Eden. Tim Lebbon

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Eden - Tim  Lebbon


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Eingreifen geschädigt wurde.«

       Professor Amara Patel, Natural History Museum, London

      Sie aßen im Gehen. Während die Sonne im Westen über einer zerklüfteten Bergkette unterging, begann Dylan zu verstehen, warum er Eden so beunruhigend fand, und alles, was er sah, roch und an seiner Haut spürte, bestätigte es.

      Genau wie Selinas Enthusiasmus und Begeisterung. Eigentlich ruhig und zurückhaltend, wurde sie immer lebhafter, je weiter sie gingen. Sie sah Dinge, die niemandem sonst auffielen, und sprach ihre Beobachtungen untypischerweise aus.

      Es sind all die kleinen Dinge, dachte Dylan. Die winzigen Veränderungen, die meisten davon unbemerkt, summieren sich zu etwas Größerem. Darum fühlt sich dieser Ort so seltsam an.

      Selinas Arbeit auf dem Gebiet der Umweltwissenschaften manifestierte sich in der Besorgnis über das Artensterben und die Auswirkungen von menschlichem Eingreifen in die Natur. Es war ihre Passion und Ursache ihrer sie regelmäßig heimsuchenden Depressionen. Während sie sich durch die Landschaft bewegten, ging sie oft voraus, um etwas Zeit zu haben, einen Baum, eine Pflanze, eine Spur auf dem Boden oder eine Blume genauer zu untersuchen, bis die anderen aufgeholt hatten. Sie machte sich hastige Notizen und lief mit ihnen weiter, ihre Augen voller Ehrfurcht über ihre Funde.

      »Was hast du gesehen?«, fragte Dylan, als sie einen langen, flachen Hang zum weiten Talboden hinunterstiegen.

      »Vieles, was ich erwartet habe«, sagte sie. »Aber auch eine Menge Dinge, die ich mir niemals hier hätte vorstellen können. Es gibt hier wieder Pflanzen im Überfluss, die aus solchen Landschaften eigentlich schon vor vielen Hundert Jahren verschwunden sind. Der Boden ist immer noch basischer, als er sein sollte, aber die Zone scheint sich zu erholen. Sich von unserer Berührung zu befreien.« Sie sprang über einen umgestürzten Baum. Dylan musste mühselig darübersteigen und laufen, um sie wieder einzuholen.

      »Seht euch nur den alten Mann an«, rief Gee von hinten.

      »Ich bin auch zwei Jahre älter als du, mit einem kaputten Knie«, sagte Dylan.

      »Dann bleib das nächste Mal daheim, Opa, und wir rufen dich an, wenn wir fertig sind!« Gee lachte auf diese Art, die sonst immer so ansteckend war.

      »Seht euch mal den Kerl mit der falschen Hand im Arsch an«, rief Dylan und diesmal lachten alle. Dylan holte Selina ein. »Was sonst noch? Hab dich schon lange nicht mehr so aufgeregt gesehen.«

      »Es ist fast so, als wäre das hier der perfekte Ort für mich!«, sagte Selina und die Fröhlichkeit in ihrer Stimme ließ ihm ganz warm ums Herz werden. Ihr Leben war normalerweise so von Fakten und Zahlen über die negativen Auswirkungen der Menschheit auf die Natur beherrscht, dass solche Freude selten war. Dylan sagte oft, dass es sehr selbstlos von ihr war, diese Dinge zu lehren und sich von ihnen ständig herunterziehen zu lassen. Sie nannte es Realität.

      »Aber findest du das nicht ein bisschen seltsam?«, fragte Jenn. Sie lief neben ihnen her, angelockt von ihrer Unterhaltung. Er wusste, dass sie das Gleiche spürte wie er und dass der Rest der Gruppe ebenfalls von Eden verunsichert war.

      »Absolut«, stimmte Selina zu. »Aber auf wunderbare Weise.« Sie lief wieder vor, überholte Aaron und sah sich um, als sie einen abfallenden Waldboden überquerten. Große Dornenbüsche rissen an ihrer Kleidung und Dylan hatte bereits ein Dutzend Kratzer an den Schienbeinen und Waden, aus denen kleine Bluttropfen drangen. Ihm machte das nicht viel aus. Es gefiel ihm, die Natur und Umgebung zu spüren, durch die er kam. Selbst hier.

      »Schaut mal«, sagte Selina und deutete auf einen Baumstamm.

      Keuchend blieben sie hinter ihr stehen und waren froh über die kurze Atempause. Es war immer noch warm, obwohl die Sonne schon fast hinter den westlichen Bergen verschwunden war.

      »Was sehe ich mir an?«, fragte Jenn.

