstraße erreichte. In Nummer Elf trat er ein und stieg bis zu der Thüre empor, an welcher der Name »Wilhelm Fels, Mechanikus«, zu lesen war. Er horchte eine Weile und vernahm zwei weibliche Stimmen. Dann klopfte er an und trat ein.

      Die Blinde saß, wie immer, auf der Ofenbank. Marie war bei ihr. Sie hatte einige Augenblicke erübrigt, um einmal nach der armen, einsamen Frau zu sehen. Als sie den fremdländischen Herrn eintreten sah, zog sie sich bescheiden in eine Ecke zurück.

      Er grüßte in englischer Aussprache und fragte:

      »Hier wohnt Herr Fels, Mechanikus?«

      »Ja, mein Herr,« antwortete die Mutter.

      »Ist er daheim?«

      »Nein. Er ist auf Arbeit.«

      »Wann kommt er zurück?«

      »Um die Mittagszeit.«

      »Er arbeitet privatim an einer Maschine? Nicht?«

      »Ja, mein Herr.«

      »Es ist diejenige, welche ich bei ihm bestellt habe. Wann wird er mit ihr fertig sein?«

      »Er sprach davon, daß es noch vor Weihnachten geschehen werde.«

      »Das ist mir lieb, denn ich muß sie bis dahin haben. Ich werde heute oder morgen Abend wiederkommen.«

      Er ging. Da sprang Marie herbei und öffnete ihm die Thür. Sie huschte mit hinaus und begleitete ihn bis hinunter in den Hausflur, wo sie ihn durch ihre Anrede veranlaßte, stehen zu bleiben.

      »Entschuldigung, Mylord!« sagte sie. »Darf ich Ihnen wohl eine kleine Bitte vortragen?«

      Sie hatte gar keine Ahnung, daß sie vor Demjenigen stand, der sie schon so oft verfolgt hatte. Seine Brille verdeckte den begierigen Blick seines Auges.

      »Was für eine Bitte?« fragte er.

      »Wenn Wilhelm zu Hause gewesen wäre, hätte er es Ihnen selbst gesagt.«

      »Wilhelm? Wer ist Wilhelm?«

      »Eben der junge Mechanikus, welcher für Sie arbeitet.«

      »Sind Sie vielleicht seine Schwester?«

      »Nein,« antwortete sie verlegen.

      »Seine Verwandte?«

      »Nein.«

      »Ah! Also seine Braut, seine Geliebte!«

      »Ja, Mylord,« gestand sie erröthend. »Und gerade darum werden Sie mir es nicht übelnehmen, daß ich an seiner Stelle spreche.«

      »Reden Sie!«

      »Wilhelm ist arm. Er kann das theure Material, welches er zu Ihrer Maschine braucht, nicht


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