Eden. Tim Lebbon

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Eden - Tim  Lebbon


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ihr die Karte und nachdem Selina sie mit dem Kompass abgeglichen hatte, brummte sie.

      »Ja. Stimmt. Hier sollte eine Brücke sein.«

      Der Fluss war nicht breit, aber die Strömung war stärker als die des ersten, den sie durchquert hatten, um Eden zu betreten. Laut der Karte handelte es sich um einen Nebenfluss dieses Stroms, der fünfundzwanzig Kilometer entfernt in den westlichen Hügeln entsprang und über eine Reihe von Wasserfällen und Stromschnellen herabführte, bis er zehn Kilometer weiter östlich in den Hauptfluss mündete.

      »Und eine Raststätte, da drüben«, sagte Dylan und deutete über das Wasser. »Restaurant, Parkplatz, ein paar Läden.«

      Dort war nichts.

      »Schauen wir uns das mal an«, schlug Cove vor. »Wir müssen sowie irgendwie über den Fluss kommen.«

      Sie gingen stromaufwärts, so nah am Ufer entlang, wie sie konnten. Sie waren hier im Überschwemmungsgebiet, es gab nicht viele Bäume und es war angenehm, im Freien zu sein und die letzten Strahlen des dämmrigen Sonnenlichts abzubekommen. Sonst genoss Dylan das Geräusch von Wasser, doch dieser tosende Fluss verstärkte lediglich sein Gefühl subtiler Paranoia. Im Unterholz konnte alles Mögliche herumschleichen und sie würden es durch das beständige Dröhnen gar nicht mitbekommen.

      Er sah, wie sich ein paar der anderen ebenfalls umsahen. Er stellte Blickkontakt zu Aaron her. Er war wachsam und vorsichtig und das ließ Dylan ein wenig entspannen. Aaron hatte einen militärischen Hintergrund und auch wenn er nie viel darüber sprach, strahlte er ein Selbstvertrauen aus, das Dylan ein Gefühl der Sicherheit vermittelte.

      Aaron blinzelte, runzelte die Stirn und sah zu Boden.

      »Hab was gefunden.« Er kniete sich hin und riss ein paar Grasbüschel und Dornenranken heraus, sodass ein verrosteter Metallpfosten sichtbar wurde, der ein paar Zentimeter aus dem Boden ragte. Obwohl sie erst seit ein paar Stunden in Eden waren, war es ein seltsamer Anblick. Die erste gerade Linie, die sie an diesem Ort gesehen hatten.

      »Eine Straßensperre?«, fragte Cove.

      »Vielleicht. Ist zu verrostet, um was zu erkennen.« Aaron zerrte an dem Objekt. Es bewegte sich nicht. »Ist auch ziemlich tief vergraben.«

      »Jetzt wissen wir, was aus der Straße geworden ist«, sagte Lucy. »Wir gehen darauf.«

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      Es fühlte sich nicht so an, als würden sie einer Straße folgen, aber während sie weiter stromaufwärts gingen, fanden sie zwei weitere Objekte, die darauf hindeuteten, dass dem so war. Dylan hielt das erste irrtümlich für einen toten Baum, umwickelt von Kletterefeu und das Zuhause zweier Eichhörnchen, die von hoch oben ihr Näherkommen beobachteten. Erst als sie näher kamen, machte sie Gee auf die zerschlagene Glühbirnenfassung am oberen Ende des Laternenpfahls aufmerksam. Sie lag nur teilweise frei, die zurückgebliebene Plexiglasscheibe war von grünem Schimmel überzogen und nur die vertraute Form machte es offensichtlich. Eines der Eichhörnchen kletterte den Pfosten hinauf und setzte sich auf die vorstehende Spitze, als wollte es sie verhöhnen.

      »Andere sehe ich nicht«, sagte Aaron, der sich entlang des Flusses umschaute.

      »Nein, aber hier ist noch was.« Lucy lief ein paar Meter vor zu einer Böschung. Eine Seite war mit großen pinken Blumen gesprenkelt und eine Pflanze mit winzigen blauen Blüten schlängelte sich durch den Hügel. Es war eine herrliche natürliche Farbpalette, doch Lucy hatte etwas anderes als die Blumen entdeckt. Als Dylan und die anderen ihr folgten, versuchte er zu erkennen, was es war.

      »Wie zum Teufel hast du das gesehen?«, fragte Gee. »Hast du ein Roboterauge oder so was?«

      »Ein Roboterherz«, sagte Cove, eine gedankenlose, aber heikle Bemerkung. Lucy zeigte ihm den Mittelfinger, ohne den Blick von dem zu nehmen, was sie gesehen hatte.

      »Wie lange willst du uns noch auf die Folter spannen?«, fragte Dylan.