      »Duftmarkierungen«, erklärte Selina. Sie duckte sich und ging näher heran, roch an der nachgedunkelten Rinde und untersuchte den Boden um den Baum. »Ziemlich gewöhnlich.«

      »Sie schnüffelt an Pisse«, murmelte Gee.

      »Was hat sie hinterlassen?«, fragte Dylan.

      »Wölfe, denke ich.«

      »Was?« Cove sah sich um, als erwarte er, graue Gestalten in den Schatten zu entdecken, die sie beobachteten, um sie zu jagen.

      »Hier gibt es seit über hundert Jahren keine Wölfe mehr«, sagte Lucy.

      »Genau«, entgegnete Selina. »Und doch sind hier diese Spuren.«

      »Könnten einfach nur wilde Hunde sein«, bemerkte Aaron. »Vielleicht wurden welche zurückgelassen, als Eden eingerichtet wurde, und vielleicht haben sie sich über die Jahre hinweg vermehrt und wild gekreuzt.«

      »Möglich.« Selina klang nicht überzeugt.

      »Hätte sie nicht jemand hierherbringen müssen?«, fragte Jenn. »Die tauchen doch nicht einfach so aus dem Nichts auf.«

      Selina antwortete nicht. Sie machte sich ein paar Notizen, dann stand sie auf und sah an ihnen vorbei in den umliegenden Wald.

      »Lasst uns weitergehen«, sagte Dylan. »Die Sonne berührt die Gipfel und ich will es bis auf die andere Seite des Tals schaffen, bevor wir unser Lager aufschlagen.«

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      Das Blätterdach und der üppige Baumwuchs schränkten ihre Sicht auf die Landschaft ein, während sie dem sanften Hang nach unten folgten, doch Dylan war sich ihrer Richtung sicher. Er behielt die Sonne im Blick, Lucy warf alle halbe Stunde einen Blick auf ihren Kompass und sie kamen gut voran. Das Gerede von Wölfen faszinierte ihn, denn auch wenn es gefährliche Tiere sein konnten, glaubte er nicht, dass in Eden hungrige Wölfe herumliefen.

      Es gab keine Pfade, denen sie folgen konnten, und gelegentlich wurden sie von breiten Streifen dichten Unterwuchses aufgehalten. Sie hatten keine Buschmesser mitgebracht, also konnten sie sich ihren Weg nicht freihacken. Stattdessen umgingen sie diese Stellen, wenn möglich, oder gingen zurück und suchten nach einer alternativen Route.

      Selina machten diese Verzögerungen nichts aus. Sie war so daran gewöhnt, sich mit dem Team zu bewegen, dass es ganz natürlich für sie war, Teil dieser Gruppe zu bleiben, doch ihre Konzentration war hauptsächlich auf ihre Umgebung gerichtet. Dylan blieb in ihrer Nähe und genoss, wie ihr Enthusiasmus zum Vorschein kam. Sie hatte akzeptieren müssen, dass sich die Menschheit auf einer Abwärtsspirale befand und dass Leute wie sie nur sehr wenig tun konnten, um diesen Abstieg aufzuhalten. Sie hatte Dylan mal erzählt, dass sie in ihrer Jugend immer davon geträumt hatte, etwas bewirken zu können.

      Was immer das zwischen ihnen war, wurde von ihren regelmäßigen Depressionsschüben überschattet, einer Folge ihrer Studien. Er half ihr hindurch so gut er konnte und wusste, dass sie seine Bemühungen zu schätzen wusste. Nun hoffte er, dass sie hier in Eden etwas von dieser verlorenen jugendlichen Zuversicht und Positivität wiederfinden würde.

      Als sich der Abend näherte, erreichten sie das Ufer eines Flusses. Dylan setzte eine Pause an, die sie fürs Trinken und Essen nutzten. Während sie auf ihren Energieriegeln und Gelen herumkauten, stellte Cove mittels eines Schnelltests fest, dass das Wasser trinkbar war. Sie füllten ihre Trinkflaschen und -blasen auf und gaben Reinigungstabletten hinzu. Dylan zog seine Karte heraus, faltete sie auseinander und versuchte, sich zu orientieren, wo sie waren. Lucy stand neben ihm und drehte sich langsam nach rechts und links, bis die Karte und der Kompass übereinstimmten. Dylan stimmte ihre Position noch mit ein paar lokalen Orientierungspunkten ab – einem Hügel, einem Knick im Fluss ein paar Hundert Meter vor ihnen.

      Etwas stimmte nicht.

      »Was ist?«, fragte Jenn.

      »Wir hätten entlang des Flusses auf eine Straße treffen müssen«, sagte er, sah zu Boden und strich mit der Schuhspitze über das lange Gras. Die anderen hörten schweigend zu.

      »Es gibt Eden schon lange genug, um Straßen zu verschlucken«,


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