Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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er wieder zurückkehrte, war Mitternacht bereits nahe. Es mußte viel verhandelt worden sein.

      Wäre Jemand an der anderen Seite der Gartenmauer aufgestellt gewesen, hätte er beobachten können, daß aus einem schmalen Pförtchen nach gewissen Pausen dunkle Gestalten huschten. Dem Pförtchen gegenüber war ein kleines Gehölz. Am Rande desselben stand im Dunkel der Bäume ein Mann, welcher für die Sicherheit der Passage zu sorgen hatte. Jedesmal, wenn Jemand drüben erschien, gab er durch ein halblautes »Pst!« das Zeichen, daß keine Gefahr vorhanden sei.

      Nach dem Letzten wurde das Pförtchen von innen leise verschlossen. Dieser Mann blieb einen Augenblick stehen und verschwand dann, nachdem er das »Pst!« vernommen hatte, um die Ecke. Er eilte raschen Schrittes weiter, dem Innern der Stadt zu. Er schien von einem Gedanken oder Entschlusse gejagt zu werden. Er trat nach und nach in verschiedene Restaurationen ein, fand aber nicht, was er suchte. So war es beinahe ein Uhr geworden; da wurde ihm bange.

      »Er ist nirgends zu finden!« murmelte er. »Soll ich es auf mich selbst nehmen, oder soll ich das geheime Zeichen geben? Er hat mir allerdings gesagt, daß ich das nur in einem sehr dringlichen Falle thun solle; aber gerade der heutige scheint mir ein solcher zu sein. Ich werde es also wagen.«

      Er eilte nach dem vornehmen Stadtviertel. Dort wurden die Straßen von prachtvollen Villa's gebildet. Da lag auch die Palaststraße, in welcher der Fürst von Befour wohnte. Hinter ihr zog sich eine zweite parallel dahin, an deren Eckhäusern die Bezeichnung »Siegesstraße« zu lesen war. Auch hier standen große, palaisartige Gebäude und mitten unter ihnen ein kleines Häuschen in freundlichem Schweizerstyl, welches nur für eine Familie eingerichtet sein konnte. Am Eingange zu diesem Häuschen gab es den Knopf zu einer electrischen Klingel. Hieran drückte der Mann.

      Es war der Schlosser, welcher gestern dem Fürsten von Befour die Schlüssel zur Wohnung der Baronesse Alma gegeben hatte.

      Nach kaum einer Minute wurde die Thür geöffnet. Der Hausflur war erleuchtet, und so konnte man den ehrwürdigen Kopf eines alten, grauhaarigen Mütterchens erkennen.

      »Was wollen Sie?« fragte sie.

      »Ich will zum Fürsten.«

      »Ich verstehe Sie nicht. Ich kenne keinen Fürsten.«

      »Ich meine den Fürsten des Elends.«

      »Von dem habe ich wohl sprechen hören, aber den kennt ja kein Mensch. Wer sind Sie, lieber Mann?«

      »Ich bin ein Diener Dessen, den ich suche.«

      »Hm!« machte sie nachdenklich. »Ich gestehe, daß mir das Alles fremd vorkommt. Ich werde Ihnen doch lieber meinen Mann senden.«

      Sie ließ die Lampe im Flur stehen und trat in ein einfach möblirtes, aber ungemein schmuck und sauber gehaltenes Zimmer. Da saß ein ehrwürdiger Greis am Tische. Sein Gesicht wurde von einem eisgrauen, martialischen Bart umflossen, so dicht und grau, wie auch sein Haupthaar war. Er trug in diesem Augenblicke eine Brille auf der Adlernase und las in einem illustrirten Buch. Es war eine eingebundene Jagdzeitung mit Abbildungen von Thieren, Geräthen und Scenen, welche sich auf das edle Waidwerk beziehen. Er blickte von dem Buche auf und fragte:

      »Wer war es?«

      »Es will Einer zu unserem Gustav, zum Fürsten.«

      »Ah! Zu welchen Fürsten?«

      »Des Elendes.«

      »Hat er das Stichwort gegeben?«

      »Nein.«

      »Hm! So muß ich selbst nachsehen. Es muß nothwendig sein.«

      Er erhob sich und begab sich hinaus. Dort ließ er den Schein der Lampe auf den Schlosser fallen und fragte:

      »Wer hat Sie zu uns geschickt?«

      »Er selbst.«

      »Wer? Ich begreife Sie nicht. Ist Ihnen kein besonderes Wort gesagt worden?«

      »Nein.«

      »Hm!« dachte der Alte. »So ist es ein Neuer, den er erst noch prüfen will.«

      Und laut fügte er hinzu:

      »Den, zu dem Sie wollen, kenne ich freilich nicht. Aber ich weiß Einen, der oftmals von ihm spricht und Ihnen sicher Auskunft ertheilen kann. Ist Ihre Angelegenheit nothwendig?«

      »Nothwendig und eilig.«

      »Was gilt es denn?«

      »Ein Verbrechen zu verhüten. In einigen Minuten ist es vielleicht bereits zu spät.«

      »Sapperlot! Da muß ich Ihnen allerdings den Ort nennen. Kennen Sie die Ufergasse?«

      »Ja.«

      »Da liegt die Wirthschaft der Madame Pauli?«

      »Ich weiß das.«

      »Begeben Sie sich schleunigst dorthin. Im Salon sitzt ein Mann mit rothem Bart und Haar; er heißt Brenner. An ihn wenden Sie sich. Er wird Ihnen sicher Auskunft ertheilen.«

      »Ich danke.«

      Mit diesen Worten wandte sich der Schlosser ab und eilte davon. Die Ufergasse war bald erreicht und das Haus auch. Es war ein hohes, aber nicht sehr breites Gebäude, mit verhältnißmäßig ein Wenig zu kleinen Fenstern, welche sämmtlich mit dünnen, weißen Vorhängen versehen waren. Die Thür war verschlossen. Der Schlosser klopfte leise, und sofort wurde geöffnet. Eine Frau stand da, welche den Ankömmling mit scharfen Blicken musterte.

      »Zu wem wollen Sie?« fragte sie.

      »In den Salon.«

      Sie betrachtete ihn abermals und sagte dann mißlaunig:

      »Sind Sie heute wohlhabend?«

      »Mehr, als Sie denken.«

      Damit schob er sich an ihr vorüber und stieg die Treppe empor. Da oben trat er in ein reich ausgestattetes Zimmer, in welchem sich eine Anzahl junger Damen und Herren befanden. Von ihnen getrennt, saß ganz allein in einer Ecke ein Mann mit rothem Bart und Haar. Zu ihm wendete sich der Schlosser sofort.

      »Sind Sie Herr Brenner?« fragte er leise.

      »Brenner ist allerdings mein Name,« antwortete der Gefragte langsam und in der Weise, in welcher Stotternde zu reden pflegen.

      »Kennen Sie den Fürsten des Elendes?«

      »Ja.«

      »Ich bin –«

      »Schon gut! Ich kenne auch Sie!«

      »Was? Wie? Mich?« flüsterte der Schlosser.

      »Ja. Sie haben dem Fürsten gestern abend einen großen Dienst geleistet.«

      »Das ist allerdings wahr.«

      »Und sich heute am Morgen die Belohnung dafür geholt.«

      »Auch das stimmt.«

      »Sie dachten da, in der Wohnung des Fürsten zu sein, haben sich aber geirrt. Er hat verschiedene Wohnungen, welche er je nach Gelegenheit und Bedarf benützt. Wer hat Sie an mich gewiesen?«

      »Zwei alte Leute, welche in der Siegesstraße wohnen.«

      »Schön! So muß Ihre Angelegenheit eine wichtige und auch eilige sein. Was wollen Sie?«

      »Ich muß unbedingt mit dem Fürsten sprechen.«

      »Das ist für heute nicht möglich.«

      »Welch ein Unglück!«

      »Ein Unglück? Vertrauen Sie mir die Angelegenheit. Ich bin zuweilen Stellvertreter des Fürsten, auf alle Fälle aber sein Vertrauter.«

      »Wenn das wirklich ist, so kann ich allerdings sprechen. Ist Ihnen ein Riese Bormann bekannt?«

      »Sehr. Er ist heute Nacht bei der Baronesse von Helfenstein eingebrochen. Nicht?«

      »Ach, ich sehe, daß Sie eingeweiht sind.«

      »Mehr,


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