      »Schaut.« Lucy deutete auf eine Seite der Böschung, dann bewegte sie ihren Arm nach oben. Dylan folgte ihm und sah es.

      »Eine Antenne?«, fragte er.

      »Ich schätze schon. Da ist ein altes Auto drin.«

      »Quatsch«, sagte Gee. Er kam näher, trat gegen einen Busch, verfing sich mit dem Fuß und fiel auf den Rücken. Cove lachte. Aaron drehte Gee auf die Seite und half ihm dann auf.

      »Komm schon, alter Mann.«

      Es gab nichts zu sehen. Vielleicht war es eine Antenne, vielleicht aber auch nur der dünne, nackte Stiel einer toten Pflanze. Das Objekt lag zu weit im Strauchwerk, um heranzukommen, und Dylan verspürte den plötzlichen Drang weiterzugehen. Sie verschwendeten Tageslicht.

      »Wir müssen diesen Fluss überqueren«, entschied er. »Ich hatte gehofft, dass zumindest ein Teil der Brücke noch steht. Aber wenn nicht, müssen wir stromaufwärts gehen, bis wir eine sichere Stelle finden.«

      »Das könnte Stunden dauern«, sagte Cove. »Warum schwimmen wir nicht rüber?«

      »Bist du übergeschnappt?«, blaffte Lucy.

      Gemein, dachte Dylan, kommentierte es jedoch nicht weiter. »Wir schwimmen nicht rüber«, sagte er. »Du weißt, dass wir hier auf uns allein gestellt sind, Cove. Wir gehen keine dämlichen Risiken ein. Zügle deine Ambitionen.«

      »Ich könnte auf die andere Seite schwimmen und …«

      »Es spielt keine Rolle, dass du der beste Schwimmer unter uns bist«, sagte Dylan und mehr war nicht nötig. Coves Arroganz hatte Grenzen und er erkannte immer Dylans Autorität als Teamleiter an. Er presste die Lippen zusammen und nickte.

      »Soll ich vorangehen?«, fragte Lucy.

      »Folge dem Fluss«, antwortete Dylan.

      Während sie sich in Bewegung setzten, passte Dylan bereits seine Pläne für die beabsichtigte Position ihres ersten Nachtlagers an. Er sah sich um und suchte nach Spuren von Kat. Sie hatte sich jahrelang von ihm ferngehalten und er hatte den Moment, als sie ihn verlassen hatte, nie vergessen. Er war in seine Seele eingebrannt.

      »Nur eine Woche«, hatte sie gesagt. »Allerhöchstens zehn Tage.«

      »Aber du hast diese Reise vorher nie erwähnt«, hatte er erwidert. »Nicht mal angedeutet. Keine Karten, keine Diskussionen, keine Planung.« Er wusste, dass er nach Strohhalmen griff. Die Kälte zwischen ihnen war seit langer Zeit gewachsen, eine unerklärliche Distanz, die irgendwie direkt mit den zahllosen Kilometern zu tun zu haben schien, die sie zusammen auf ihren Abenteuern rund um den Globus gelaufen, gegangen, gesegelt, gefahren und geflogen waren. Obwohl sie überall zusammen hinreisten, waren sie nie weiter voneinander getrennt gewesen. »Hast du es Jenn erzählt?«

      »Natürlich nicht«, antwortete sie. Dylan wusste, dass hier etwas anderes mit im Spiel war, und das bestätigte es. Wenn es nur zehn Tage wären, hätte sie es Jenn erzählt, dachte er, konnte jedoch einfach nicht glauben, dass Kat ihn endgültig verließ. Eine Pause vielleicht. Eine Trennung auf Zeit, erzwungen durch einen oder zwei Kontinente zwischen ihnen. Aber doch nicht für immer.

      »Ich weiß nicht, was passiert ist«, sagte er und ein paar Sekunden lang dachte er, dass ihre kühle Fassade bröckelte, dass das Eis, das sich zwischen ihnen gebildet hatte, wieder schmelzen würde, sodass sie einander erreichen und berühren konnten wie zuvor. Dann verhärtete sich ihr Gesicht und ihr Blick wurde distanziert.

      »Eine Woche, zehn Tage«, wiederholte sie und erstickte damit jede Hoffnung auf eine Diskussion.

      »Ich glaube dir nicht.«

      Kat fuhr damit fort, ihre Sachen zu packen. Sie nahm ihren Lieblingsrucksack, den er ihr in Kanada gekauft hatte, und verstaute die Laufausrüstung darin, obwohl er schon so voll mit Erinnerungen war.

      »Lass uns darüber reden«, bat Dylan. »Was auch immer zwischen uns passiert ist, wir hätten schon vor Jahren darüber reden sollen. Lass uns das jetzt tun. In aller Ruhe.«


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